Ernst Loewy an seine Eltern, 25. Mai 1936
Nr. 13.
Kirjat Anavim, am 25.5.
Meine Lieben!
Eigentlich hoffte ich, heute Poswt von Euch zu erhalten, erhielt jedoch keine, hoffe aber nun morgen von Euch zu hören. Zuerst will ich nun Deinen Brief, lb. Pips aus Brilon und Geseke beantworten. Du schreibst von einem Herrn, der vor einem halben Jahr einmal hier war und auch in Kirjat Anavim [..]. Dieses existiert aber überhaupt noch garnicht. Man hat wohl einen Plan, eine Mittelstandssiedlung hier anzusiedeln und jetzt dafür schon den Namen [..] (kannst Du's lesen?) Du fragst, ob wir mit den Mädels oft zusammen sind. Alle Kurse und Suchoth (Unterhaltungen, Diskussionen) haben wir natürlich gemeinsam - auch arbeiten wir z. T. gemeinsam miteinander - Ihr wissst ja, dass auch Mädels hier auf dem Felde arbeiten müssen. Auch in der Freizeit sind wir häufig zusammen. Wie das Haus aussieht könnt Ihr Euch nach dem Bilde wohl vorstellen. Leider ist das Bild nur sehr schlecht, so dass das Haus einen schlechteren Eindruck macht, als es ist. Unsere Zimmer sehn folgendermassen aus:
[..] Schulzimmer, Bibliothek
[..] Jungenzimmer - Mein Bett im 2. Zimmer oben
[..] Mädelszimmer
An Hand der Skizzen könnt Ihr Euch hoffentlich alles etwas besser vorstellen. Vor ein paar Tagen bekam Heinz Brotzen (ein Junge, der auch in meinem Zimmer wohnt) ein Klavier geschickt und ausserdem Sachen zum Basteln, unter anderm einen Detektor, den wir bald in unserm Zimmer anlegen, so dass wir hier Radio hören können. Ist das nicht fabelhaft?
Ungefähr 40 Leute der Kwuzah sind von der Gründung noch hier, die anderen sind im Laufe der 16 Jahre, sehr viele in den letzten Jahren, hierhergekommen. Die Wohnungsverhältnisse, auch der ältesten Chawerim, sind sehr primitiv. Jede Familie hat nur ein Zimmer, und zwar ein Schlafzimmer. Wohnzimmer oder dergl. gibt es hier nicht (überhaupt in keiner Kwuzah) Küche ist nicht nötig, da die Chawerim ja gemeinsam aus einer Küche essen. Die kleinen Steinhäuser haben je vier Zimmer für je eine Familie, die grösseren Steinhäuser haben sechs und mehr Zimmer. Die Zimmer sind teilweise sehr nett, aber ein Zimmer ist doch reichlich wenig. Die neueren Chawerim wohnen natürlich, soweit sie nicht verheiratet sind, zu mehreren zusammen - wie ich schon schrieb - in Holzbaracken, teilweise sogar noch (zwar nur im Sommer) in Zelten. Die grösseren Kinder wohnen nicht bei ihren Eltern, sondern haben ein gemeinsames Schlafzimmer, was ja schon wegen dem Platze garnicht anders möglich ist. - Mit den Leuten der Kwuzah kommen wir ausser der Arbeit nicht allzuviel zusammen. Mit einem Mann aus der Kwuzah haben wir Iwrith, ein anderer bringt uns schonmal ein paar Lieder bei und wieder ein anderer erzählt uns schonmal von dem Werdegang einer Kwuzah bes. natürlich von Kirjat Anavim, von den Tnuvah u.s.w. Sonst kommen wir mit den Leuten der Kwuzah sehr wenig zusammen, hin und wieder einmal mit den deutschen Chawerim. Mit den andern macht eine Unterhaltung meistens auch zu viele Schwierigkeiten, weil wir noch zu wenig Iwrith verstehen.
Gestern bin ich mit zum Minjan gegangen (und noch einige von uns). Der Vater von unserm Iwrithlehrer ist gestorben. Man hat uns gebeten zum Minjan zu gehen, da man sonst nur 4 Leute zusammenbringen konnte. Wir haben nun Iwrith. Morgen schreibe ich weiter.