Ernst Loewy an seine Eltern, 7. Dezember 1936
Kirjat Anavim, Montag, den 7.12.36.
Meine Lieben!
Heute war ein grosser Tag hier für die Kwuzah. Heute mittag kam ein Herr Gordon von der Jewish Agency mit noch einigen Leuten, sofort hinter ihnen wäre die Königl. Kommission unter Lord Peel nach Kirjath Anavim und 10 Minuten drauf fuhren schon die 5 Autos mit ihren Lordschaften ein. Natürlich grösste Aufregung in der Kwuzah. Eine Führung durch den ganzen Meschek (Wirtschaft) unter Leitung dieses Herrn Gordon. Vorn an die Royal Commission mit Gordon und den führenden Leuten der Kwuzah - dahinter die halbe Kwuzah. Und dann ging's durch die ganze Wirtschaft, mindestens eine Stunde lang. Die Leute aus der Kwuzah mussten alles erzählen - von der wirtschaftlichen Lage der Kwuzah, den Unruhen u.s.w. Gordon dolmetschte. Auch mit uns hat sich seine Lordschaft Peel herabgelassen zu sprechen. Er wollte wissen, woher wir kommen, was wir arbeiten, wie lange, was wir lernen und was wir nach den zwei Jahren tun werden. Dann hat man sich den Kuhstall angesehen, ein Haus von innen u.s.w. Und dann fuhren sie wieder fort; jeder Wagen mit Polizeibewachung. Einige der Herren wollen wiederkommen um sich hier die Schule und Kindererziehung einmal genauer anzusehen. Es war jedenfalls sehr interessant. Das ganze war wie eine Prozession, vorne die Kommission und dahinter die ganze Kwuzah und so ging's durch ganz Kirjath Anavim. - Am Freitag abend war hier wieder eine grosse Feier - Barmiz wah von zwei Jungens - bezw. von dreien, denn der Junge, der damals Barmiz wah wurde, wurde noch einmal mitgefeiert, da in den Unruhen die Feier nur sehr kurz ausfallen konnte. Diese Feier war nun sehr gross - wie immer gab es Kuchen und Obst mit geschwungenen Reden und die Hauptsache war - vom „Ohel” hat man extra zu der Barmiz wah einen Komiker eingeladen und nun kam nach den ernsten Reden noch ein lustiger Teil. - Samstag mittag sind wir zusammen nach Nachlath Jizchak gegangen, dem jüdischen Steinbruch, der zwischen hier und Moza liegt. - Übermorgen fährt Fritz wieder einmal nach Haifa, aus einem sehr schönen Grunde für ihn, nämlich um seine Eltern abzuholen, die jetzt schon auf dem Schiff sind. Er hat sie drei
Jahre lang nicht gesehen. Wie lange wird es dauern, bis ich Euch wiedersehen werde? Hoffentlich wird es nicht so lange dauern wie bei Fritz. - Freitag werden wir nun nach Kwuzath Schiller fahren, am Schabbath dort bleiben und wahrscheinlich am Sonntag wiederkommen. Wir werden wohl von Jerusalem bis Rechowoth mit der Eisenbahn fahren und vor dort mit dem Auto. Hoffentlich ist das Wetter dann gut, dass sich die Fahrt auch lohnt. - Und nun noch etwas sehr wichtiges. Wir hatten jetzt endlich einmal eine Sichah über die Zustände in der Gruppe. Einige Streitigkeiten, bezw. Spaltungen sind nun so auf die Spitze getrieben worden, dass sich endlich einmal eine offene Aussprache ernötigte. Fritz sagte unter anderm, dass sich gegen eine Abneigung zwischen einzelnen Leuten, wie es hier viele gibt, einfach nichts machen liesse, dass sich aber die einzelnen Leute doch etwas mehr zusammennehmen sollten, so dass dann wenigstens äusserlich die Gruppe etwas geschlossener dastehen sollte. So, wie es jetzt ist, könne es unmöglich weiter gehen. Man sollte sich ein wenig beherrschen, und dann würden solche Fälle sicher nicht mehr vorkommen, dass einer nicht das Zimmer eines andern betreten will, da dort jemand wohnt, mit dem man nicht spricht. Alle versprachen nun, dass sie sich gegenseitig von jetzt an etwas zuvorkommender benehmen wollen. Ich glaube jetzt allerdings auch, dass sich alles etwas bessern wird; ob nun allerdings eine wirkliche Chewrah sein wird, bezweifle ich sehr - jedenfalls habe ich die eine Hoffnung, dass es zum mindestens nach aussen hin endlich besser wird. Ob auch nach innen? Ich bin in diesem Falle sehr pessimistisch. Übrigens sagte Fritz, dass wir garnicht die einzige Gruppe sind, wo solche Spaltungen sind, sondern dass es in fast allen andern Gruppen genau so, zum Teil sogar noch schlimmer aussehe. Für heute [..] (genug) [..] Gute Nacht!
Mittwoch, den 9.12.36.
Gestern erhielt ich Euren lb. Brief vom 29.11. Ich bin betrübt, dass Ihr Euch auch in diesem Briefe wieder Gedanken über mein Wohlergehen macht. Eure Fragen nach meinem geistigen und seelischen Wohlbefinden sind Euch, glaube ich, in meinem letzten Brief wenigstens schon indirekt beantwortet worden. Ich kann auch dieses mal nur das wiederholen, dass es mir in jeder Hinsicht gut geht, dass ich immer bei bester Laune bin und auch meinen guten Mut nicht verloren habe und dass ich es vor allen Dingen noch in keiner Sekunde bereut habe, hierhergekommen zu sein, sondern, dass ich froh und glücklich bin hier in meiner Heimat zu sein, an ihrem Aufbau mithelfen zu dürfen und noch 1 ½ Jahre vor mir habe, wo ich in meiner schönsten Jugendzeit Gelegenheit habe, alles lernen zu können und mir um mein täglich Brot keine Sorgen machen zu brauche. Ich hoffe, dass Euch diese
Versicherung genügt, und dass ich vor allen Dingen auch von Euch wieder frohere Briefe erhalte. Was ich nach den zwei Jahren machen werde, habe ich darüber noch wenig nachgedacht, und hätte dies auch jetzt noch gar keinen Zweck. Am liebsten würde ich auf dem Lande leben, nicht nur als Zionist, sondern weil ich mir kaum etwas schöneres und kaum einen freieren Menschen darstellen könnte, als einen Bauer, der sein kleines Gut bewirtschaftet und sich wenig Sorgen machen muss. Aber das ist leider nicht so einfach, weil dazu nämlich eine Menge Geld gehört. Und ohne Geld ist es sehr schwer als einzelner auf dem Lande etwas anzufangen. Und als einzelner als Tagelöhner in die Kolonien zu gehn? Da ist mir doch die Kwuzah noch lieber. Es gibt vielleicht noch andere Möglichkeiten auf dem Lande - ich weiss es nicht. Und was ich sonst machen könnte? Auch das weiss ich nicht und ist es wirklich Unsinn sich jetzt schon darüber Sorgen zu machen. Aber auch nach 1 ½ Jahren bin ich noch jung - erst 18 Jahre und da lässt sich noch vieles anfangen. Und ausserdem ist die Jugendhilfe da, die uns allen helfen wird. Und nun für vorläufig Schluss mit diesen Grübeleien. In einem Jahr kann man sich einmal ernsthaft damit befassen. Jetzt ist es wirklich noch zu früh dazu. Was kann sich bis dahin nicht alles ändern. -
Ihr müsst mir von nun an etwas öfters Luftpostpapier schicken. Meines ist schon seit 8 Tagen zu Ende und musste ich mir schon welches leihen. Eure Rasierklingen habe ich beide erhalten. - Von Lore erhielt ich Anfang der Woche wieder einen Brief, worin sie mir schrieb, dass das mit H. Jakobus nur Gerüchte sind, woran nicht das Geringste wahr ist - sie wolle mir jetzt auch öfter schreiben. - Heute ist der Chawer der Kwuzah, der in Holland neue Kühe kaufen will, losgefahren. Er fährt auch durch Deutschland, Strecke München, Frankfurt, Köln, Duisburg, Emmerich. In Frankfurt soll er drei Tage bleiben. Für so einen Mann doch wundervoll, der 16 Jahre hier an demselben Fleck gesessen hat. - Gestern abend war von den Kindern des Kindergartens eine kleine Chanukahfeier. Anschliessend machten wir unter uns noch eine Feier. Zuerst zündeten wir die Lichter an, sangen Maos Zur und dann gab's Süssigkeitenn und dann folgte ein lustiger Teil mit Gesellschaftsspielen und dergl. Eine grosse Chanukahfeier wird in der nächsten Woche stattfinden, mit einem richtigen Theaterstück auf einer richtigen Bühne. Die Einzelstimmen werden von der Schule gestellt; wir machen wieder einen Sprechchor, an dem auch ich wieder mitmache.
Die technischen Vorbereitungen sind schon im Gange. Die schönsten Chanukahtage werde ich hoffentlich in Kw. Schiller begehen. Wir wollen dort eine grosse Sichah machen erstens über das Thema „Schabbathausgestaltung” und zweitens über das Thema „Warum sind wir in der Kwuzah?” In meinem nächsten Brief werde ich Euch über alles ausführlich schreiben können. Übrigens haben wir auch vor, am Sonntag noch nach Maayan zu gehen, einer Kwuzah der Makabbi Hazair in der Nähe von Kw. Schiller. Ich freue mich riesig auf die Fahrt, werde ich doch wieder einmal ein Stück meiner Heimat kennenlernen.
Donnerstag, den 10.12.36.
Da ich Ende der Woche ja nicht hier sein werde, schicke ich diesesmal diesen Brief schon morgen fort. Neues habe ich nicht mehr zu schreiben. Wir fahren morgen um ½ 2 Uhr hier fort. Bis Ludd mit dem Omnibus, von dort bis Rechowoth mit der Eisenbahn, und von Rechowoth bis Schiller per pedes - es ist nur ½ Stunde zu laufen.
Gleich werde ich schon meinen Affen packen. Gearbeitet habe ich die ganze Woche wieder bei der Hachscharah; heute haben wir einzelne Steinmauern an den Terassen neu gebaut bezw. ausgebessert. Sonst weiss ich Euch nichts zu schreiben.
Seid also für diesmal wieder vielmals gegrüsst und geküsst
von Eurem Ernst.
Anbei wieder ein altes Negativ
Dem lieben Grossvater wieder gute Besserung.