Ernst Loewy an seine Eltern, 19. Oktober 1936
Kirjat Anavim, Montag, den 19. Okt. 1936.
Meine Lieben!
Obwohl ich leider noch keine Post von Euch erhalten habe, will ich schon meinen Brief anfangen. Ich erhielt heute einen sehr lieben Brief von Onkel Richard. Er schreibt, dass er sich mit meinem Brief so gefreut hat, dass er mir direkt antworten wolle. Er schickt mir einige Briefmarken mit, die ich Dir, lieber Pips, mit diesem Brief schicken werde. Sehr nett von ihm daran gedacht zu haben. Er schrieb mir einen recht langen Brief und teilt mir unter anderem auch die Adresse eines Freundes in Jerusalem mit. Falls Ihr ihm demnächst einmal schreibt, fügt bitte viele Grüsse meinerseits hinzu und teilt ihm mit, dass ich seinen Brief mit viel Freude erhalten habe.
Heute war der Zahnarzt hier und hat uns alle untersucht; vorläufig nur untersucht, die Behandlung wird erst nächste Woche stattfinden - noch unbestimmt ob hier oder in Jerusalem. Dass unsere Zahnärztin nicht mehr hier ist habe ich Euch schon früher geschrieben. Mir ist vor kurzem eine Plombe ausgefallen, und zwar an dem Zahn, wo mir schon früher einmal die Plombe ausgefallen ist. Der Arzt sagt, dass der Zahn vielleicht gezogen werden müsse. Ausserdem müssten mir vielleicht noch einige Zähne plombiert werden. Der Zustand unserer Zähne ist überhaupt im allgemeinen katastrophal. Und zwar kommt das hauptsächlich von einem grossen Kalkvorkommen im Wasser und zweitens von der Umstellung im Essen. Überhaupt soll es gerade hier in Palästina eine ungewöhnlich grosse Anzahl von Zahnkranken geben. Mit Ausnahme von Karuso hat jeder etwas an den Zähnen. Nur noch 2 Leute ausserdem brauchen vorläufig noch nicht behandelt zu werden, da es nur Kleinigkeiten sind, die noch ein wenig Zeit haben. Alle andern müssen in den nächsten Wochen behandelt werden. Ein Mädel von uns hat 11 Löcher zu plombieren. - Gleich ist Probe für die Feier, die nun sehr wahrscheinlich Ende dieser Woche stattfinden soll. Dann wird aus meiner Tel-Avivfahrt sicher doch nichts werden. Dann hoffentlich ein andermal (hoffen kann man ja lange). Ich muss nun aufhören, da gleich noch Probe ist, obwohl es schon recht spät ist. - Hoffentlich erwartet mich morgen, wenn ich von der Arbeit zurückkomme, wieder ein Brief von Euch.
Dienstag, den 20.10.
Heute habe ich Euch endlich einmal eine recht freudige Mitteilung zu machen: sehr wahrscheinlich darf ich Ende der Woche nun doch nach Tel-Aviv fahren, und zwar, weil die Feier sehr wahrscheinlich doch wieder verschoben wird; wir haben nämlich wieder
einen neuen Kranken - Heinz Brotzen ist vor ein paar Tagen vom Dach heruntergefallen und liegt nun mit einem kranken Bein im Krankenhaus. Die Kwuzah will erst dann mit uns die Feier machen, wenn wieder alle gesund sind. Von der Kwuzah habe ich nun die Erlaubnis bekommen, falls die Feier nicht stattfindet (was sehr wahrscheinlich ist) Ende der Woche für 2 oder 3 Tage zu fahren, in Anbetracht dessen, dass ich überhaupt noch nicht von hier fort wahr. Hoffentlich wird nun doch etwas aus der Fahrt. Bestimmt ist es natürlich noch nicht - es kann immer noch etwas dazwischenkommen. Bezahlen würde ich die Fahrt von meinem eigenen (d. h. eigentlich Euerem) Geld, wie es fast alle gemacht haben, die fortgefahren sind. Eigentlich ist dies ja gegen das Prinzip eigenes Geld zu benutzen, aber es wird halt doch nicht so genau genommen - es wird wohl an ½ £P kosten, da ich ja ausser der Fahrt vielleicht zum Teil auch das Essen bezahlen muss. - Heute wear Grete Kitzinger von der Jugendhilfe hier, die gerade eine Reise durch Erez macht, und dabei alle Jugendalijah besucht. - In 14 Tagen soll wieder ein neuer Junge herkommen an die Stelle von Herbert, da durch sein Weggehen ja ein Platz freigeworden ist. - Und noch eine Neuigkeit; ich werde nun wahrscheinlich doch wieder in den Gemüsegarten kommen, die Arbeitseinteilung ist wieder ein wenig geändert worden. „Schönes Durcheinander” werdet Ihr wohl denken, womit Ihr übrigens auch nicht Unrecht hättet. (Entschuldigt den Bleistift, die Tinte ist mir ausgegangen) - Leider erhielt ich heute wieder keine Post von Euch, und hoffe nun wieder auf morgen, etwas von Euch zu hören.
→ Beachte den Aufdruck
GORDON-BENNETT
30 VIII 1936!
Mittwoch, den 21.10.
Besten Dank für Euren lb. Brief vom 11.10., den ich gerade erhielt. Besonders danken will ich Dir, lb. Mutter, dass Du um Geld zu sparen wieder zu Spiro gegangen bist. Ich finde das sehr lieb von Dir. Hoffentlich wird aus Vaters Reise nach hier tatsächlich etwas, und hoffentlich bevor die 2 Jahre um sind. Am schönsten wäre es, wenn Du gerade am Ende meiner Zeit hier wärst. Dann stehe ich wieder vor einem grossen Entschluss für mein ganzes Lebens und es wäre schön, wenn Du auch dann mir wieder mit Rat und Tat (soweit dies möglich ist) beistehen könntest. Von Krefeld aus ist jedes Urteil unmöglich, da Du ja die Verhältnisse überhaupt nicht kennst. Nach meinem jetzigen Urteil
kann ich Euch immer nur dasselbe schreiben, was ich Euch schon öfters geschrieben, dass ich gar nicht daran denke für immer in der Kwuzah zu bleiben - und auf Ansiedlung gehen, das ist natürlich dieselbe Sache in grün. Wenn überhaupt die Gruppe so bleibt, wie sie jetzt ist, wird aus der Hitjaschwuth (Ansiedlung) schon sowieso nichts werden. Ich will Euch diesmal endlich über eine Sache schreiben, die mir eigentlich schon lange auf dem Herzen liegt, nämlich über die Gruppe. Es hat sich hier in diesem halben Jahre manches mit der Gruppe geändert.
Während es früher ein grosser Kreis war, in dem die Hoffnung war, später einmal ein grosser Freundeskreis zu werden, ist es im Lauf der letzten Monate zu mehreren Spaltungen gekommen, so dass die Gruppe jetzt aus einer Menge kleiner Grüppchen besteht, die sich zum Teil sogar nicht einmal „riechen” können. Der Traum von einer einigen Chewrah ist aus. Und ich selbst? Ich stehe eigentlich ziemlich ausserhalb all dieser Grüppchen. Ich stehe mit allen Leuten wie mit mehr oder weniger guten Schulkameraden - wir leben gut nebeneinander aber mehr auch nicht - solche Freunde, mit denen ich mein ganzes Leben zusammenbleiben möchte, habe ich keine hier. Wie gesagt, wir sind gute Schulkameraden, ein paar Jahre kann man schon miteinander leben. Aber auf einer solchen Freundschaft lässt sich kein Gemeinschaftsleben für das ganze Leben aufbauen (was ich für mich allerdings auch sowieso ablehne. Ich meine das Gemeinschaftsleben.) Wie schon gesagt: Ich fasse die 2 Jahre als regelrechte Schuljahre auf - und was danach ist, darüber sich den Kopf zu zerbrechen ist noch reichlich früh. - Meinen Wunsch zu Chanukah habe ich Euch schon in meinem vorigen Brief mitgeteilt - nämlich einige Bilder aus dem grünen Album. - Von dem Heine-Abend ist nicht viel zu schreiben, da nur einige Stellen aus seinen Gedichten vorgelesen wurden und ein richtiger Heine-Abend mit Biographie u.s.w. soll später mal folgen.
Dass Mutter in den Kulturbund geht freut mich sehr; zufällig hört sie zum ersten Mal Dela Lipiuskaja, die auch bei meiner ersten Vorstellung sang. Schreib mir bitte immer recht ausführlich über die Vorstellungen - so etwas fehlt mir ja hier vollkommen.
Der typhusverdächtige Junge ist nun wieder gesund und hat keinen Typhus und wird Anfang nächster Woche wieder kommen. -
Gearbeitet habe ich heute wieder im [..] beim Düngen eines Feldes, wo später Hafer gesaet wird für die Kühe als Grünfutter.