Richard Loewy an Sohn Ernst, 9. Juni 1936
z. Zt. Gütersloh, 9.6.36.
Mein lieber Ernst!
Ich freue mich, daß gestern, am Montag früh, vor meiner Abreise noch Dein lieber Brief (v. 25.-30/5.) ankam, den wir schon am Sonntag erwartet hatten. Die liebe Mutter wird Dir den Brief wohl, während ich auf Reisen bin, genauer beantworten. Ich will aber die Tage nicht vorbeigehen lassen, ohne auch etwas mit Dir zu plaudern. Vor allem muuß ich Dir wiederholen, daß es mich von Herzen freut, aus Deinen Briefen Deine Zufriedenheit zu ersehen. Du kannst Dir doch denken, daß wir in Anbetracht der politischen Zustände in Erez wir schon manches Mal darüber nachdenken (trotz all meiner zionistischen Einstellung, die sich ja auch die liebe Mutter zu eigen gemacht hat), ob es von uns auch unter allen Umständen richtig war, daß wir Dich in so jungen Jahren nach Erez gehen ließen; wir sehen nun zu unsrer Beruhigung, daß Du froh und zufrieden ist, & so wollen wir mit Gott hoffen, daß es auch weiterhin so bleibt - und daß eines Tages wir wieder vereint sein werden. Nun wollen wir uns bis dahin bescheiden und auf Gott vertrauen, dann wird es schon werden.
Aus Deinem Brief sehe ich auch weiter, daß Dir die Arbeit, wenn sie auch manchmal schwer ist, Freude macht. Ich sehe, daß Du wohl vorerst im allgemeinen noch keine körperlich schwere Arbeit machen mußt, sondern nur an einzelnen Tagen, Du wirst Dich nun wohl allmählich daran gewöhnen können & Du wirst dann mit der Zeit auch die Dir noch fehlenden Körperkräfte bekommen & eines Tages wirst Du Dich Deiner Kraft auch bewußt werden & richtig und überall mit anpacken können, daß Du keine Arbeit zu schwer ist; Du wirst dort anders sein, wie die kleinen Levys & schon ein richtiger Mann werden. Du weißt, daß ich
gerade das bei Dir immer sehr entbehrt hatte. Nun weiß ich, daß auch das bei Dir recht werden wird. -
Deine Nachrichten & Schilderungen von der Kwuzah sind für mich immer sehr interessant. Ich hatte mir eigentlich Euer Zusammenleben mit der Kwuzah etwas mehr gemeinsam vorgestellt, während Ihr anscheinend sehr wenig zusammen kommt. - Von wem bekommt Ihr eigentlich die Anordnungen über Eure Arbeit & wem untersteht Euer Führer? Eßt Ihr mit der Kwuzah gleichzeitig im Eßraum oder besonders für Euch? Du hast uns eigentlich auch noch gar nicht geschrieben, wieviele Leute eigentlich die Kwuzah hat, wieviel Kinder, Frauen, Greise u. dergleichen. Feiert Ihr die Feste, z. B. Schabwuoth, mit den Chawerim im Kwuzah gemeinschaftlich - in welcher Form? Was sind das für Chawerim aus Deutschland, die in der Kwuzah sind? Schreib uns bitte auch hierüber mal Näheres.
Von K. A. „[..]” erzählte mir Herr [..] aus Meschede, der dort war, d. h. auf dem Berg, [..] K. A., wo K. A. „[..]” gebaut werden soll. Er erzählte mir, man sei dort dabei gewesen, die Steine aufzulesen.
Daß Du Dich in Deinen Dir lieben wissenschaftlichen fächern weiter ausbildest, freut mich; alles, was man kann, kann nicht schaden. Aber lernst Du schon auch noch mal Englisch? Sieh doch, daß Du diese - auch dort, wie in aller Welt - so wichtige Sprache noch besser lernst, es kann Dir später auf alle Fälle nur nützen.
Da ich Deinen Brief nicht zur Hand habe, kann ich nicht darauf zugreifen; sollte ich noch wetwas erwidern müssen, so will ich es am Sonntag von Daheim aus tun. Der Brief kam, wie gesagt, gestern früh, gerade vor meiner Abfahrt, an. Ich hatte den Wagen schon
vor der Türe stehn. -
Lore war leider nicht mehr da, solang ich daheim war. Sie sagte mir, sie hätte in Holland an Dich eine Karte geschrieben, aber nicht abgesandt.
Dein Brief an Tante Tini werde ich am Sonntag ebenfalls weiterschicken. - für die Briefmarken, die sehr schön sind, viel Dank. Ich werde Dir demnächst auch Dubletten schicken, leider habe ich nur nicht viel Rares. Ich habe die letzten Tage alle Dubletten mal sortiert & zusammengebündelt, wie sie zusammen gehören. Denk mal, Kurt Seligmann hat sich nun auch eine Sammlung alles Europa (ich glaube sogar „Übersee”) zugelegt & hat schon eine stattliche Anzahl zusammen. Da seine Fa. nach aller Herren Länder exportiert, bekommt er von seiner Fa. alle möglichen schönen Sachen. Wenn Du dort auch manches mehrere Male haben kannst, willst sie mir bitte senden. Ich tausche dann mit Kurt weiter. - Kennst Du noch die deutsche 25 Pf. Marke mit dem Komponisten „Händel”? Ich habe sie gestempelt & ungestempelt. Kurt machte micht auf einen Fehldruck (sehr selten, Wert Mk 6.-) aufmerksam; unter dem Bild steht „1635 Händel 1935 -”, beim Fehldruckaber „1535 - 1935 -”; beim Nachsehn bemerke ich, daß meine ungestempelte den Fehldruck aufweist. Ich hatte die Marken damals an der Post gekauft; ich hätte besser den ganzen Bogen genommen! - Bei Euch muß doch an Marken allerlei zu haben sein. Haben die alten Chawerim nicht noch ältere Marken aus Polen oder Rußland? Sie sind doch schon 76 Jahre dort? Oder ist es Dir lästig, danach zu fragen? Sonst müßte doch manche schöne Marke zu haben sein. - Wenn es Dir natürlich unangenehm sein sollte, dann laß es sein! -
Allen Grüße!
Hat Heinz Brotzen sein Klavier bei Euch im Zimmer aufgestellt? Frau Wertheim hatte ja auch ein Klavier. Sie hat es bei uns in der
Eben teilt mir die l. Mutter mit, daß der alte [..] Kronach gestorben ist. Der ist gut aufgehoben!
M. h. G.!
Schick mir die Marke zurück!
I. Etage an die Familie Lerschen ( die nach Rasky's Auszug eingezogen sind) verkauft. (für 100 Mark). Und diese Leute spielen nun mit Todesverachtung zu meinem Leidwesen Tag und Nacht. Die Frau meint sogar, sie könnte singen! Ich meine, sie kann nicht! Was an Schönheit fehlt, gibt sie an Lautstärke bei! - Daß Rasky's ausgezogen sind, weißt Du wohl. - Die neuen Leute sind sonst ganz nett, ein junges Ehepaar mit einem Jungen von 7 Jahren; sind Holländer.
Der Sonntag war schön verregnet. Was meinst Du, was sich da so mancher gefreut hat! -
Was sagst Du zu den Neuigkeiten bei uns? Du kannstest doch den alten Herrn Levy bei Fernichs? Der ist dieser Tage ganz plötzlich gestorben. Wie gefällt Dir die Pension von Fernich? Ich verspreche mir nicht sehr viel davon. Lotte war zu Hause, ist aber am Sonntag wieder abgereist, sie hat anscheinend wenig Freude & Interesse an der Pension gehabt, denn sie ist schon vor Ablauf ihres Urlaubs wieder fort; sie sieht übrigens sehr gut aus, ist viel dicker geworden, trotz der schweren Arbeit der Hachscharah. Nun erwarten sie bald Grete & Fredi in Ferien.
Am Montag, wenn ich wieder auf Tour fahre, will die liebe Mutter nach Eindhoven, jedenfalls bleibt sie dann über 8 Tage dort & wenn ich Ende der woche heimkomme, dann fahre ich am Samstag bis Sonntag Abend auch hin. Die lieben Friedrichshagener waren ja so lang & zahlreich bei uns, daß wir es uns schon gestatten dürfen, sie auch mal zu überfallen. Ich freue mich übrigens auch einmal ganz privat verreisen zu dürfen. - Im Juli fahren wir dann nach Kronach. Wir machen aber dann keine solche Gewaltfahrten mehr, sondern lassen uns gemütlich Zeit. -
Das Geschäft geht so ziemlich. Es leidet aber unter dem Wetter. Es ist hier noch immer sehr kalt, man sollte es wirklich nicht glauben, daß heute der 9. Juni ist!
Nun ists allmählich 11 h geworden & ich will zu Bett. - Morgen fahre ich nach Bielefeld. - Schreib fleißig! Alle guten Wünsche für Dich, mein liebes Pipslein, mein lieber Bub! Und viele, viele Küsse
[..] Dein Vater.