Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 22. Juli 1936

Krefeld, 22/7.36.

Mein lieber Ernst!

Ich will Dir auch noch einige Zeilen schreiben & dann kann der Brief fort, damit Du auch mit dem nächsten Dampfer Nachricht hast.

Gestern hatten wir einen bewegten Tag: Frau Katzenberg, Ilses Oma, ist in Liebenstein am 20./ten an Herzschlag gestorben, Du kannst Dir die Aufregung bei Frau Wertheim, als sie gestern Mittag aus dem Geschäft heimkam, vorstellen. Es war ein Brief da & Mutter gab ihr den Brief mit den Worten: „Da ist ein Brief von Deiner Mutter.” Der Brief enthielt aber die Todesnachricht. Frau W. ist dann gestern Nachm. nach Liebenstein gefahren.

Ich nehme nun an, daß Ilse noch gar nichts weiß, dann kannst Du ihr es in schonender Form beibringen oder sage es Kakel, damit diese es tut. Es tut uns allen hier sehr leid, denn Frau K. war eine sehr liebe Frau. Andrerseits hat sie einen sehr schönen Tod gehabt, sie war keinen Tag krank & hat nicht gelitten.

Sonst ist bei uns nichts Neues. Deine Freundin Lore, die Ferien hat, ist allem Anschein nach abgereist ohne sich von uns zu verabschieden. Schon 14 Tage war sie nicht hier; ich glaube es dauert nicht mehr sehr lange, dann kommt sie überhaupt nicht mehr. Es geht mit ihr eben, wie so was immer geht: aus den Augen, aus dem Sinn! (Bei Dir ist's wohl auch so?!)

Am Samstag fahren wir erst nach [..], um Bruch's abzuholen & dann nach Neuß. Die Frauen bleiben bei Steins & ich fahre mit Hr. Br. nach Düsseldorf. - Am Sonntag wollen wir Mutter, Oma & ich nach Coesfeld zum Friedhof fahren. Also, allerlei Projekte.

Soeben schrieb ich an Onkel Carl & Willi. Wenn Du mal übrige Zeit hast, dann kannst Du für diese auch ein paar Zeilen schreiben & uns schicken, auch wieder für die Hubertusstr. & Victoriastr. (zusammen!)

Von den Unruhen scheint man sich auch in der übrigen Welt nichts mehr zu denken; in unsrer Zeitung wird schon seit 14 Tagen kein

Wort erwähnt. Und was hat man sonst darüber geschrieben! Gttlob, daß es ruhiger geworden ist; hoffentlich ist die Ruhe bald wieder vollständig hergestellt. Immerhin wird man sich meiner Ansicht als Einzelner noch auf lange Zeit in acht nehmen müssen, daß man nicht zuweit von den Siedlungen abkommt. - Man muß ja nun abwarten, wie sich die Mandatsregierung endgültig zum gesamten Problemm stellt & welche Schlußfolgerungen sie daraus zieht. Die Hauptsache, daß der Aufbau weitergeht. Auch durch Rückschläge darf man sich nicht beirren lassen!

Nun, mein lieber Junge, halte den Kopf hoch, behalte Deine gute Laune & bleib mir gesund! Viele, viele Küsse Dein
Vater.

P.S. Sind die Dubletten, die ich Dir sende, gut? Soll ich Dir noch mehr schicken? Was Du nicht willst, kannst mir ja wiedersenden!

Mein lb. Ernst! Gestern habe ich Dir so viel geschrieben, dass ich heute nicht mehr viel hinzufügen kann. Bleib gesund & nimm nochmals viele Küsse
von Deiner Mutter.

Anbei einen Antwortschein.