Ernst Loewy an seine Eltern, 2. Juni 1938
Tel-Aviv, Donnerstag, den 2.6.38.
Meine Lieben,
beim Schreiben des Datums sehe ich, dass wir schon in der Mitte des Jahres 1938 stehen. Die Zeit vergeht so wahnsinnig schnell. Bald ist es schon ein Jahr her, dass Du, lb. Pips, hier warst und drei Monate sind es fast, dass ich schon in Tel-Aviv bin - und ich selber bin inzwischen schon längst 18 Jahre geworden, und ein paar Tage noch, so wird die lb. Großmutter schon 72, der dritte Geburtstag, an dem ich ihr nicht mehr den Tisch decken kann. Ein halbes Jahr schon ist es, dass Richard in Palästina ist und ebenso lange, dass Edith nach Amerika gefahren ist. Die Zeit vergeht und man kommt kaum mit. Eure Post habe ich erhalten. Euren Brief vom 22.5. und Dein Brief, lb. Pips, aus Bielefeld. - Die Sache mit der Haavarah scheint nun in Ordnung zu sein - allerdings nachdem Ihr dort einen Fehler gemacht haben müsst. Die hiesige Haavarah hat den Bescheid bekommen, dass Ihr das Geld eingeschickt habt, doch fehlt Ihr noch der von Euch unterschriebene Vertrag. Man sagte mir hier, dass dieser schon längst hier sein müsste, wenn Ihr richtig unterzeichnet hättet und frühzeitig abgeschickt hättet. Der Fehler könne nur an Euch liegen. Gott sei Dank waren die Leute hier nun andererseits so anständig mir ohne weitere Umstände zu erlauben, dass ich an Eurer Stelle den Vertrag unterzeichne, so dass ich noch mit einem blauen Auge, d. h. mit einer Gebühr von 5 Piastern, die nun leider doppelt bezahlt werden müsste - davongekommen bin.
Das Geld bekomme ich wahrscheinlich morgen in Form eines
Für Richard hat sich noch nichts entschieden. Es ist dort alles noch in der Schwebe, aber wir hoffen, dass alles klappen wird.
Schecks von der Anglo-Palestine Bank und hoffe, dass damit die Sache in Ordnung ist. Drei Pfund habe ich allerdings schon an die Kupath Milweh abtreten müssen, die mir damals diese Summe vorgestreckt hatte. Meisses sind das - ich wollte, ich würde schon so viel verdienen, dass mir diese Scherereien erspart blieben - und was viel wesentlicher wäre: dass Ihr das Geld für Euch behalten könntet. Anstatt dass ich Euch irgendwie helfen kann, bin ich noch von Euch abhängig. Hoffentlich dauert es nicht allzu lange, bis es mal umgekehrt sein wird und ich einmal etwas für Euch tun kann. Gestern geschah mir folgendes: ich leerte unser Postfach, das die Nummer 4020 trägt und fand darin einen Brief für das Postfach 4021, der an einen Herrn Kurt (?) Herzmann adressiert war und von Herzmann aus Krefeld kam. Was sind dies für Herzmanns? Ich erzählte Richard davon, und er sagte mir, dass er diesen Herzmann schon hier getroffen hätte und in ihm einen alten Schulkameraden gefunden hätte. Komisch was? Was sind das für Hübschmanns, die jetzt hierher kommen? Nötig habe ich eigentlich gar nichts. Wenn Ihr mir etwas schicken wollt, schickt mir ein gutes Buch, aber nur etwas wirklich gutes. Für Walter von Molo etc. ist mir der Platz zu schade. Habt Ihr eigentlich keine richtige Kunstgeschichte? Was mich besonders interessieren würde, wäre das Michelangelobuch im Verlage Langewiesche (Blaue Bücher), das wir haben - und Don Carlos von Schiller (Einzelausgabe) und Otto Braun (ich lese jetzt gerade die „Memoiren einer Sozialistin“ von seiner Mutter Lili Braun). Und schaut mal selber zu, ob Ihr nicht noch etwas für mich findet! Aber, wie gesagt, nur, was sich wirklich lohnt. Neues weiss ich sonst für heute nicht mehr. Seid vielmals gegrüsst und geküsst von Eurem Ernst.