Ernst Loewy an seine Eltern, 30. November 1936

Kirjat Anavim, Montag, den 30.11.36.

Meine Lieben!

Herzlichen Danke für Euren lb. Brief vom 22.11. mit Bild Nr. 7. Du lb. Mutter schreibst etwas über ein Bild Nr. 6, welches Du geschickt hättest. Das habe ich nicht erhalten. Mein letztes Bild war Nr. 5 „Maria in der Felsengrotte” von Leonardo. Ich will nicht hoffen, dass etwa ein Bild (dazu sogar noch ein Brief - denn im letzten Brief war Nr. 5, und in der Zwischenzeit habe ich keinen Brief ohne Bild erhalten, verlorengegangen ist. Überlegt Euch bitte einmal, ob Ihr Euch nicht vielleicht verzählt habt. Schickt mir bitte von nun an Bilder in folgender Reihenfolge: Michelangelo, Raffael, Dürer, Rembrandt u.s.w.

Das Wetter ist augenblicklich wieder sehr gut und scheint es in den nächsten Tagen auch wohl zu bleiben. Wir haben heute wieder auf dem Felde gearbeitet - Rote Rüben zum Teil gesät und zum Teil gepflanzt (kleine Pflanzen, die vorher schon im Mistbeet gesät waren). - Ich bin unterdes schon wieder ein paarmal beim Zahnarzt gewesen. Heute hat er mir die fünfte Einlage gemacht. Übermorgen wird mir schon die Wurzelplombe gemacht. - Du meinst, lb. Pips, dass Dich eine Reise nach hier 550 M kostet. Nach meiner Schätzung kann man schon mit 400 M auskommen, da meine Ersparnisse bis dahin hoffentlich auch schon 200 M betragen werden, wahrscheinlich sogar mehr. Allerdings muss man, soviel ich weiss, 800 M hinterlegen, aber die würdest Du Dir wohl leihen können. Für Euer „Chanukahgeschenk” recht vielen Dank. - Gestern haben wir einen Kunstgeschichtekursus angefangen, an dem ich natürlich auch teilnehme. An einem der letzten Abende lasen wir von Kleist den „Zerbrochenen Krug”. Das wären so alle Neuigkeiten. Euern Brief werde ich morgen zu Ende beantworten.

Dienstag, den 1. Dezember.

Ich erhielt heute eigentümlicherweise Euern Brief vom 19. Nov. mit Bild 6. Der Brief vom 22. Nov. hat diesen also regelrecht überholt. - Ich muss leider sagen, dass ich mich mit diesem Brief nicht allzusehr gefreut habe, da ich sehe, dass Ihr Euch auf Grund meines Briefes vom 24.10. unnötige Kopfschmerzen und Gedanken macht.

Alle andern Chawerim schreiben von diesen Dinge nie das geringste nach Hause, aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass besonders auch solche Dinge die Eltern wissen müssen, damit sie das Leben in einer Kwuzah und Chewrah, das allen Eltern völlig unbekannt sein dürfte, wirklich einmal kennen lernen. Ich sehe, dass Ihr mich völlig falsch verstanden habt und Euch sehr unnütze Aufregung macht. Wenn ich schreibe, ich stände „ausserhalb” der Grüppchen, so soll das weiter nichts heissen, als, dass ich nicht gewissermassen ein Mitglied irgend so einer Clique bin. Damit sollte doch garnicht gesagt sein, dass ich nicht in der Gruppe als Gesamtheit stehe, und mich womöglich in die Ecke stelle und nicht meinen Mund aufmache. Das einzige, was diese Grüppchen meistens überhaupt gemeinsam haben, ist der Krach mit einer andern Gruppe. Selbstverständlich sind auch längst nicht alle Leute in solchen Grüppchen. Und wenn ich schreibe, ich hätte hier keinen Freund, mit dem ich mein ganzen Leben beisammen sein möchte, so heisst das auch nicht, dass ich von allen Leuten abseits stehe und mich mit niemandem unterhalte. Ich stehe hier mit ziemlich allen Leuten wie mit guten Schulkameraden, und für ein paar Jahre genügt auch ein solches Verhältnis vollkommen, nur nicht für immer, da die wirkliche innere Bindung fehlt - doch bezweifle ich noch sehr, ob diese innere Bindung bei den andern Leuten vorhanden ist, selbst innerhalb der Grüppchen. Ich glaube kaum, dass die Bindung irgendwo so gross ist, dass man von einer lebenslänglichen Freundschaft sprechen kann. Ihr müsst immer daran denken, dass eine Chewrah etwas ganz anderes sein soll, als eine Schulgemeinschaft; sie soll die Vorbereitung sein für eine spätere Kwuzah, wo jeder den andern kennen soll, wie seinen Bruder. Und wenn ich hier an dieser Gruppe Kritik geübt habe, so tat ich es vom Standpunkte einer Chewrah, die ja die meisten der Chawerim als ihr Ideal sieht, und nicht vom Standpunkt einer Schulklasse. Als Klassengemeinschaft ist das Verhältnis zwischen der Gruppe und mir immer noch sehr gut - allerdings als Chewrah werden an ein Zusammenleben höhere Anforderungen gestellt. Ich hoffe, dass Ihr jetzt eingesehen habt, dass die alles garnicht so ist, dass man sich darüber aufregen muss - und eine Aufregung und unnütze Gedanken habe ich deutlich aus Euern zwei letzten Briefen herausgelesen. Mich persönlich kann das ganze schon sowieso nicht aufregen, da ich nie vorgehabt

habe mein ganzes Leben in der Kwuzah zu verbringen, bezw. mit der Gruppe zusammen eine Kwuzah zu gründen, was im Prinzip dasselbe ist. Ihr werdet verstehen, das für mich die Enttäuschung keine Bedeutung hat, während für viele Leute, die als ihr oberstes Ideal eine gute Chewrah sehen es eine grosse Enttäuschung war, als sie den Zerfall der Gruppe sahen. Ich hoffe, dass Ihr mich verstanden habt. Diese Dinge sind schwer zu erklären und könnt Ihr Euch leicht ein falsches Bild über all diese Dinge machen. Jedenfalls habe ich die eine grosse Bitte an Euch, Euch keine Gedanken mehr darüber zu machen, und kann ich Euch immer noch mit bestem Gewissen das eine wünschen, dass es Euch so gut geht wie mir und, dass Ihr vor allen Dingen, immer so gute Laune habt wie ich (d. h. wenn ich nicht gerade einen solchen Brief von Euch empfange, wie der, den ich Euch jetzt genügend beantwortet zu haben glaube). Dann bitte ich Euch noch eines, diese Dinge niemand anderem zu erzählen, da ich weiss, dass ausser mir niemand über diese Dinge nach Hause schreiben will. Ich hoffe also nun wirklich, dass Ihr jetzt beruhigt seid. Und was nach 1 ½ Jahren ist, darüber braucht sich noch keiner von uns Kopfzerbrechen zu machen; bis dahin kann so vieles anders sein und dann wisst Ihr - die Jugendhilfe hat bisher noch allen geholfen - keiner der mit der Jugendalijah ins Land gekommen ist hat bisher Hunger leiden brauchen. - Ihr fragt ausserdem noch, mit wem ich zusammen schlafe. Immer noch mit denselben Leuten: Fritz, Rolf und anstelle von Herbert ist ja der neue Junge bekommen. Mit Fritz stehe ich übrigens sehr gut. Ihr könnt daraus ersehen, was für ein feiner Kerl er ist - er wollte zuerst nicht haben, dass ich mein eigenes Geld für die Reise nach Tel-Aviv benutze, da es ja eigentlich den Eltern gehört, und wollte er für mich die Reise bezahlen. Er hat nämlich Privatgeld. Dass ich das nicht angekommen habe, ist ja selbstverständlich. Ihr fragt noch wie ich zu Karuso, Kurt und Ilse stehe, mit allen drein wie gute Schulkameraden. Ilse und ich lesen uns zum Teil gegenseitig die Briefe vor, was uns beide interessiert. Mit allen drein spreche ich über Vergangenes, seltener auch über Zukünftiges. Nun wirklich Schluss für heute.

Herzl. Küsse Euer Ernst. [..]!

Freitag, 4.12. Auch heute nichts neues mehr. Nochmals Grüsse u. Küsse.