Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 21. Mai 1936

Osnabrück, 21. Mai 36.

Mein lieber Ernst!

Wie Du siehst, sind wir in Osnabrück; wir haben die Nähe von O. benutzt, um einmal hierherzufahren und Fritz Seligmann zu besuchen. Heute ist Himmelfahrtstag, also Sonntag, (trotz des Donnerstags), wir können also nicht arbeiten. Morgen fahren wir von hier weiter nach Münster, Coesfeld usw. Das Geschäft klappt momentan ziemlich gut; wenn es mir eine Weile mal so bliebe! - Heute früh haben wir eine kleine Spritztour von hier aus gemacht, wir sind 10 klm. vor die Stadt gefahren (Mutter, Fritz & Lotte, Werner & Helga) u. von da (am Beginn des Waldes) in die Berge geklettert; es war sehr schön, aber für uns alte Leute, die so wenig laufen, ziemlich anstrengend. Wir haben nun eine Stunde fest geschlafen. Die Lieben hier haben sich sehr mit unserm überraschenden Besuch gefreut. -

Nun von Dir. Daß Deine Zeilen v. 4.-9./5. auch mir viel Freude gemacht haben, habe ich Dir schon am Sonntag geschrieben. Ich freue mich auch so sehr, daß es Dir gut geht & daß Dir die so ungewohnte Arbeit so viel Freude macht. Wenn Dir in der Kwuzah das eine oder andere nicht gefällt, so ist doch das nicht schlimm; Idealzustände gibt es nirgends in der Welt; das habe ich gar nicht anders erwartet, Ihr jungen Leute, die aus einem ganz andren Milieu und unter ganz andren Voraussetzungen ins Land gekommen sind, als die alten Kwuzah-Mitglieder seht natürlich alles mit Euren jungen Augen ganz anders an, Ihr seid viel kritischer und legt an alles - bei allem guten Willen - einen Maßstab an, der Eurem Herkommen, Eurem

Wissen und Eurer Bildung entspricht - Ihr stellt an die Kwuzah & auch ans zukünftige Leben Ansprüche, ja Ansprüche, auf die Ihr ein Recht habt; die früheren Chawerim waren nicht in der Lage Ansprüche & Erwartungen zu stellen, sie waren froh, daß sie den Boden von Erez betreten durften, wo sie nach den Verfolgungen Rußlands eine goldene Freiheit erwartete, wo sie in Ruhe und Frieden laben & ihrer Arbeit nachgehen durften. Daß da vieles nicht ideal sein konnte, ist klar. Zudem kamen die meisten auch wohl aus Proletarierkreisen. Daß sie in der Zeit des schweren Anfangs keine Zeit & kein Interesse für geistige Dinge hatten, ist wohl zu verstehn, auch wenn sich das schließlich ganz verlor.

Wenn Ihr später einmal - so wie die erste Gruppe der Alijah, die jetzt ihre 2 Jahre um hatte, - vielleicht auch eine Kwuzah für Euch gründen solltet, dann werdet Ihr wohl das Gute, aus der alten Kwuzah mit übernehmen, das Schlechte aber für Euch ablehnen - ganz gesonders, wenn, wie Du schreibst, - Ihr alle - nicht nur Du - so denkt.

Auch über die moralischen Dinge. Du weißt ja, mein lieber Junge, was ich Dir so oft und eindringlich gesagt habe (obwohl es damals etwas verfrüht war, vielleicht verstehtst Du es heute schon besser! -), „halt die Finger davon -”, Du weißt, was ich meine. Nochmals wiederhole ich es Dir, & wenn Du mal Sorgen hast, wende Dich an Deinen Führer.

Die Hauptsache ist für Dich vorerst, daß Du arbeiten lernst, und daß Du ein Mann und ein aufrechter, ganzer Kerl wirst. Ich habe dazu und auch in Dich

das vollste Vertrauen; es wird schon recht werden. Bleibe immer bei dem, was ich Dir seit Deinen jüngsten Kindheitstagen ans Herz gelegt habe: bleibe wahr und bemühe Dich, immer ein anständiger Mensch zu bleiben; halte Dich, Deinen Körper und Deinen Geist rein, bleibe ein anständiger Charakter. Du bist der erste unsres Namens, unsrer Familie, der ins Land der Väter zurückgekehrt ist; möge G'ttes Segen immer mit Dir dort sein. - Es wird mit Seiner Hilfe schon einmal die Gelegenheit kommen, daß wir uns dort wiedersehen! -

Schreibe uns bitte weiter recht oft & viel über all Deine Eindrücke, auch von Zion & Jeruschalajim, wenn Du hinkommst, auch von andren historischen Stätten, die Du zu sehen bekommst. Alles, alle kleinen, wie großen Dinge interessieren uns. Wir sind ja jede Minute in unsren Gedanken bei Dir, mein lieber Goldbub! Immer denken wir an Dich! Ich will für Fritz noch was Platz lassen. Schreibe bitte weiter so, daß jeweils am Sonntag Deine Post kommt, dann freu ich mich [..] des Sonntags.

Nun, mein liebes Pipslein, viele, viele Küsse und [..]!
Dein Vater.

Mein lieber Ernst! Deine lieben Eltern haben uns die große Freude gemacht uns hier in der Wildnis zu besuchen. Wir haben heute morgen einen sehr schönen Ausflug auf den Dörenberg gemacht. Ich freue mich sehr daß es Dir gut geht und bin mit den besten Wünschen und herzl. Grüßen und Küssen Dein Fritz.

Lieber Ernst.

Da der Brief nun schnell fort muß kann ich Dir nur die herzl. Grüße senden
Lotte und Kinder
Werner und Helga.

II

dann schon finden. Ihr steht ja nicht alleine da & werdet von der Jugendhilfe schon richtig geleitet werden. Auf jeden Fall möchte ich Dir eins sehr ans Herz legen. Sieh zu, dass Du dort ordentlich was lernst, dann wenn Du nach 2 Jahren nicht bei der Gruppe bleibst, musst Du was können & leisten, um irgendwo anders unterzukommen. Nur Fähigkeiten bringen vorwärts - der was leistet kommt immer & überall unter. Mache Deine Augen überall gut auf & sei fleissig. Was man in der Jugend lernt sitzt fürs ganze Leben & wer weiss, wohin Dich dort Dein Weg einmal führen wird. Also lb. Pipslein, lerne was, damit Du später was kannst. Es wird dann schon werden. Wenn die Moral keine gute ist, nehmt Euch kein Beispiel dran, vergesst Eure gute Kinderstube nicht & bleibt immer, die Ihr seid. Onkel Paul hat auch keine, dass zeigt er immer mal wieder. An dem ist auch Hopfen & Malz verloren, da ist nichts zu bessern. Nun will ich schliessen. Ich bin ganz krumm gesessen, Vater ist auch fertig & dann geht es heidi & weiter. Hoffentlich kannst Du mein Geschmier lesen. Tausend Küsse
Deine Mutter.

Wir fahren jetzt nach Emlichheim zu Herrn Weissberg. Du weisst, wenn Vater böse war, kamst Du immer zu ihm in die Lehre. Was macht eigentlich Deine Mundharmonika, ich höre gerade den Hohenfriedberger Marsch.
Nochmals Kuss Mutter.

Emlichheim ist wunderbar, schade, dass Du nicht hierhin gekommen bist. So ein Nest!