Richard Loewy an Sohn Ernst, 30. Juni/1. Juli 1936

Dortmund, den 30/6.1936.

Mein lieber, lieber Junge!

Zu meiner großen Freude kam gestern, Montag, morgens vor meiner Abfahrt noch Dein lieber langer Brief v. 15-20/ds. Du kannst Dir wirklich nicht vorstellen, welche Beruhigung Dein Brief wieder bei uns ausgelöst hat & welche Freude! Besonders die Zeilen an Großmutter, mit denen Du sagst, sie möchte sich doch keine Sorgen um Dich machen, Du seiest glücklich & zufrieden! Es spricht wirklich eine solche Zuversicht aus diesen Zeilen, daß ich wirklich glücklich bin, daß ich Dich in solcher Obhut weiß. Wir wollen hoffen, daß alles so bleibt, mein lieber Junge! Ich kann Dir Deinen l. Brief natürlich nicht so genau beantworten, weil ich ihn nicht zur Hand habe. Ich nehme an, daß ihn die liebe Mutter ausführlich beantworten wird oder bis zur Stunde schon beantwortet hat. Evtl. komme ich Ende der Woche nochmals drauf zurück. Gestern morgen im Vorbeifahren habe ich Lore Bescheid sagen lassen, die Einlage abzuholen. Aber das Iwrith kann sie bestimmt nicht lesen; denn sie nimmt ja keinen Unterricht mehr. [..] sind gestern umgezogen zu Hertz nach der Bismarckstr. Wußtest Du schon davon? - Inge kommt am 1.7. heim & geht am 15/7. nach Holland zu Kindern. Esther war am Sonntag da.

Sonntag Nachm. hörten wir in der Z.O.G. eine [..]. 2 Vorträge ( & die dazugehörigen geschwollenen Reden von Berthold) 1) von Otto Reiß, Gärtnergehilfe in Köln über Jüd. Jugendarbeit i. d. Galuth, 2) Dr. med. Kanowitz aus Tel-Aviv über Jugend b. Aufbau von Erez. Beide Vorträge sehr gut. Dr. Kanowitz haben wir nach dem Vortrag gesprochen & ihn gebeten, Dir & Ilse beim nächsten Besuch i. K. A. (Juli/August) Grüße zu bestellen. Er sprach sehr zuversichtlich, man möchte sich keine Sorgen machen & auch jetzt ginge wieder eine Jugendalijahgruppe hinüber. - Frau [..], Cleve, (weißt Du, von dem Kunden Cosman) war auch da. Ihr Mann ist z. Z. in [..], wo die Tochter eine Wäscherei hat. - Hr. Hompertz [..], Esters Vater) sagte mir, Frau Friedberg

Geseke, 1.7.36.

ließe mir bestellen, sie hätte Euch leider nicht mehr besuchen können; sie sei von Amman direkt nach Haifa gefahren & durfte nicht noch einmal ins Land hinein, sie mußte direkt nach Beirut weiter & wird nun bald wieder nach Hause kommen. Also, für sie war es mit dem Daueraufenthalt drüben nichts. Die Träume von der „Pension” dort sind anscheinend aus. Zumal ja Ingelore in England ist. Ich weiß nicht, ob ich Dir schon mal darüber geschrieben habe, daß Else Levy sie besucht hat; sie wohnt nicht etwa bei ihrer verheirateten Schwester, sondern allein für sich in einem Boardinghouse & geht in eine Schule. Auch ein schrecklicher Zustand!

Wegen unserer Reise nach Bayern: wir haben uns in Anbetracht unsrer Dalles & auch verschiedener andrer Dinge, d. h. da es in Kronach & [..] doch für die l. Mutter bei dem dortigen Dalles kein reines Vergnügen ist, entschlossen, daß ich etwa am 12. ds. mit dem D-Zug nach Kronach fahre & dann etwa 8 Tage dort & bei [..] bleibe, um die geschäftlichen Dinge zu erledigen. Ich komme dann wieder zurück & mache es mir mit der l. Mutter daheim etwas bequem & nett. Für die entgangene Reise kann die l. Mutter im August mal mit mir die schon lang versprochene Tour ins Sauerland (Arnsberg - Meffert) mitmachen; sie hat dann bestimmt mehr Freude als in Bayern. Jetzt wo Tante Hilde kein Mädchen hat & alle Arbeit selbst tut, wäre Mutter dann doch immer im Haus & hätte keine Erholung. So mache ich die Sache möglichst kurz. Evtl. - wenn Onkel Carl will - er hat ja auch ein Auto - fahre ich mit ihm nach Weiden & Waidhaus. Eben mal abwarten! - In Holland hat sich Mutti blendend erholt, sie kam mit dicken & roten Backen wieder! Polaks scheinen es sehr schön dort zu haben. Es sind ja auch alles liebe Leute.

Marken: so viel ich gesehen habe, sind es schöne Sachen, die Du gesandt hast. Wenn Du auch welche in mehreren Exemplaren bekommst, kannst sie mir zum Weitertausch ruhig einsenden. Ich lege meinen Briefen auch immer welche bei. Für wen willst Du denn die deutschen Marken? Für einen Chawer aus der Kwuzah? .... folgt wohl von daheim!

Ich kann Dir aus unsren Dubletten ja die meisten schicken. Was Du im Moment nicht brauchst, kannst Du ja dort behalten, um sie bei Gelegenheit

Geseke, den 1/7.36.

2.)

zum Tauschen verwenden zu können.

Viele meiner Kunden wissen, daß Du in Erez bist & sie fragen alle nach Dir & Deinen Berichten. - Kronenberg hat neulich einen Teil Deiner Briefe in der ZOG vorgelesen. Ich habe ihn noch nicht gesprochen, aber Berthold äußerte sich sehr befriedigt darüber. Ich werde wohl demnächst mal wieder an einem Montag Abend zu Hause sein & dann abends ins Heim der ZOG hingehen. - Nächste Woche werde ich wohl auch wieder nach Düsseldorf kommen & die Eltern von Küken besuchen.

Daß Ihr viel Spaß auf Eurem „Musikzimmer” habt, höre ich gerne. Ich nehme also an, daß das Klavier auf Eurem Zimmer steht. Lernst Du vielleicht von Deinen Freunden etwas Klavierspielen? Den Radau möchte ich bei Euch mal miterleben! - Ilse sandte ihrer Mutter 3 Bilder, eins vom Hause & 2 Gruppenbilder. Leider bist Du auf keinem der beiden Bilder mit drauf. Umsomehr freue ich mich, daß Du von Dir Aufnahmen schicken willst. Ich möchte Dich gerne sehen, Du bist wohl braun wie ein Araber? Bist Du auch gewachsen & stärker (dicker & kräftiger!) geworden? Wie Du Dich körperlich fühlst, darüber schreibst Du nichts. Ich möchte auch hierüber gerne alles erfahren. - Was macht Dein Schnurrbart? Rasierst Du Dich & brauchst Du neue Klingen?

Es ist schade, daß Du so wenig Bücher mitgenommen hast; ich sehe aber auch kaum eine Möglichkeit, Dir welche zu schicken. Ich muß mich mal an der Post erkundigen. Man könnte sie ja als Drucksache schicken, 50 Gramm kosten nur 5 Pf., das ist ja billig! Aber, wenn dann ein Buch verloren geht, gibt einem niemand was dafür. - Am Montag sandte ich Dir für 25 Pf. Zeitungen.

Die ersten hast Du ja erhalten, hoffentlich auch diese. Wir senden Dir dann jede Woche ein paar Zeitungen, damit Du wenigstens etwas Fühlung mit Deiner Vaterstadt hast.

Gesundheitlich geht es uns allen gut wie immer; geschäftlich geht es noch so, aber nächste Woche ist's wohl mit dem Reisen aus bis Mitte August; dann gehts langsam wieder los. Es beginnt dann die faule Zeit. Früher habe ich mich immer drauf gefreut, da hatte man etwas Geld & konnte sorglos in Ferien fahren, heute muß man mit Sorgen zu Hause bleiben!

Nun, mein lieber, lieber Junge! Halte Dich weiter tapfer & sei weiter gesund, froh, zufrieden & glücklich. Immer, in jeder Sekunde, sind meine Gedanken und Wünsche bei Dir, mein lieber Bub! Ich weiß auch, daß wir nur räumlich, nur körperlich getrennt sind, daß auch Deine Gedanken stets bei uns sind. Wir müssen alle tapfer sein & es tragen, bis wir uns eines Tages wiedersehen. Wir wissen, es ist so das Beste, was wir für Dich tun konnten. (Denke daran, daß ich mit 10 Jahren daheim fort mußte!) Ich freue mich jeden Tag, daß ich Dir diesen Weg gewiesen habe; es wird schon alles gut werden!

Nun, laß Dich umarmen, mein lieber Junge, halt den Kopf hoch, ![..]![..], & viele, viele Küsse Dein
Vater