Richard und Erna Loewy sowie andere an Sohn Ernst, 15. Mai 1936

15.5.36.

Mein lb. Ernst! Gestern war Lore hier & hat schonmal einen Brief angefangen. Da wir noch keine Nachricht wieder von Dir erhalten haben, weiss ich Dir nicht besonders viel zu schreiben. Leider berichten die Zeitungen immer noch von Unruhen & wollen wir nur hoffen, dass es Euch recht gut geht & Ihr nichts davon merkt. Es muss doch immer etwas sein, weswegen man sich Sorgen machen muss, die hören wohl nie auf. Uns geht es gut. Seit Mittwoch wohnt Frau Wertheim in Deinem Zimmer & gefällt es ihr gut darin. Sie ist den ganzen Tag im Geschäft, eigentlich ist sie nur zum Schlafen hier. Ilse wird sich wohl freuen, dass ihre Mutter eine nette Stillung gefunden hat & nicht bei fremden Leuten wohnen muss. Gestern war Dein alter Lehrer Stern hier. Er hat sich sehr eingehend nach Dir erkundigt & möchte gerne mal eine Karte von Dir haben; er würde Dir auch wiederschreiben. Ich habe ihm aber schon gesagt, dass Du weder Geld noch Zeit hättest. Er lässt Dich vielmals grüssen, ebenso Fritz R., der einzige von Deinen Freunden, der nochmals kommt. Habt Ihr schon viel gelernt & verstehst Du schon was von Ackerbau & Viehzucht. Liebes Pipslein, ich möchte Dich so gerne mal bei der Arbeit sehen, hier wolltest Du ja nie zuviel davon wissen. Und hast Du jetzt auch das Essen gelernt, oder stocherst Du immer noch darin herum. Weisst Du noch, wieviel Du mich damit geärgert hast & ich Dir immer sagte, Du würdest noch manchmal an Mutters Kochtöpfe zurückdenken?

Lieber Ernst!

Ich habe Deinen kleinen Brief erhalten, und habe mich sehr damit gefreut. Erst muß ich Dich mal tüchtig ausschimpfen. Ich will nicht noch einmal Lorchen genannt werden, mein Name ist Lore. Ich könnte Dich auch dann „Ernstchen” nennen. Jetzt etwas anders. Hast Du mein Paket nicht erhalten? Es wäre sehr schade. Hier haben wir augenblicklich Kirmes. Sehr mau. Am Mittwoch den 20. d. Ms. trifft unsere neu Führerin ein. Sie ist aus Düsseldorf, und heißt Inge Oberländer. Du kennst sie sicher dem Namen nach. Ich kenne sie persönlich. Sie ist sehr nett. Inge fährt Sonntag den 17.5.36 wieder nach Kreuznach zurück. Sie bleibt noch 2 Monate dort. Dann hat sie ihre Harscharah beendet. Wie geht es Erbse? Gut? Ich habe K. F. den Kopf gewaschen, und ihm gesagt, er solle das blöde nachlaufen sein lassen, mir wäre die Verwandtschaft mit ihm schon genug. Habe ich Recht? Das Wetter wird langsam wieder schön, denn die 3 Eisheiligen, der 10, 11, und 12. Mai sind vorbei. Wann bekomme ich wieder einen langen Brief von Dir? Ich hoffe bald. Grüße bitte Ilse von mir, und sei selbst herzl. gegrüßt von Deiner
Lore!

Schreibe bitte bald einen langen Brief.

Es ist Freitag Abend & erwarte ich jeden Augenblick Vater zurück. Hoffentlich kommt nun morgen auch noch ein Brief von Dir, damit Vaters Ruhetag auch noch mit Freude verbunden ist. Und die können wir gebrauchen! Macht Ihr Euch auch viel Spass in Eurer Freizeit & abends auf Eurem Zimmer? Wie stehst Du mit Deinen Kameraden, hast Du viel Freunde? Ich will morgen weiterschreiben, da ich das Abendbrot richten muss. Es gibt Deine Leibspeise - Kartoffelsalat -! Unterdess viel herzliche Grüsse & tausend Küsse Deiner Mutter.

Lieber Ernst! Jetzt wohne ich nun schon 4 Tage in Deinem Zimmer & bei Deinen Lieben hier, und es gefällt mir sehr gut. Mit Deinem heute Morgen hier angekommenen Brief habe auch ich mich sehr gefreut, besonders daraus Dein & Ilsens Wohlergehen entnehmen zu können! Bleib weiter gesund & alles andere wird schon werden -!

Es grüßt Dich herzlich
Deine Frau Wertheim

Einl. Brief gib bitte Ilse!

17.5. Mein lb. Ernst! Heute am Sonntag erhielten wir wieder zu unserer grössten Freude Deinen Brief No 9 vom 4 bis 9 ds. Viel, viel Dank mein lb. Junge, dass Du uns so viel Zeit widmest. Du bist wirklich fleissig & sehr lieb; wir freuen uns sehr über Dich. Und wieder kam der Brief am Sonntag, für Vater besonders schön. Eben hatten wir Besuch, den Du nicht erraten kannst. Kurt Kaufmanns

Kükens Eltern haben uns besucht, um einmal zu hören, was Du eigentlich schreibst. Küken würde nicht ausführlich genug schreiben & da wollten sie mal hören, wie Deine Berichte lauten.

Morgen fahre ich mit Vater ein paar Tage ins Münsterland. Das Wetter ist so schön & warm & da will Vater nicht, dass ich immer zu Hause hocke. Dann habe ich sehr viel Zeit & werde Dir Deinen langen Brief von unterwegs beantworten. Heute sind wir dauernd aufgehalten worden & jetzt ist es schon bald 10 Uhr abends. Also heute nur noch ein paar Nebensächlichkeiten, die eigentliche Antwort bekommst Du noch. Gestern zum Essen (mittags) hatten wir einen hohen Gast. Lore war von 12 Uhr bis abends 7 Uhr bei uns & hat uns Gesellschaft geleistet. Heute früh war sie schon wieder hier & da konnte ich ihr gleich Deinen Brief geben. Sie freut sich auch immer sehr. Anbei das Bild; hoffentlich kommt bald mal eins von Dir. Um übrigens eins aus Deinem Brief herauszugreifen. Du zählst die vielen Sprachen auf, die Ihr eventl. lernen könntet. Alle darfst Du lernen, nur verzichte auf die, mit de Händ & durch de Nas. Die hat man im Leben nicht nötig & ist, obendrein sehr hässlich. Also lb. Kind, Du hörst bald wieder von uns. Lass es Dir weiter recht gut gehen, bleib gesund & lass Dich vielmals küssen von
Deiner Mutter!

Mein lieber Junge! Da es schon so spät geworden & ich noch soviel zu packen habe, hebe ich mir die Beantwortung Deines Briefes bis Mitte der Woche (auf der Reise) auf. Nur das möchte ich schon sagen, daß ich mich mit Deinen Nachrichten von Herzen

gefreut habe; ich sehe, daß Du meine Worte vom „Goldnen Humor” beherzigst. Laß Dich nur nicht unterkriegen & sei immer eingedenk Eurer Wahlspruchs [..]! Ich schreibe Dir diese Woche schon noch ausführlich. Richte bitte Deine Post, sow wie bisher ab, daß sie Sonntag hier ist. Viel Küsse Dein Vater.