Ernst Loewy an seine Eltern, 22. November 1936
Mein Papier geht zur Neige. Schickt mir bitte neues.
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Kirjat Anavim, Montag, den 22.11.36.
Meine Lieben!
Ich erhielt heute Euer Wurstpaket, für das ich Euch recht herzlich danke, und mit dem ich mich riesig gefreut habe. Aber trotzdem muss ich ein wenig mit Euch schimpfen und habe eine Bitte an Euch - schickt mir bitte nicht noch einmal irgend so etwas. Es ist doch wirklich schade für das Geld. Das Paket hat Euch 3 M gekostet und dafür habe ich ein Stückchen Wurst bekommen, das ich in Tel-Aviv für 25 Mils haben konnte. Ihr wisst doch, dass ich von solchen Sachen fast garnichts habe. Alle solche Dinge werden doch aufgeteilt, so dass ich von dieser Wurst gerade ein Viertel für mich selbst hatte. Und dafür lohnt es sich doch nicht soviel Geld auszugeben, wo Ihr es doch sicherlich nicht auf der Strasse findet. - Der Winter hat angefangen. Seit zwei Tagen hat es fast unaufhörlich geregnet - und zwar ein Regen, wie ich ihn vorher noch nie gesehen habe ( an einem Tag 127 mm - das ist soviel, wie bei Euch in einem durchschnittlichen Monat). Was für Schlamm und Schmutz hier ist, könnt Ihr Euch kaum vorstellen. Oft versinkt man 20-30 cm im Dreck. Wir haben sofort unsere Gummistiefel herausgetan und können ohne diese nicht einen Schritt aus dem Hause tun, ohne nachher das ganze Zimmer zu versauen. Auch die andern Wintersachen haben wir zum Teil schon hier, und die übrigen folgen bis Mitte der Woche. Zur Arbeit ziehe ich jetzt meinen alten grauen Trainingsanzug und meine blauen Arbeitshosen an, und mittags meinen blauen Trainingsanzug, meinen Manchesteranzug (solange es nicht so kalt ist, dass ich ihn zur Arbeit gebrauche) und meine alte Knickerbockerhose. - Die Arbeit ist alles andere als schön. Solange es regnet kann man natürlich keine Feldarbeit machen. Die Leute, die sonst auf dem Felde arbeiten, stehen morgens erst einmal eine Stunde rum und warten bis sie irgendwie zugeteilt werden. Ich habe heute in der Futtermischerei gearbeitet. - Zum Zahnarzt muss ich jetzt alle zwei Tage gehen. Er weiss noch nicht, ob er meinen Zahn noch retten kann, will aber sein möglichstes versuchen - es würde aber jedenfalls noch recht lange dauern.
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24.11.36. Mittwoch.
Vielen Dank für Euren lb. Brief vom 15. ds. mit Bild, womit ich mich herzlichst gefreut habe. Ausserdem erhielt ich einen Brief von Rolf Schwarz bei dessen Lesen ich beinahe auf den Popo gefallen wäre, da ausser einen Zeilen noch - Esther Gampertz angeschrieben hatte, die seit kurzer Zeit auch dort ist. Ich hatte davon natürlich nicht die geringste Ahnung und könnt Ihr Euch wohl gut mein Erstaunen vorstellen. Auch sie schrieb, dass der Gdud Krefeld aufgelöst sei. Sie sagt „leider” - ich sage „Gtt. sei Dank”. Der Bund hat dem Zionismus mehr geschadet als genützt. Dass allerdings die Leute daraufhin gemeinsam in den R.J.F. gegangen sind, ist traurig. Der Name R.J.F. ist ja übrigens nicht mehr erlaubt - mich würde interessieren, wie er sich jetzt nennt. Auch von Kurt Bruckmann erhielt Ilse vor ein paar Tagen einen Brief aus London, der auch an mich gerichtet war. - Das Wetter hat sich ein wenig gebessert. Es hat unterdessen hin und wieder noch geregnet, daneben waren aber auch wieder schöne sonnige Stunden. Überhaupt dürft Ihr nicht denken, dass es hier in der Regenzeit ununterbrochen regnet. Durchschnittlich soll es so sein, dass es im November zwei bis drei Tage, im Dezember fünf bis sechs Tage und im Januar fünfzehn Tage regnet. Im Februar und März nimmt der Regen wieder ab und in den April verliert sich einmal eine einzelne Schauer. -
Ich habe noch eine Bitte an Frau Kaufmann - mir noch einen Kamm und eine Bürste mitzubringen, da ich die meinen verloren habe, und ich augenblicklich nur einen ganz kleinen Kamm habe. - Fritz ist am Montag aus Ramath Dawid zurückgekommen und hatte uns von dem Treffen manches zu erzählen. - Ilses Paket hatte auch Nachporto gekostet, während mein Wurstpaket genügend frankiert war. Eure guten Appetitwünsche kamen leider zu spät, da die Wurst schon mit bestem Appetit verspeist war. - Und nun zu Eurem Brief: Falls ich einmal wieder nach Tel-Aviv kommen sollte, werde ich auch Frau Liesel Heimann einmal besuchen. Ich hatte dies auch auf meiner letzten Fahrt schon vor, wusste aber garnicht, als ich in meinem Büchlein die Adresse las, wer
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Liesel Heimann sei. Ich habe soviel Adressen, dass ich garnicht weiss, wer diese Leute alle sind, und in welcher Beziehung sie zu Euch stehen. - Die meisten Filme, die in Tel-Aviv gespielt werden, sind deutsche Filme - viele österreichische werden auch gespielt, englische weniger. An einer Seite erscheint ein hebräischer, auf der andern ein englischer Text. Als ich in T.A. war, wurde in dem grössten Kino gerade der „Verlorene Sohn” mit Louis Trenker gespielt. In Jerusalem sollen mehr englische Filme gespielt werden. Die Habimah spielt immer in grösseren Kinos, die auch auf Theater eingerichtet sind. Eine feste Bühne hat sie hier nicht. Ebenso die zweite hebräische Bühne der „Ohel”. Beide spielen nicht nur in den drei Städten, hin und wieder auch in den grossen Siedlungen, wie Pethach Tikwah und Rechowoth. Für das grosse Toscaninikonzert wird eine der grossen Hallen auf dem Messegelände in Tel-Aviv umgebaut. Das Messegelände habe ich leider nicht gesehen, da es zu weit ausserhalb der Stadt liegt. - Ich muss jetzt zum Abendessen gehen und Euern Brief gerade an der Stelle unterbrechen, wo die Mutter zum Essen ruft. Hier ruft nicht die Mutter, sondern die ganze Chewre schreit „le echol, le echol”. Übrigens essen wir jetzt schon um ½ 6 Uhr. - Ich habe gut zu Abend gegessen, Kartoffeln und Hering, und will Euch nun weiter schreiben. Gurken haben wir sehr oft bekommen, auf die andern „Delikatessen” wie Kastanien verzichte ich aber gerne. Einmachen tun wir hier auch, zwar keine Gurken (die kaufen wir fertig eingemacht) sondern Oliven, wovon wir ungefähr 6 Fässer hatten, so gross, wie grosse Bierfässer; die wir aber zum grossen Teil verkaufen. Obst einzumachen wäre natürlich zu teuer. - Die Fahrt von hier nach Tel-Aviv dauert ungefähr 45 min., nach Jeruschalajim 15 min. Ich bin alleine mit der „Egged” nach Tel-Aviv gefahren. Eigentlich wollte ich mit Walter Stern fahren, aber in dem ersten Auto, das vorbeifuhr, war nur noch ein Platz frei. Die Egged fährt hier alle Viertelstunde von Jerusalem nach T. A. Während der Unruhen fuhr sie nur ein paar mal am Tage - immer ein Dutzend Wagen
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hintereinander mit einer Polizeieskorte. Aber schon seit 4 Wochen, fahren sie wieder einzeln. Die Fahrt ist landschaftlich grossartig. Man überwindet in 40 km eine Höhe von 700 m. Man fährt zuerst durch ein Tal, das z. T. wie ein amerikanischer Kañon in das Gebirge Juda einschneidet. Zu beiden Seiten nichts als kahler Felsen - hin und wieder einmal ein Araberdorf. Schliesslich kommt man in die Ebene, fährt durch Zitrusplantagen, sieht in der Ferne Ben-Schemen, dann kommt man nach Ramleh, einer arabischen Stadt und dann kommt Tel-Aviv. Der schönste Teil der Strecke ist aber oberhalb von Kirjath Anavim nach Jerusalem zu, besonders bei Moza, wo man in riesenhaften Serpentinen die Berge überwindet. Parallel der Strasse läuft die grosse Wasserleitung, die Jerusalem mit Tel-Aviv verbindet. Alle 10 km ungefähr kommt man an grossen Pumpwerken vorbei, die das Wasser den Berg hinaufpumpen, und die äusserst modern und schön angelegt sind. - Über meine Kleidung wollt Ihr etwas wissen? Ich bin ziemlich genau so angezogen wie auch in Deutschland. Besonders jetzt im Winter - der einzige Unterschied ist, dass ich keine Krawatte trage, die man hier überhaupt viel weniger trägt, als in Deutschland, auch Erwachsene. Und ausserdem tragen wir im Sommer kurze Hosen, was hier auch kein Zeichen der Kindheit ist, sondern was auch viele ältere Leute tun. Alles andere ist genau wie früher. Die Kluft ziehen wir kaum noch an - es ist ja doch nichts als Maskiererei. In Tel-Aviv hatte ich meine weisse Hose mit weissem Hemd an, und in Jerusalem meine kurze braune Hose mit einem der schönen Polohemden und dem kleinen grünen Pullover. Wenn wir das nächste mal fahren, ziehe ich meinen grauen Anzug an. Hans S. hatte gar keinen Grund einen roten Kopf zu bekommen, ich bin froh, dass ich die Krawatte nicht mitgenommen habe, da ich sie in den ersten Jahren doch nicht tragen würde. Besonders nicht in der Kwuzah, wo man nie Krawatten trägt. Selbst der Chawer, der Direktor der Tnuvah ist, ist nicht im Besitze einer solchen.
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Samstag, den 29.11.36.
Gestern erhielt ich 10 M von Euch, für die ich Euch vielmals danke. Ich bekam dafür 0,792 £P, nachdem ich das letzte mal 0,742 erhielt. - Gestern abend war hier ein richtiges Konzert, und zwar von drei jungen Musikern, die in Jerusalem am Konservatorium sind und dort im Radio spielen. Einer der drei Jungen ist ein Bruder von einem Chawer von mir aus Hamburg. Alle drei noch blutjunge Kerls - der jüngste (ein Geigenspieler mit grossem Talent) erst 17 Jahre. Alle drei kamen auf besondere Zertifikate mit einer Gruppe junger Musiker, die vom High Comissioner persönlich angefordert wurden. Ihr könnt Euch denken, dass da nur ausgesuchte Talente in Frage kommen. Gestern abend spielten sie eine Sonate von Weber (Klarinette mit Klavierbegleitung) und ein Geigensolo. Danach folgte ein Referat von einem der jüdischen Führer Polens über die dortige augenblickliche Lage. Das eigentliche grosse Konzert soll heute abend stattfinden. Die jungen Leute sind besonders von der Kwuzah eingeladen worden. Heute spielen sie den ganzen Tag oben bei uns im Schulzimmer. Das ist einmal eine recht schöne Abwechslung für uns. - Ich habe dieser Tage einmal eine Karte an Fritz Seligmann geschrieben. - Vor ein paar Tagen war Weizmann wieder einmal hier, aber nur für einige Minuten, ich selbst habe ihn nicht gesehen. - Die Wintersachen haben wir nun alle draussen. In einem meiner Anzüge fand ich einen Notizblock in den Du lb. Mutter mir die Adressen aufgeschrieben hast von den Leuten, bei denen ich mich verabschieden sollte. Es ist nun schon über ein halbes Jahr danach. Schickt mir bitte in Euerm nächsten Brief ein paar Stäbchen für die Kragen in meinen Hemden - es sind keine mehr drin. - Anbei ein Bild von mir, was allerdings schon sehr alt ist, was ich zufällig gefunden habe. Am Vortag von Sukkoth die ganzen Kinder der Kwuzah. Links oben mit der Sonnenbrille in ich. Schickt das Negativ bitte zurück. Viele Grüsse und Küsse Euer Ernst.