Ernst Loewy an seine Eltern, 13. Oktober 1938
Tel-Aviv, Samstag, den 13.8.38.
Meine Lieben,
recht vielen Dank für Euren lb. Brief vom 27. 7., den ich Anfang der Woche erhielt, sowie die Päckchen mit Seife und Zahnpasta. Jedoch möchte ich Euch gleich bitten, mir solche Dinge nicht wieder zu schicken, da sie hier so billig sind, dass sich das nicht lohnt. Eher würde es sich lohnen Euch von hier Seife zu schicken, die ausser Zitrusfrüchten und neben ändern Öl- und Fettwaren die einzige Exportware ist. - Das Päckchen mit den Büchern habe ich noch nicht erhalten.
Eure Grüsse an Werner erübrigen sich,da er seit einer Woche schon wieder in Kirjath Anavim ist. Da die Leute dort nichts zu tun hatten, ist er fristlos entlassen worden. Mit meiner Wohnung habe ich nun besonderes Glück. Ich kann nämlich alleine in meinem Zimmer bis Mitte Oktober wohnen ohne mehr zahlen zu müssen. Meine Wirtin befindet sich nämlich für einige Monate in London und ihr Mann wohnt solange bei seiner Tochter. Wo er selber nicht in der Wohnung ist möchte er nicht gerne einen neuen Untermieter nehmen, und so kann ich für ein Pfund mindestens so lange dort wohnen bis seine Frau wiederkommt. Vielleicht finde ich bis dahin noch jemand. Andererseits hat mir Frau Hake angeboten wieder zu ihr zu ziehen, nachdem sie seit Anfang September eine neue Wohnung mietet. Überhaupt ist es in Palästina selten, dass eine Partei länger als ein Jahr in derselben Wohnung bleibt. Alle Mietverträge gehen hier immer bis Anfang März, (bis zu einem arabischen Feiertag „Puharim”) und um diese
Zeit zieht stets ganz Palästina um. Das gilt für die Wohnungsmieter. Untermieter ziehen noch öfter, da sie keine Verträge haben. Das reinste Nomadenleben. - Vorläufig habe ich übrigens nicht nur mein gemietetes Zimmer für mich alleine, sondern eine vollständig eingerichtete 3-Zimmerwohnung mit grossem Balkon, Küche und Bad. Und das alles für 1 ₤P. So herrschaftlich habe ich mein Leben lang noch nicht gewohnt. Herr Hirschberg ist natürlich zuweilen auch mal hier, aber da er bei seiner Tochter isst und schläft hält er sich hier wenig auf - und praktisch genommen bin ich also der „Herr im Hause”. - Was später wird, das soll jetzt noch nicht meine Sorge sein. Eventuell gehe ich eben zu Frau Hake zurück.
Noch etwas Erfreuliches kann ich Euch mitteilen. Dan Hoffner ist jetzt in Tel-Aviv, nachdem er 21 Operationen hinter sich hat und, wie es scheint, alles wieder in Ordnung gehen wird. Die ganze Ärzteschaft Palästinas hat an ihm rumgeschnitten wie Dr. Zondek, Dr. Joseph, Dr. Markus und sonstige Grössen. Seine Mutter befindet sich hier und zwei Brüder, einer der immer hier war und einer der in Norwegen lebt. Die vier haben sich zusammen eine Wohnung gemietet und da sie viel Geld haben, können sie ganz ordentlich leben. Dan selbst ist guter Dinge - mit Ausnahme der verletzten Hand sieht man ihm äusserlich nichts an. Und auch die Hand soll durch eine Operation von Markus, die in einigen
Monaten vorgenommen werden soll, wieder einigermassen hergerichtet werden. Bis er völlig wieder in Ordnung ist und wieder arbeiten kann, wird wohl noch ein Jahr dauern. Die ärztliche Behandlung wird er hier zu Ende machen, und dann soll er zur Kräftigung nach Europa. Ich bin natürlich viel bei ihm. Er hat viel Langeweile. Obwohl er den ganzen Tag auf ist, soll er nicht allzuviel gehen und kommt vorläufig kaum auf die Strasse. Dieser Tage war Chawa bei ihm. Sie arbeitet in einem Kinderheim in Talpioth und verdient ausser dem Essen und der freien Wohnung ein halbes Pfund.
Im Kino sah ich vor ein paar Tagen in der palästinensischen Wochenschau die Alijah von Bamaaleh. Komisch all die bekannten Gesichter auf der Leinwand zu sehen. Fritz David, den ich kürzlich sah, erzählte mir folgendes, worüber ich Euch bitte nicht zu sprechen (bes. mit Frau Wertheim) Erbse und Gerda hätten sich an Frau Strauss gewandt, sie möchte ihnen eine Stellung suchen, da sie die Gruppe verlassen wollen. Die Sache müsste aber vorläufig geheim bleiben. Was sagt Ihr dazu?
Frau Strauss sehe ich häufig. Wir haben jede Woche unsern Abend, der stets ganz nett und interessant ist.
Was die Bücher anbetrifft, so halte ich es für das Beste mir mal ein Verzeichnis zu schicken von den guten Sachen - ich könnte dann hier auswählen, was Ihr schicken sollt. Besonders würden mich die Klassiker interessieren. Schiller, Heine, Shakespeare, Hebbel, Ibsen. Sehr gerne würde ich einen Schopenhauer haben. Vielleicht kannst Du mal einen antiquarisch auftreiben. Hier ist mir einer angeboten worden in 6 Bänden für 90 Piaster, aber das ist mir zu viel Geld. Sodann von Fritz Kahn: Das Leben des Menschen, 5 Bde., erschienen im Kosmosverlag, Frankhsche Buchhandlung Stuttgart. Vielleicht kannst Du einmal so etwas auftreiben, eventuell gegen Bücher von Dir umtauschen. Vieles lohnt sich doch auch garnicht mit rüberzunehmen. Vielleicht kannst Du mal die grossen Lexika verkaufen. Wir haben vor kurzem einen grossen Meyer in 26 Bänden von 1914, ergänzt bis 1920 für 4 ₤P verkauft. Ihr sehr wie wenig hier so etwas wert ist. Geschweige ein Brockhaus von 1896 oder so ungefähr.
Ich muss nun aufhören, da ich keinen Platz mehr habe. Lasst bald Gutes von Euch hören. Ich warte schon auf Post aus Prag. Viele Grüsse und Küsse
Euer Ernst.