Erna Loewy an Sohn Ernst, 14. Mai 1936

Geseke, den 14/V.36.

Mein lieber Ernst! Es ist zwar gleich 11 Uhr nachts, Du liegst wohl jetzt schon lange im Bett -, aber ich möchte Dir doch noch ein paar Zeilen schreiben, damit morgen der gestern angefangene Brief abgehen kann. Auch heute war das Geschäft ganz gut, sodaß ich zufrieden sein kann. Ich habe allerdings heute viel gefahren & kam erst abends 9 Uhr ins Hotel. Morgen fahre ich heim; ich freue mich jetzt schon. Leider erwartet mich nur mein kleiner Pips nicht mehr zu Hause. Von der lieben Mutter bekam ich heute eine Karte, daß Ilses Mutter gestern eingezogen ist; wir sind nun nicht mehr allein u. Dein Zimmer ist besetzt. Frau W. richtete es mit ihren eigenen Möbeln ein; Dein Schrank ist in unsrem Schlafzimmer vor der offenen Türe, die andren Sachen auf dem Speicher. Dein Zimmer war bisher ganz unverändert. Ilses Oma ist gestern abgereist, nach Düsseldorf. - Was sagt Ilse eigentlich

dazu, daß ihre Mutter bei uns ist? Nun könnt Ihr immer Eure Briefe in einen Umschlag tun & also doppelt soviel schreiben. Das ist doch schön! Hoffentlich nutzt Ihr beide das auch aus. Wir sind ja immer glücklich mit Euren Briefen. - Die l. Mutter schreib auch, daß Lore gestern wieder bei ihr war. Wie gefällt Dir das eigentlich, daß Lore Mutti am Muttertag Blumen gebracht hat. Ist das nicht reizend?

Ich möchte von Dir gern auch noch soviel wissen über Euer Zusammenleben und Arbeiten. Seid Ihr auch oft mit Euren Mädels zusammen, oder läuft da alles getrennt. Wie wohnt Ihr, wo die Jungens, wo die Mädels? Wie ist das Haus? Ich kann mir noch so sehr schlecht das alles vorstellen. Kommt Ihr oft mit den Alten der Kwuzah zusammen? Wieviele sind da? Viel alte Leute, Frauen, Kinder? Wie wohnen die Verheirateten? Ach, es ist so viel, was ich wissen möchte! -

Wenn am Sonntag wieder Brief von Dir da ist, schreibe ich Dir von daheim wieder.

Was macht Kakel, Küken, etc. Schreib mal ausführlich über alles. -

Nun viele gute Wünsche, mein Lieber, und tausend Küsse
Dein Vater.

Inliegenden Brief sollst Du an Küken abgeben von seinem Onkel in Warstein, wo ich eben bin.