Ernst Loewy an seine Eltern, 14. Mai 1938
Tel-Aviv, den 14.5.38.
Meine Lieben,
beim Schreiben dieses Datums fällt mir gerade ein, dass es gestern schon fünf Jahre her sind, seit ich Barmiz wah bin. Die Zeit vergeht ja so rasend schnell, man kann es garnicht glauben - dabei sehe ich meinen Barmiz wah-Tag noch vor mir, als ob es erst gestern gewesen wäre. Ich denke gerade an all die schönen Geschenke, die goldene Uhr (die ich vor ein paar Tagen habe reparieren lassen müssen) all die schönen Bücher, die Aktentasche und vor allen Dingen das Fahrrad, das ich nun in Tel-Aviv lebend, nicht mitgenommen zu haben sehr bedauere. Ich habe sogar vor, mir in kurzer Zeit ein gebrauchtes Rad anzuschaffen, was ich hoffentlich noch billiger bekomme, als was Verpackung, Zoll und Frachtkosten für mein altes gekostet hätten, so dass es mir doch nicht allzu leid tun braucht, dass ich mein altes daheim gelassen habe. Um zu meiner Barmiz wah zurückzukommen, so erinnere ich mich noch gerne des schönen Abends und der grossen Feier mit Bowle und Törtchen, wie ich weder vorher noch nachher niemals so feine gegessen habe. Ich glaube, man hat mich damals auf meine Heirat getröstet, wo, zur Feier des zweiten grossen Tages meines Lebens, sich ein solcher Festenschmaus zum ersten Male wiederholen würde. Der dritte und letzte ist dann die goldene Hochzeit. Leider sind hier in Palästina die Aussichten nicht allzu gross auf eine prunkvolle Heirat. Im allgemeinen feht das hier in aller Stille vor sich, so dass ausser den beiden Beteiligten und dem Paar kaum jemand etwas davon merkt. So weit von Vergangenheit und Zukunft. Nun zur Gegenwart. Euren letzten Brief habe ich natürlich erhalten, ihn aber im Moment nicht zur Hand, da
ihn Richard gerade hat. Ausführlich habe ich mit ihm auch noch nicht darüber sprechen können, und werde ich nächste Woche nochmal darauf zurückkommen, vor allen Dingen auf die Vorschläge wegen des Lernens irgend einer praktischen Sache, was ich prinzipiell recht vernünftig finde, wenn auch im Augenblick die Möglichkeiten nicht grösser dadurch werden, einmal herzukommen. Doch schadet lernen nie etwas. Vor allen Dingen wäre ich dafür, dass Ihr Iwrith lerntet. Habt Ihr nicht die geringste Möglichkeit dazu? Was nun einen etwaigen Beruf anbelangt, so will ich, wie gesagt, vorher noch einmal mit Richard die Sache besprechen, bevor ich Euch endgültige Vorschläge mache. Vorläufig nur mal ein paar Gedanken dazu: Das, was Pips als einziges praktische hier verwerten könnte ohne etwas neues zu lernen, wäre Autofahren. Ich glaube, dass man ganz gut damit verdienen kann. Man braucht aber leider dazu mindestens 400 bis 500 ₤P, die man in ein Auto investieren muss. Mit einem kleinen Opel kann man in Palästina nichts anfangen. Für eine Taxe benötigt man immer einen grossen, schweren Sechssitzer. Eine zweite Möglichkeit wäre eine Bureaustelle, bei der aber Iwrith die erste Voraussetzung ist. Diese Möglichkeit gibt es natürlich heute genausowenig wie irgend eine andere - höchstens einmal wieder in einer kommenden Prosperity. Andere Möglichkeiten sehe ich rein theoretisch (also abgesehen davon, dass es heute keine leeren Stellen gibt) für Dich, lieber Vater, augenblicklich nicht. Landwirtschaftliche Arbeit in der Form, dass etwas dabei zu verdienen ist, ist für Dich auf alle Fälle zu schwer.
Was Buchbinder anbelangt, so will ich Euch nur
ein Beispiel erzählen, was genügen wird Euch ganz von dem Gedanken abzubringen. Ich kenne hier in Tel-Aviv einen Buchbinder, der früher in Leipzig eine riesige Werkstatt mit über 40 Arbeitern hatte und für alle grösseren Verlage wie Teubner etc. gearbeitet hatte. Jetzt hat er am Tage ein Dutzend Bücher zu binden, wenn es viel ist und bekommt für jedes Buch durchschnittlich 3 Piaster und muss davon noch seine Spesen bezahlen. Ausser diesem erstrangigen Buchbinder, laufen hier noch Dutzende zweit- und drittrangige herum, die keine Arbeit haben. - Genügt das?
Ob Nähen zu lernen Sinn hat, weiss ich nicht; ich werde darüber noch einmal mit verschiedenen Leuten sprechen. Frau Hake glaubt, dass für eine Frau noch das Beste ist richtig kochen zu lernen um einen kleinen privaten Mittagstisch aufmachen zu können, wovon man, wenn man stets ein Dutzend Gäste hat (was nicht einmal allzu schwer ist, glaube ich) ein wenig verdienen kann. Der Preis für ein Mittagessen ist 5 Piaster, woran man, wenn man tüchtig ist, mehr als 2 Piaster verdienen kann, und das ist für hiesige Begriffe sehr viel, denn man lebt hier sehr billig - aber verdient auch sehr wenig. Teuer sind hier nur die Mieten.
Also wie gesagt werde ich nächste Woche noch einmal darauf zurückkommen. Von mir gibt es wenig zu berichten. Ich habe gestern ein paar Aufnahmen vom Geschäft gemacht, die ich Euch das nächste Mal senden werde. Von Lore erhielt ich eine Krawatte, die sehr hübsch ist. Ich habe jetzt vorläufig wieder mehr als genug davon. Nun Schluss für heute.
Herzl. Grüsse und Küsse Euer Ernst.