Ernst Loewy an seine Eltern, 9. November 1936

Kirjat Anavim, Montag, den 9.11.36.

Meine Lieben!

Besten Dank für Euern lb. Brief vom 30.10., den ich heute erhielt. Ich habe nun drei Briefe, die ich Euch jetzt hintereinander beantworten will. Zuerst einmal den Brief der lb. Mutter vom 22.10. Am meisten freut es mich daraus zu hören, dass Ihr jetzt schon im Ernst daran denkt, dass Vater mich demnächst einmal besuchen wird. Du fragst nach den Kosten während des Aufenthaltes hier. Diese werden nicht so gross sein. Einige Wochen kannst Du, lb. Vater, hier in der Kwuzah wohnen, was Du wohl keinesfalls zu bezahlen brauchst. Aber ausserdem wirst Du natürlich viel fort sein: in Jerusalem, Tel-Aviv, und zusammen werden wir eine schöne Reise durch das ganze Land machen - ich hoffe Dir bis dahin alles zeigen zu können. Aber das wird ja wohl ein wenig kosten. Jedenfalls auch nicht allzuviel - mit den 50 M, die Du auf Deinen Pass bekommst und mit meinen Ersparnissen, die in einem halben Jahr wohl schon etwas über 10 £P sein werden, könntest Du im Notfall schon auskommen. Besser wäre es natürlich, wenn Du ausserdem noch einwenig in Reisegutscheinen mitbringen könntest. Nach diesen Dingen musst Du Dich möglichst frühzeitig bei zuständigen Stellen, die Dir Frl. Elias nachweisen kann, erkundigen.

Jedenfalls bin ich schon glücklich, dass Ihr überhaupt schon in Gedanken bei der Reise seid. Dann wird so Gtt will auch einmal etwas daraus werden. Die schönste Zeit wäre gerade im August in Deinen Ferien. Du versäumtest nicht allzuviel und wärst in der schönsten Zeit, bei der Ernte, hier. - Die Adresse von Loewenthal, Tel-Aviv, kommt leider zu spät, da ich unterdes schon da war, aber es wird ja nicht das letzte Mal sein, dass ich in Tel-Aviv war, das nächste Mal werde ich auch sie besuchen. Max Levy hat noch nichts von sich hören lassen, was mich sehr wudnert, da er von Ilse doch noch einen Füllhalter hat. In Tel-Aviv erhielt ich den Bescheid, dass er Petach-Tikwah sei; was tut er dort? Ausser Chaim sind alle wieder gesund. Benni hat keinen Typhus gehabt und was er und der andere Junge hatten, wissen die Götter - irgend etwas am Magen, mehr wusste keiner der Ärzte zu sagen. Chaim liegt mit seinem kranken Bein noch im Bett - es geht ihm aber soweit gut. - Dass Ihr das Münchener Geld weggetan habt ist sehr lieb von Euch. Ich habe jetzt auch noch einen Chanukah-Wunsch. Tut bitte das Geld, was Ihr sonst für mich ausgegeben hättet mit in die Sparbüchse. Ein besseres Geschenk könnt Ihr mir nicht machen. Nötig habe ich garnichts mehr. - Für alle Ansichtskarten recht vielen Dank. Ich bestätige sie nicht jedesmal, sondern schreibe

Euch nur, falls eine fehlen sollte. An den Karten habe ich eine sehr grosse Freude - sie sind bei mir bestimmt gut aufgehoben.

Nun zu Deinem Brief aus Brilon, lb. Pips. Ich glaube wohl sagen zu können, dass hier in Erez alles wieder seinen gewöhnlichen Lauf nimmt und überall Ruhe ist. Juden gehen schon wieder in arabische Orte und umgekehrt sieht man auch Araber wieder nach Tel-Aviv kommen und auch schon mit den jüdischen Autobuslinien fahren, obgleich die arabischen Omnibusse genau so oft fahren und, glaube ich, auch billiger sind. Man muss sich natürlich immer noch ein wenig in Acht nehmen; so ist es ja noch nicht so eilig in die Altstadt in Jerusalem zu gehen, obwohl dort auch nichts mehr passieren würde. - An eine handkolorierte Ausgabe des „Tonio Kröger” glaube ich mich jetzt auch zu erinnern. Seht bitte einmal im Bücherschrank auf der linken Seite zwischen kleinen Novellenausgaben nach - vielleicht findet Ihr es doch wieder. Wenn Vater nach Erez kommt, soll er mir einige Bücher mitbringen - aber das hat ja schliesslich noch Zeit. - Von Else habe ich, seit ich hier bin, noch keine Zeile erhalten, obwohl ich ihr von München einmal und von hier zweimal geschrieben habe. Auch Lore lässt nichts mehr von sich hören.

Wenn ich auf meine letzte Karte aus Tel-Aviv keine Antwort bekomme, wird sie vorläufig auch nichts mehr von mir hören. Der einzige, der mir noch immer schreibt, ist Ernst Lamm. - Die Grape-fruits (Pampelmusen) schmecken fast genau wie Apfelsinen. Wir bekommen jeden Tag zwei Stück - wenn die Apfelsinenernte ist, bekommen wir stattdessen Apfelsinen. - Unser Orchester, obwohl schon vor Monaten gegründet, ist noch nicht ein einziges Mal zusammengekommen. Unsere Radios sind schon längst wieder in den Schränken verschwunden, da wir ja in der Kwuzah ein viel besseres mit Lautsprecher haben. Auch Tumb (oder mit p? ich weiss es nicht) habe ich schon lange nicht mehr gespielt. - Es tut mir leid, dass ich nicht in Tel-Aviv daran gedacht habe, mich einmal richtig photographieren zu lassen; aber jetzt ist es leider zu spät. Mir einen Film zu schicken, hat keinen Zweck, da wir sie alle abgeben müssen um sie für die Fahrten aufzuheben. So muss man sich schon auf das Glück verlassen, gelegentlich einmal per Zufall geknipst zu werden.

Und nun noch zu Euerm Brief vom 30.10.

Dass der lb. Pips mich zuerst hier besuchen soll, war für Dich lb. Mutter sicher ein nicht so leichter Entschluss, aber jedenfalls aus mehreren Gründen der richtige. Wenn Vater einmal hier ist, kann er einmal sehen, was es hier eventuell für Möglichkeiten für Euch geben kann, wie das mit einem event. Anfordern sein wird u.s.w. Vater wird

diese Dinge natürlich am besten erledigen können. Es wird auch für Dich lb. Mutter, eine Möglichkeit geben, mich einmal zu besuchen. - Ihr wollt wissen, woher es kommt, dass das Verhältnis unserer Gruppe augenblicklich so schlecht ist. Das kann man natürlich nicht so sagen, das hat sich im Laufe der Zeit so herausgebildet, dass sich einige Leute verkracht haben, und ist so schlimm geworden, dass es jetzt einzelne Grüppchen gibt, die kein Wort mehr miteinander sprechen.Ich habe Gtt. sei Dank mit niemandem Krach, aber andererseits ist das Verhältnis zwischen mir und den andern Leuten weiter nichts als eine kleine Schulfreundschaft ohne irgendwelche inneren Bindungen. Der einzige wirkliche Freund, den ich hier hatte, war Herbert - aber der ist ja leider nicht mehr hier. Ich bin nun zu müde um weiterzuschreiben. Es ist schon spät. Dieser Tage wieder mehr.

Mittwoch, den 11.11.36.

Meinen am Montag angefangenen Brief will ich jetzt weiter schreiben. Die Jugendhilfe denkt natürlich nicht daran uns zu zwingen zusammen auf Ansiedlung zu gehen. Vollmacht über uns hat sie überhaupt nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Der Sinn der zwei Jahre ist, dass sich aus der Gruppe ein möglichst grosser Kern bildet, der einmal ein gemeinsames Leben führen will. Der augenblickliche Stand der Gruppe ist aber völlig ohne diesen Kern. Es war, und ist vielleicht auch heute noch, ein Grüppchen in der Chewrah, das von sich behauptete der Kern zu sein. Das sind aber hauptsächlich die Grosssprecher, die „unbedingt” auf Hitjaschwuth gehen wollen, im grossen ganzen aber bei der Mehrzahl unserer Leute am unbeliebtesten sind. Nach den zwei Jahren gibt es für uns überhaupt drei Möglichkeiten. Erstens die Hitjaschwuth (Ansiedlung), die augenblicklich nur sehr wenige Leute mitmachen würden, zweitens in eine andere Kwuzah und drittens in die Stadt gehen. An letzteres denken, glaube ich, noch die meisten - einige wollen vielleicht zur Polizei, andere zu Verwandten und andere wollen irgendwie Geld verdienen um die Eltern einmal anfordern zu können. Zu den letzteren gehöre natürlich auch ich. Die Eltern in eine Kwuzah anzufordern, da denkt wohl keiner von uns dran. Nach dem, was ich hier von den angeforderten Alten sehe, wünsche ich Euch lieber in Krefeld zu haben als hier. Hier in Kirjath Anavim zu sein, hiesse für Euch alles aufgeben und Euer ganzes Leben in einer schmutzigen Bretterbude in einem Zimmer zu verbringen. Auch ist keiner von den angeforderten Alten aus Polen hier zufrieden, obwohl sie früher

sicherlich einen kleineren Lebensstandard hatten als Ihr. - Lieber Vater, Du schreibst von einem „zu nichts bringen” in der Kwuzah. Dieses ist bestimmt nicht der Grund aus dem ich mich in der Kwuzah nicht für immer wohl finden könnte. Der Grund ist das völlige Gebundensein an andere Menschen, das einem nicht einmal in privaten Dingen irgendwelche Freiheit lässt. - Hiermit glaube ich Eure Briefe nun ausführlich beantwortet zu haben. Von hier noch folgendes. Wir bekommen jetzt bald Elektrisch. Die Vermessung war schon, und bis nahe an die Kwuzah hat man von Moza aus schon die Masten aufgestellt. Jetzt ist man schon dabei in der Kwuzah Löcher für die Masten auszuheben. In Palästina sind die Kabel nie unter der Erde - auch in den Städten nicht; so sieht man in Tel-Aviv in jeder Strasse die Masten, die gleichzeitig für Elektrisch und Telefon sind. -

Gearbeitet habe ich in den letzten Tagen beim Düngen auf zwei kleineren Feldern, wo Rote Rüben, Rettich und Zwiebel gesät werden. Mit dem Feld für Grünfutter sind wir soweit fertig. Es ist schon gepflügt, gesät und geeggt.

Samstag, den 14.11.36.

Bald werden nun unsere Zähne in Ordnung gebracht werden, und zwar nicht von dem Zahnarzt aus Jerusalem, sondern von einem Zahnarzt, der seit einigen Tagen hier in der Kwuzah ist und hier Chawer wird. Früher hatten wir ja schon einmal eine Zahnärztin hier, die, als sie wegging, ihre ganzen Apparate hiergelassen hat, so dass der neue Zahnarzt schon alle Werkzeuge beisammen hat. Dieser Tage werden wir nun alle behandelt werden. - Vorgestern abend haben wir zusammen einige wunderschöne Märchen von Oskar Wilde gelesen, der glückliche Prinz und noch eins. Gestern abend lasen wir zusammen den „Dibbuk” von An-ski. - Heute morgen sind wir alle in die Imkerei gegangen, wo uns der Imker einiges von den Bienen erklärt hat, unter anderm auch einen Kasten geöffnet hat um uns die Waben genau zu zeigen - es war sehr interessant. Das ist alles, was ich Euch heute für Neuigkeiten schreiben kann. Viele Grüsse und Küsse
Euer Ernst.

Dir, lb. Grossvater, recht gute Besserung!