Erna Loewy und Familie an Sohn Ernst, 30. Juni 1936
Krefeld, den 30.6.36.
Mein lb. Ernst!
Vorgestern erhielten wir Deinen lb. Brief vom 15-20. ds. Vater konnte ihn gerade noch lesen & fuhr dann nochmal so gerne auf Tour. Dass Du das Netzjäckchen erhalten hast, freut mich. Heute habe ich wieder eins abgeschickt, habe gleich eine 13 drangenäht & eine lose angeheftet, für den Fall, dass Du das Erste nicht gezeichnet hast. Hast Du denn mit 2 Stück genug, ich schicke Dir gerne noch welche. Deine Mütze schicke ich Dir Ende der Woche & auch wieder 10,- Mk. Ich finde es wunderschön, dass Ihr Schach spielt, es hält den Geist rege & über das „Musikzimmer” musste ich herzlich lachen. Du scheinst in die richtige Gesellschaft hineingeraten zu sein & darüber bin ich natürlich sehr glücklich.
Lore war Sonntag den ganzen Nachmittag mit uns zusammen. Erst ist sie mit uns in die Z.O.G. wo Otto Reiss Köln, Gärtnergehilfe über jüd. Jugendarbeit in der Galuth sprach & dann Dr. Siegf. Kanaritz Tel-Aviv, Arzt, über jüd. Jugend beim Aufbau Erez Jisraels, sprach. Letzteren haben wir gesprochen & will er Dir Grüsse von uns bringen, wenn er einmal zu Euch kommt. Er sagte, er käme bald hin, um sich einmal richtig satt an Obst zu essen. Ich bin mal neugierig, ob er daran denkt. Und dann blieb sie bei uns bis zum Abend. Ein Wildfang, nicht wie ein Mädel von 13 Jahren. Sie kommt sehr gerne zu uns.
Wenn wir später mal nachkommen, bringen wir alle Deine Bücher mit, einen Schnellhefter erhältst du bald von uns als Drucksache. Wenn wir wieder Zeitungen schicken, legen wir einen zwischen. Nur die Hosenfrage bleibt immer noch offen. Die Tage in Holland haben mir gut getan, jeder sagt mir, dass ich sehr gut aussehe. Ich konnte es aber auch gebrauchen. Heute sende den Brief ohn Antwortschein, da ich keinen zu Hause habe, aber Du erhältst doch jede Woche einen. Deine Sandalen wären aber schnell durch, die trägst Du wohl dauernd? Über den Oberbürgermeister freut Vater sich, ist doch seine Drohung in Erfüllung gegangen. Du könntest mal kommen & unsern Garten spritzen, da wimmelt es von Läusen & Ameisen. Aber die Stachel- & Johannisbeeren sind doch reif geworden, auch gibt es hier dieses Jahr eine Menge Erdbeeren, die wir beide ja so gerne essen. Tomaten & Gurken sind auch hier alle reif, das Klima scheint wohl augenblicklich dasselbe zu sein. Auf die Bilder freue ich mich riesig, hoffentlich werden sie was. Und nun noch etwas, worüber ich mich in Deinem Brief am meisten gefreut habe, lb. Pipslein. Du hast recht getan, Grossmutter den Kopf mal zurecht zu setzen. Sie hat natürlich sehr übertrieben mit ihren Tränen, die garnicht so oft rollen; aber ich habe mich unendlich gefreut, von Dir aus eigenem Anlass bestätigt zu finden, dass Du es niemals bereust hinübergegangen zu sein; dass Du glücklich & zufrieden
II
bist. Das ist mir die allergrösste Freude. In dem Vortrag traf ich Emil Frankfurt & die andern Jungens. Sie sehen alle weiss wie ihre Polohemden aus & da musste ich unwillkürlich denken, dass Du gerade so grün aussehen würdest, wenn Du noch hier wärst, irgendwo in einer Lehre, im dumpfen & muffigen Betrieb. Du bist hoffentlich ein anderer Kerl geworden in der goldenen Freiheit draussen. Und so bist Du in Deiner Freizeit immer unter Deinesgleichen, immer mit lustigen Kameraden zusammen, hier zu Hause sässest Du alleine, ohne Freund, denn hier hat doch jeder für sich zu tun, ausser an den Heimabenden. Du würdest gross unter alten Leuten, ohne Freude. Wenn ich schon daran denke, bin ich froh, dass Du drüben bist, dort hast Du was von Deinem jungen Leben. Übrigens ist Jumbo garnicht aus dem J.O.D. ausgetreten, er geht sogar Dienstags mit Pimpfen & Küken zum Stadtwald spielen.
Mit der Fahrt nach Bayern wird es dieses Jahr für mich nichts. Das Geschäft war so schlecht, dass ich Vater geraten habe mit der Bahn zu fahren. Erstens strengt ihn die weite Autofahrt doch sehr an & zweitens kosten 2 Personen auf der Reise mehr als zu Hause. Ich bin ja nun in Holland gewesen & habe auch auf Lamms wenig Lust. Die Geschäfte sind dort auch mies, ein Dienstmädchen haben sie nicht mehr, ich müsste also im Haushalt mithelfen & auf
Onkel Josefs ewiges Gebrüll bin ich mal garnicht verlegen. Erst war Vater etwas enttäuscht darüber, dass ich nicht mit will, aber nun sagt er selbst, ich hätte recht. Übernächste Woche wird er wohl fahren, seinen geschäftlichen Kram schnell erledigen & bald wieder heimkommen, um zu Hause in aller Gemütlichkeit & Ruhe nach ein paar Ferientage mit mir verbringen zu können. Die Kosten dann auch nicht so viel. Findest Du es nicht auch viel richtiger so?
Nun mein lb. Junge, habe ich Dir wohl für heute genug geschrieben. Onkel Richard, dem ich schonmal einen Brief von Dir einsende, schreibt, er sei sehr stolz auf Dich & Hans Seligmann hat gestern sein Staatsexamen mit I bestanden.
Aber jetzt Schluss. Mit vielen herzlichen Grüssen & tausend Küssen
bin ich Deine Mutter.
Mein liebe Ilse!
Sende Dir ebenfalls auf diesem Wege die allerherzlichsten Grüße & Küsse! Meine Zeilen von dieser Woche hast Du hoffentl. erhalten? Geht's Dir gut? mir auch GsD. Heute hat es „Pinke Pinke” gegeben. & schicke ich Dir nächste Woche wieder 10.- hast Du jetzt das Geld vom Monat Juni bekommen? Darfst es mir ruhig überlassen, ich weiß auch was Du gern trägst! - Samstag fahre ich nach Essen bis Sonntagabend, werde Dir dann Montag schreiben! War diese Woche in einem zionistischen Vortrag, werde darüber Dir noch schreiben, es war sehr schön! In Liebe küßt Dich herzl.
Deine Mutter.
L. Ernst sende Dir ebenfalls herzl. Grüße!
Frau Wertheim.