Ernst Loewy an seine Eltern, 15. Dezember 1936
Kirjat Anavim, Dienstag, den 15.12.36.
Meine Lieben!
Als ich gestern von der Fahrt heimkam fand ich schon Euer Luftpostpapier, 10 M (0,796 £P) und die Karte aus Borghost vom 2.12. vor. Für alles besten Dank. Kaum kommen wir von der Fahrt zurück, so bekommen wir schon Besuch; nachher kommt nämlich die Jugendalijah aus Kinereth für 2 Tage zu uns. Unsere Fahrt hat einen Tag länger gedauert als wir anfangs vorhatten, da wir noch einige andere Kwuzoth besucht hatten. Und nun will ich Euch meine Erlebnisse der Reihe nach erzählen. Also Freitag mittag fuhren wir fort mit einem bestellten Omnibus des „Ichud Regew”, einer der palästinens. Eisenbahn angeschlossener Gesellschaft. Bis Ramle fuhren wir auf der Strasse nach Tel-Aviv und von dort bogen wir in die Strasse nach Ludd ein. In Ludd ist der grösste palästinens. Bahnhof. Von dort fuhren wir mit der Bahn bis Rechowoth. Die Landschaft ist völlig anders als bei uns. So weit der Blick reicht unendliche Orangenplantagen, die aussehen, wie riesige Wälder. Dazwischen auch riesige Getreidefelder. Und besiedelt und bebaut ist dort jeder Punkt. Von einer jüdischen Ortschaft bis zur nächsten sind oft nur wenige Minuten. - Rechowoth ist ein eigentümlicher Ort. Hauptsächlich bestehend aus modernsten Grossstadthäusern die planlos in die Sanddünen hineingesetzt sind. Dazwischen zwei oder drei Asphaltstrassen und alles andere Feldwege. Einmal glaubt man, man wäre in einer Grossstadt und zwei Minuten drauf hält man Rechowoth für ein kleines Bauerndorf. Von Rechowoth bis Schiller ist eine halbe Stunde zu gehen durch blühende Pardessim. Man braucht dort nur über den Zaun zu greifen und hat schon ein Dutzend Apfelsinen in der Hand. So viel auf einmal wie in den letzten Tagen habe ich in meinem Leben noch nicht davon gegessen. In der Stadt kostet die beste Orange ungefähr 1 Pfg. Kwuzoth Schiller ist eine wunderschöne Kwuzah. Die Häuser bedeutend schöner als bei uns. Vor allen Dingen der Chadar Ochel, wie in einem grossen Hotel. Landschaftlich ist es bei uns natürlich bedeutend schöner. Der wichtigste Wirtschaftszweig ist dort selbstverständlich immer Pardess. Ausserdem ist dort ein grossartiger Gemüsegarten mit der modernsten Bewässerungsanlage. In Kw. Schiller waren wir den ganzen Schabbath. Freitag abends war eine grosse Feier und am Samstag morgen und abends
waren die Sichoth. Geschlafen haben wir im Hause der Jugendalijah, die sich bei den Chawerim der Kwuzah einquartiert hatten. Am Samstag mittag sind wir zusammen über Rechowoth nach Maayan gegangen, einer ganz jungen Kwuzah (ungefähr ½ Jahr alt) unseres Bundes. Die Chawerim schlafen noch in Zelten, sind aber schon beim Bau eines grossen Steinhauses. Eine eigene Wirtschaft haben sie noch nicht - sie arbeiten zum grössten Teil in der Pardessim auf Aussenarbeit. In Maayan trafen wir einen alten Bekannten - Hans Allmann, der in Schnibienchen in der Wirtschaftsleitung war. Er arbeitet jetzt in der Kwuzah Naameh, wo wir ihn am nächsten Tag wieder getroffen haben. Am Sonntag morgen zogen wir von Kw. Schiller nach Givath Brenner einer Kwuzah des Kibbuz [..] mit über 700 Chawerim. Es ist die Kwuzah im Land, die in technischen Dingen wohl am weitesten fortgeschritten ist. Traktoren, Elektrische Brutmaschinen, eine grossartige Bäckerei, fabelhafte Bewässerungsanlagen, ein eigenes Kino im Chadar Ochel - aber besonders schön ist die Kwuzah sonst nicht. Ausser vielen Steinhäusern gibt es noch an die 20 Holzbaracken und viele Zelte. Mittags fuhren wir von dort mit dem Auto zu einer grossartigen Landwirtschaftlichen Versuchsstation in Rechowoth, der grössten und schönsten im ganzen Lande, eingerichtet mit viel modernsten Laboratorien und einer grossen Bibliothek. Von dort gingen wir nach Naameh, wo wir übernachteten, auch bei der dortigen Jugendalijah. Naameh ist auch eine der grossen Kwuzoth, mit 900 Chawerim, die Kwuzah ist noch sehr jung und gibt es auch dort ausser Steinhäusern noch eine Menge Holzbaracken und an die 30 Zelte. Augenblicklich ist man beim Bau eines riesigen Chadar Ochel mit eingebauter Bühne. Da die Kwuzah ziemlich wenig Boden besitzt arbeiten an die 150 Leute auf Aussenarbeit. Eine Menge Leute sind ausserdem in einer grossen Möbeltischlerei beschäftigt, die der Kwuzah gehört und einer grossen Kinderwagenfabrik, die gleichfalls der Kwuzah gehört. - Die Heimfahrt am Montag morgen war mit grossen Schwierigkeiten verknüpft und für die Strecke von Naameh bis hier (ungefähr 40 km) gebrauchten wir ca 12 Stunden & und das kam so. Der Zug sollte in Rechowoth um 6 Uhr abfahren. Wir sind extra früh aufgestanden und sollten von Naameh mit dem Auto fahren. Wir fahren los, und da irgendwo ein elektrischer Mast umgefallen sei,
mussten wir einen Umweg machen und kamen am Bahnhof an, gerade als der Zug wegfuhr. Der nächste sollte um 10 Uhr fahren, kam aber mit einer Stunde Verspätung um 11 an. (An so was muss man sich hier überhaupt gewöhnen.) In der Zwischenzeit sind wir nach Ness Ziona und haben dort eine landwirtschaftliche Schule für Mädchen eingehend besichtigt. Damit wir nicht den Zug ein zweites mal verpassen, gingen wir bald wieder zum Bahnhof und nun hatte der Zug Verspätung und sassen 2 Stunden in Rechowoth am Bahnhof. Nun ging's wieder nach Ludd. Unterdes war es schon über 12 Uhr. Natürlich kein Anschlussauto da. Mussten wir extra nach Jerusalem telefonieren, man möchte uns ein Auto schicken. Nachdem wir auf dem Bahnhof in Ludd noch mal [..] Stunden gewartet haben, kam endlich das Auto. Um 4 Uhr mittags waren wir schliesslich zu Hause - eine Fahrt mit Hindernissen - aber wunderschön war es jedenfalls - ich freue mich schon auf die nächste Fahrt. Und nun Schluss für heute. Über die grosse Chanukahfeier, die heute abend sein soll, will ich Euch morgen schreiben.
Donnerstag, den 16.12.36.
Euren Brief vom 5.12. habe ich gestern erhalten und mich sehr damit gefreut. Die Gruppe aus Kinereth, die dieser Tage kommen sollte, ist ausgeblieben, weshalb wissen wir nicht. Die grosse Chanukahfeier war recht schön. Die Hauptsache war ein grosses Theaterstück mit vielen Chören. Wir hatten eine richtige Bühne gebaut, mit richtigen Leinwandkulissen. Vorher wurden die Chanukahlichter angezündet. Überhaupt brannten hier jeden Tag auf dem Wasserreservoir, das von allen Punkten der Kwuzah gut zu sehen ist, die Chanukahlichter. Augenblicklich ist es hier fürchterlich kalt, schon seit mehreren Tagen. Wir ziehen uns so dick an, wie wir irgend können und frieren dennoch - ich hätte niemals gedacht, dass es hier so kalt sein könnte. Vorhin hat es nach acht Tagen das erste mal etwas geregnet. Es wird wohl nun etwas wärmer werden. Auf unserer ganzen Fahrt hatten wir das beste Wetter, einen Tropfen Regen. - Gestern war es schon ein ganzes Jahr her, dass ich nach Schnibienchen gefahren bin. Ich erinnere mich noch an alles, als ob es gestern gewesen wäre. Besonders an den schönen Tag bei Polaks in Berlin entsinne ich mich noch oft - das ist nun schon über ein Jahr her. Und dann die schönen Wintertage in Schnibienchen - ach wie schön war das damals alles. Vor einem Jahr hatte ich noch sehr daran gezweifelt, jemals nach Erez zu kommen, und nun bin ich schon über 8 Monate hier und fühle mich
schon wie zu Hause. Ich verstehe immer noch nicht wie schnell das alles geht. Vor zwei Jahren hatte ich noch nicht die entferntesten Gedanken an Erez und jetzt ist hier alles schon so selbstverständlich. Hoffentlich währt es nicht mehr allzu lange, bis es auch für Euch selbstverständlich ist, hier zu Hause zu sein. Wenn man einmal eine grössere Fahrt durchs Land macht, dann kann man erst einmal richtig sehen, was für eine schöne Heimat wir Juden hier haben. Auch wenn man kahle Felsen sieht, riesige Berge, auf denen kein Halm wächst, so muss man doch das Land lieben - so hat das Land doch eine grosse Schönheit. Und in hundert Jahre, wenn die Berge erst alle einmal bewaldet sind, wie hier bei uns, dann muss es wirklich grossartig sein. Und wenn man die unendlichen Orangengärten und die riesigen Kornfelder sieht, dann kann man wirklich sagen - „das Land, wo Milch und Honig fliesst”. Auch wo jetzt noch grosse Sümpfe und kahle Felsen sind, auch dort wird einmal Wald sein und wogende Kornfelder.
Freitag, den 17.12.36.
Heute will ich nun Euren Brief beantworten. Mit Onkel Richards Zeilen habe ich mich sehr gefreut und stimme ihnen völlig bei, was Ihr wahrscheinlich auch aus meinen vorigen Briefen schon ersehen konntet. Mit seinen Freunden habe ich bisher noch nicht Fühlung nehmen können. Ich würde einmal gerne deshalb nach Jeruschalajim fahren, vielleicht wird es sich demnächst einmal machen lassen. Ein paar gute Bekannte würde ich gerne hier haben. Ihr wisst selbst, dass so etwas niemals schaden kann. - Zu Euerm Brief ist wenig zu beantworten. Mit meinen Augen geht's wie immer - allerdings trage ich meine Brille ein wenig öfters als früher, da ich sie auch bei der Arbeit trage. - Über Verlieren braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Ausser dem Kamm und Bürste habe ich noch nichts wesentliches verloren. Dass ich meine Uhr noch habe ist selbstredend - ich benutze sie übrigens nie. - Dass meine Zahngeschichte zu Ende ist, wisst Ihr schon.
Übrigens kann ich Euch sagen, dass ich mich diesmal sehr gut benommen habe. Ich habe auf mein Wort keinmal gewürgt, obwohl der Zahnarzt mir fast jedes Mal den Mund mit Watte ausgestopft hat. Ihr seht aus Kindern werden Leute. - Das soll für heute genügen. Seid herzlichst gegrüsst und geküsst von Euerm Ernst.
Zu Tante Bertas Geburtstag habe ich eine Karte geschrieben. Anbei einige Nachportomarken.
Recht herzliche Grüsse
Karuso