Erna Loewy an Sohn Ernst, 8. Juni 1936

Krefeld, den 8.6.36.

Mein lb. Junge!

Bevor Vater heute früh auf Tour fuhr, kam noch Dein Brief vom 25-30. Mai. Ich war so froh für unsern Pips, ging er doch noch mal so gerne auf Reise. Wenn er auch oft mit Dir geschimpft hat & streng mit Dir war, so hat er Dich doch unendlich lieb & bist Du sein ganzer Stolz & seine grösste Freude. Du würdest oft lachen, wenn er von Dir erzählt & dann sagt „mein Sohn!”. In den beiden Worten liegt für ihn alles, er freut sich über Dich, zumal Deine Nachrichten ihn sehr beglücken. Aber auch ich freue mich nicht minder über Deine guten Berichte, auf die wir uns von einem mal zum andern freuen! Wenn Ilse schreibfaul ist & ihre Briefe nicht mit Deinen fertig hat, sende uns bitte Deine Post alleine. Ich möchte nämlich nicht wegen Ilse warten müssen, soll sie ihre Post alleine befördern. Ich glaube überhaupt, dass das richtiger ist. Du brauchst aber davon nichts im nächsten Brief erwähnen, denn Frau Wertheim liesst ja auch Deine Post & ich möchte ihr nicht sagen, dass ich an ihrer Stelle mit Ilsens Berichten nicht zufrieden wäre. Sie schreibt sehr oberflächlich, wenn Alma nicht Deine Briefe läse, wüsste sie eigentlich nur, dass Ilse Leibschmerzen hatte & Lea ein Drachen wäre. Grosse Worte & wenig dahinter. Dagegen muss ich Dich wirklich sehr loben, Du bist ein guter Kerl. Ist es eigentlich nötig, dass wir in jedem Brief Antwortscheine mitsenden oder sollen wir auch schonmal überschlagen? Die Nummern auf den

Briefen habe ich längst vergessen, ich glaube, es ist auch nicht mehr nötig. In Eurem Haus kennen wir uns jetzt gründlich aus, Bild & Deine Aufzeichnungen haben uns ganz orientiert. War Deine Bauarbeit schwer & hast Du gerne geholfen? Über das Essen bin ich nun auch beruhigt, hoffentlich bist Du schon kräftiger geworden. Deine Sachen hast Du Dir gut eingeteilt & wirst ja auch vorläufig reichlich haben. Zu schade braucht Dir eigentlich nichts sein, wie Deine Schlafanzüge u.s.w. denn Du musst doch auch bedenken, dass Du noch wächst & Dir nach Jahren die Sachen garnicht mehr passen. Könnt Ihr Euch nicht mal knipsen, ich hätte so gerne mal ein Bildchen von Dir. Dass Du in Deiner Freizeit Dich tüchtig weiterbildest, hören wir sehr gerne. Man kann im Leben nie genug wissen & können, es schadet nie. Du siehst es ja an den Leuten dort, die nur arbeiten & weiter keine Interessen haben, wohin das führt. Bald ist Grossmutters Geburtstag. Vor dem Tag ist mir schon recht mies, Du kennst ja dann den Betrieb. Zufällig fällt er auch noch auf einen Sonntag „Fronleichnam” & da haben alle Zeit, zum Kaffee zu erscheinen. Wir haben ihr eine sehr schöne grosse Handtasche gekauft, die sie sich schon lange gewünscht hat. Mir hat man ein Amt angehängt. Ich muss jetzt, anstelle Deiner Schwiegermutter, die ja zur Bismarckstr. zieht für Hilfe & Aufbau hier im Bezirk sammeln gehen & im Herbst für die Winterhilfe. Na, ja Zeit genug habe ich ja. Nun weisst Du für ein paar Tage mal wieder alles Wissenswerte, Vater schreibt Dir von der Reise auch noch. Ich glaube, wir haben Dich mit Post sehr verwöhnt. Tausend Küsse
Deiner Mutter.

Grüsse mir die bekannten Jungens & Mädels.