Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst
Krefeld, Mittwoch, den 29.7.36.
Mein lieber Ernst!
Endlich gestern, am Dienstag, Nachm. ½ 5, kam Dein lieber Brief, datiert v. 15-18. Juli an. Wie Du siehst, kommen Deine Briefe immer später an! Zuerst kamen sie am Sonntag, dann am Montag, letzte 2 x erst am Dienstag & zwar zuerst mit der 1., vorige Woche mit der zweiten Post um ½ 12 h; jetzt sogar erst Nachmittags! Am schönsten für mich ists natürlich am Sonntag; denn Du kannst Dir denken, daß ich Deinen Post, wenn ich reise, erst dann am Freitag Abend erhalte, obgleich sie schon am Dienstag kommt; sonst habe ich sie schon am Sonntag, also eine ganze Woche (!) vorher! Ich bitte Dich also dringend pr. Luftpost zu schreiben, wenn dann am Dienstag die Post dort abgeht, ist sie doch bestimmt am Sonntag, oder spätestens Montag früh - also vor meiner Abreise hier! Für mich macht dies ungeheuer viel aus. Schreib bitte rechtzeitig, wenn Dein Luftpostpapier zur Neige geht; das Dir neulich gesandte & der Schnellhefter hast Du indessen wohl erhalten. Dein Brief war übrigens, durch die dichte Einlage von Ilse, zu schwer geworden & kostete 30 Pf. Strafporto.
Nun endlich zu Deinem Brief: vor allem sind wir glücklich darüber, daß es Dir gut geht & daß Du dicke Backen bekommen hast! Wenn Du Deine Größe kontrollieren willst, dann mußt Dich nach bekannter Art an die Wand stellen & immer von Zeit zu Zeit ein Strichelchen machen. Du weißt ja wie. Es interessiert uns natürlich.
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29.7.36.
Von der Bayern-Reise kann ich Dir nun leider keinen Bericht geben. Hr. Georg Meister schrieb, er käme um den 10. August hierher.
Hast Du die blaue Hose bekommen, auch die andern & die Mütze dch. Hr. Levy? Bestätige bitte alles.
Gestern sandte ich Dir auch wieder Zeitungen. Auch waren in diesem Päckchen ein paar von den s. Z. von Arjeh gewünschten Stachelbeeren. Hoffentlich gehen sie dort auf. Jetzt fangen die alten Sträucher bald an, Triebe zu bekommen & will ich Dir dann - vielleicht noch diese Woche - ein Extrapäckchen mit Trieben senden. Wir haben ja überreichlich davon. Wenn Du welche mitgenommen hättest, hättest jetzt schon bald große Sträucher. - Stachelbeeren hatten wir sehr viele, Johannisb. wenig. - Kirschen haben wir auf Schabau gesetzt.
Nun, mein Lieber, zu dem, was Du über Deine „versäumte” Zeit schreibst: Wenn Du jetzt zur Einsicht gekommen bist, daß Du viel Zeit vertrödelt oder verplempert hast, statt ein gutes Buch zur Hand zu nehmen, so ist es noch immer Zeit genug, das Versäumte nachzuholen. Es macht mir & auch der lieben Mutter Freude, daß Du zur Erkenntnis gekommen bist, daß man lesen muß, um all das Schöne & Gute in sich aufzunehmen, was uns große, [..] Geister hinterlassen haben. Die besten Freunde sind noch immer gute Bücher gewesen. - Wenn ich Dir früher dies immer vorgehalten habe, so war ich betrübt darüber, daß Du so wenig Interesse für all die schönen & guten
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und guten Bücher hattest, die in meinem Bücherschrank stehen & ich habe immer befürchtet, daß dies Manko an Interesse bei Dir bleibe, ja daß es an geistigen Interessen bei Dir überhaupt mangele, & ich war traurig darüber, daß Du gerade in diesen Dingen Deiner Mutter sowohl als auch mir selbst vollständig unähnlich seiest. - Ich bin nicht so versessen & eingebildet auf mich & meine Art, daß ich unter allen Umständen wünschte & forderte, mein Sohn müßte mein verjüngtes Ebenbild sein oder müßte unbedingt meinen Wünschen entsprechen, aber ich wünschte doch, daß mein Junge zum mindesten auf gleicher kultureller Stufe stünde wie ich, wenigstens in seiner Allgemeinbildung sollte er - also Du - nicht hinter mir zurückstehen. Deshalb habe ich Dich immer wieder auf den Schatz in unsren Büchern hingewiesen. - Nun freue ich mich, daß die Erkenntnis Dir selbst gekommen ist & ich weiß, daß du an Dir arbeiten wirst. Ich bedaure nur, daß ich so wenig Anteil nehmen kann. Noch bist Du jung & hast viele frische Jahre vor Dir, in denen Dein Geist noch aufnahmefähig ist für all die schönen Dinge, die es in Kunst & Literatur gibt. Du wirst ja wohl auch Zeit haben, daß Du neben den Arbeiten der Landwirtschaft Deinen Geist fortbilden kannst.
Ich habe zu Dir das Vertrauen, daß Du den rechten Weg gehst & wenn ich einmal - ich weiß es noch so gut wie Du - Angst & Sorge um Dich hatte, so bin ich heute darüber außer Sorge; es wird schon werden!
Ich will nun schließen & Mutter weiterschreiben lassen. Alles Gute & [..] und viele, viele Küsse
Dein Vater.
Mein lb. Ernst! Tausend Dank für Deinen lb. Brief. Am meisten freue ich mich über Deine dicken Backen,
ein Zeichen, dass Du Dich wohl fühlst. Von hier gibt es wenig Neues; Vater hat Deinen Brief Hellmut Frank gegeben. Wahrscheinlich kommt Tante Debora mit Kurt über Sonntag, die Eindhovener beehren uns ausgiebig. Anbei noch ein Foto von drüben, Kurt sandte es mir gestern noch, eine Aufnahme, gemacht, ohne dass ich es wusste & deshalb natürlich. Die halbe Frau ist Tante Bora mit Tommy, dem Hund. Fritz Rossberg war gestern hier, er bummelt immer noch in der Weltgeschichte herum, ohne Arbeit, ohne Ziel. Dabei ist er ein riesengrosser, starker Kerl geworden, der bestimmt arbeiten könnte. Frau Wertheim ist auch aus Liebenstein zurück& natürlich sehr bedrückt über den Verlust ihrer Mutter.
Obst gibt es hier kaum & das bisschen, was da ist zu sündhaften Preisen. Der Sommer war zu schlecht, kaum, dass man dünne Kleider tragen konnte. Weshalb bekommt Ihr so wenig Obst, muss alles zu Geld gemacht werden? Hoffentlich ist es mit den Trauben besser für Euch.
Da Vater Deinen Brief beantwortet hat, will ich für heute schliessen, damit der Brief noch weggeht. Alles Gute & viel Grüsse & noch mehr Küsse
Deiner Mutter.