Richard Loewy an Sohn Ernst, 13. Mai 1936
Brilon, 13/V.36.
Mein lieber Ernst! Damit Du nicht ohne meine Nachricht bist, will ich Dir wieder von der Reise aus ein paar Zeilen schreiben, obwohl ich Dir kaum mal Besonderes mitzuteilen habe, zumal ich auch von der Reise & Arbeit ziemlich abgespannt bin. Es ist 9 ¼ Uhr abends, ich bin erst um 8 h hier angekommen, gegessen, geschrieben bis eben, da kannst Du Dir denken, daß ich müde bin. Aber es macht nichts, ich mache mich gerne müde, wenn es sich lohnt. Nachdem es endlich ein bißchen wärmer geworden war, war die letzte Woche das Geschäft ganz gut, nun sind seit Sonntag (also Sonntag, Montag & heute Dienstag) die 3 sogenannten „Eisheiligen”, diese 3 Tage ist es dann immer kalt, heute hat es sogar geregnet, aber morgen solls wieder schön werden. Auch diese Woche ists Geschäft gut; ich verkaufe jetzt ziemlich viel für Herbst im Voraus; ich bin froh, daß es sich lohnt, damit unsere Sorgen etwas kleiner werden.
Deinen letzten Brief, den ich gelesen habe, hatten wir schon soweit von daheim aus beantwortet; es gibt da nicht mehr viel hinzuzusetzen. Nur auf Deine Ausführungen, die Du an Deinem Geburtstag gemacht hast, möchte ich noch kurz zurückkommen. Ich wollte dies nicht zu Hause, denn Deine Bemerkungen, daß Du uns Deine Dankbarkeit bezeugen möchtest, haben die liebe Mutter traurig gestimmt & ich möchte
natürlich diese Stimmung nicht durch Bemerkungen an Dich verschlimmern. Es freut uns ja herzlichst, wenn Du in solcher Liebe an uns denkst; aber, mein lieber, mein guter Junge, denke bitte vorerst mal an Dich selber, daß Du vorwärts kommst und daß aus Dir ein rechter mann wird, das was wir uns alle erhoffen. Chasak weemaz! Dann wird schon alles recht und gut werden! Wenn wir manchmal Sorge um Dich hatten, mein lieber Junge, wir haben diese Sorgen ja immer gerne auf uns genommen, sie wurden uns ja immer tausendfach aufgewogen durch die Freuden, die wir an Dir und durch Dich hatten! Wenn wir mal streng waren, ja wenn ich auch mal böse auf Dich war, so geschah es doch nur aus Liebe zu Dir & um Dich zu einem aufrechten u. geraden Menschen zu erziehen. Du wirst mir nicht böse deshalb sein und es, da Du jetzt auf Dich selbst gestellt bist, auch verstehen. Ich habe dafür jetzt auch die Freude, zu wissen, daß Du Dir in der weiten Welt selbst helfen kannst. Eines möchte ich Dir ja immer und immer wieder einprägen: sei stolz und sei froh, laß von Deinem Humor nicht! Man trägt dann auch das Schwere leicht!
Heute habe ich einen Herrn gesprochen, der vor einem halben Jahr noch in K. A. war & dort stundenlang im Büro saß; er wollte auch mit Linie 16 fahren, mußte aber wegen Platzmangel wieder aussteigen. Er war auch in K. A. Beth, hoch oben am Berg. - Nun genug für heute. Ich schreibe vielleicht morgen Abend weiter. Ich bin zu müde.
Gute Nacht! mein lieber Junge! Viel Küsse Dein Vater!