Ernst Loewy an seine Eltern, 23. Dezember 1936
Viele herzl. Grüße
Ilse
Kirjat Anavim, den 23.12.36, Mittwoch.
Meine Lieben!
Herzlichen Dank für Euren lb. Brief vom 12.12., den ich gestern erhielt und für die Haarbürste, die heute ankam. Besondere Freude hat diesmal Euer Brief in mir ausgelöst, da ich aus ihm ersehe, dass Ihr Euch keine bösen Gedanken mehr macht und vor allen Dingen wieder bei guter Laune seid. Ich hoffe nun, dass Ihr Euch nun wirklich keine Gedanken mehr macht, und Euch hauptsächlich ebenso freut wie ich, dass ich in Erez Israel bin. Und das ist vorläufig die Hauptsache, und von später wollen wir vorläufig nicht mehr reden - es hat ja doch noch keinen Sinn. Also für ein Jahr nun endgültig Schluss damit.
Euer Bild Nr. 8 habe ich auch erhalten. Wie ich früher einmal gelesen habe, ist es wahrscheinlich nicht einmal von Leonardo selbst, sondern von einem seiner Schüler. - Kunstgeschichte haben wir jetzt wöchentlich einmal bei Kakel. Die Kurse sind ganz schön, doch können sie mir wenig neues bieten. Am letzten Schabbath hatten wir ausserdem eine Sichah über Kunst, die wir demnächst einmal fortsetzen wollen. Fritz las uns zuerst die Kunstanschauung von Oskar Wilde, Tolstoi und Nietzsche vor, die alle drei ziemlich entgegengesetzt sind. Darauf entspann sich dann noch eine kurze Sichah über Kunst. Was ist Kunst u.s.w. Auch ich persönlich hatte mich mit diesen Dingen in der letzten Zeit schon ziemlich beschäftigt und habe recht viel Interesse dafür. Ihr fragt, was Rolf Stern für ein Junge ist - ein netter Kerl, mit dem man gut auskommen kann, nicht besonders intelligent aber recht kameradschaftlich. Er ist aus Leipzig und hat dort früher eine Zeitlang in einem zahntechnischen Laboratorium gearbeitet. Ob der neue Junge hierbleiben wird ist noch unbestimmt, da es mit seinem Iwrith Schwierigkeiten hat. Wahrscheinlich wird es aber doch gehen. - Das Wetter ist augenblicklich wieder gut, aber den schlimmsten Regen haben wir ja noch vor uns. - Dass Ihr zu Weihnachten Besuch bekommt, ist ja recht schön. Grüsst sowohl Onkel Sali wie auch Tante Debora recht herzlich von mir. Gerade vor einem Jahr hatte ich Tante Debora zum letzten mal gesehen. - Jetzt vor einem Jahr war ich in Schnibienchen in der schönsten winterlichen Schneelandschaft. Wann werde sowas einmal wiedersehen? Hier sehe ich anstelle des Schnees höchstens Schlamm.
In Schnibienchen haben wir grosse Schneeballschlachten gemacht, so was lassen wir hier lieber bleiben. Gtt. sei Dank ist es hier wenigstens nicht ganz so kalt wie in Schnibienchen - es genügt uns aber auch schon so. Soweit zu Deinen Zeilen lb. Pips. Auch Dir lb. Mutter recht vielen Dank. Besonders nett finde ich es von Dir, dass Du nur um für Vaters Reise zu sparen, ins Geschäft gehst, besonders zu Freund, die doch gerne ein wenig knausern. Hoffentlich hat das Sparen nur wirklich einen Erfolg, und hoffentlich wird aus der Reise etwas. Auch Euch lb. Grosseltern recht vielen Dank für Eure Zeilen. Für heute genug.
Samstag, den 26.12.
Gestern, am ersten Weihnachtstage, erhielt ich Euren lb. Brief vom 18. ds. mit Bild, Stäbchen und den alten Briefausschnitten, mit denen ich mich sehr gefreut habe. Beantworten werde ich Euch den Brief in der nächsten Woche. Ihr dürft mir nicht böse sein, dass ich Euch dieses mal nur so wenig schreibe, aber ich möchte noch einen Brief an Rolf Schwarz und Esther Gompertz einlegen, den ich Euch bitte zu befördern. Von hier ist auch nicht viel neues zu berichten. Gestern waren Fritzens Eltern hier um sich einmal die Kwuzah ein wenig anzusehen. Fritz ist mit ihnen nach Jerusalem gefahren, um heute in das Toskaninikonzert zu gehen, wozu er eine Freikarte bekommen hat. Ich beneide ihn wirklich. Er hat sogar versucht für einige Leute von uns, Karten zu besorgen; doch waren die billigen Karten alle schon seit Wochen ausverkauft. - Gestern abend las uns Kakel aus „Nathan dem Weisen” die Geschichte mit dem Ring vor. Ich erinnere mich, lieber Pips, dass wir sie vor vielen Jahren auch einmal gemeinsam gelesen hatten. - Augenblicklich regnet es draussen wieder; es ist aber Gtt. sei Dank nicht mehr so kalt, wie vorige Woche. - Meine Arbeit war dieselbe wie immer - Hachscharah, Rote Rüben pflanzen, Hacken u.s.w. - In der vorigen Woche hatte ich an die Elisabethstr. geschrieben, eine 6 Pfg. Antwortkarte mit einer 4 und einer 5 Pfg.marke. Lass Dir die Marken geben - deutsche Marken mit Stempel „Jerusalem”, eine grosse Seltenheit. - Das muss nun für diesesmal genügen. Seid vielmals gegrüsst und geküsst von Eurem Ernst.
Adresse von Rolf Schwarz:
Internatskola Verstraby
per Löberöd,
Südschweden.