Richard Loewy an Ehefrau Erna, 21. Juli 1937

Kirjath Anavim, Mittwoch, 21/7.37.

Meine liebe Erna!

Nachdem wir am Montag Abend, also vorgestern, von Tel-Aviv hier angekommen sind, & ich mich gestern den ganzen Tag auf die faule Haut gelegt hatte, will ich Dir nun [..] Dir für Deine diversen Briefe danken. Vor allem freut es mich, meine Liebe, daß es Dir in München gefällt & Dir gut geht. Nimm Dir von den paar Tagen, was Du Dir nehmen kannst, die schönen Tage sind ohnehin sehr selten. Deinen nächsten Brief erwarten wir mit Sehnsucht. - Nun aber weiß ich, daß Du über unsre spärlichen Briefe sehr enttäuscht bist. So gerne ich Dir ja auch schreibe & auch ausführlich schreiben möchte, aber bei der Hitze kann man sich kaum aufraffen; es dauert ja auch nicht mehr sehr lange & ich bin wieder bei Dir & kann Dir ausführlichst Bericht erstatten. Aber in [..]. Wir waren 2 Tage in Haifa, dann in Kirjat Bialik (bei Fr. Dr. Berl), dann 3 Tage im Emek, wo wir in Chefzibah bei Frieda L. übernachtet haben, dann in den verschiedensten Kwuzoth, zu Fuß, mit Omnibus & Bahn. Die Autos verkehren hier in großer Zahl & fahren wie die Tollen. Die Straßen sind in bestem Zustand. Zu sehn ist sehr viel & man kann nicht genug staunen, was alles geschaffen wurde - nur von Juden. Dann waren wir 2 Tage in Tel-Aviv, eine Großstadt von 160 000 Menschen, hypermodern, mit Bauten, wie man sie nirgends in Europa hätte. Alles von Juden erdacht, gebaut & erhalten. Mitten im Schutthaufen steht ein prachtvolles Wohnhaus - & nach ein paar Wochen ist auch aus dem Schutthaufen ein Palast geworden. Der Eindruck dieser Stadt ist überwältigend; dann waren wir am Schabbat früh in Tel-Aviv mit Fau Neumann (deren Mann ich am Schiff kennengelernt habe, mit denen wir den Freitag Abend verbrachten) & Kindern am Strand baden, wo ich mir an den Beinen einen kleinen Sonnenbrand geholt habe. Schabbat Nachm. sassen wir mit Max Levy zusammen am Hafen von Tel-Aviv, der im Ausbau ist. Sonntag waren wir in Ranana bei Speiers, die sich sehr gefreut haben + dann bei Richard Brückmann in Hadar, das sehr nahe dabei ist. Unterwegs an einer Straßenkreuzung stand ein Junge + fragte mich, ob ich nicht aus Krefeld sei!! Er war der junge Herzberger, der seit 2 Jahren in Erez ist. So ein Zufall! Dabei hat er schon mal 4 Monate alng hier in nächster Nähe gearbeitet & im nächsten Hause [..], dabei wußte Ernst & er nichts von einander.

Kirj. A. ist sehr schön gelegen, die Kinder haben es sehr schön & gut & brauchen sich bestimmt nicht zu überanstrengen. Ernst gehts auch gut. Er ist etwas größer geworden, auch [..] ist er geworden.

Nachmittags Fortsetzung. - Ernst hat mich unterbrochen: auf den höchsten Berg hier über K. A. geschleift, von wo man einen herrliche Rundsicht übers Gebirge [..] hat, auf der einen Seite 15 Klm bis Jeruschalajim, auf der andern bis ans Meer, weit hier über Berge & Täler. Man kann sich das kaum vorstellen. Dann haben wir zu Mittag gegessen: Gulasch, Griesklöße, Gurken (Schnellgurken), Brot, (I a Weißbrot), dann rote Rübensuppe (die ich probiert, aber ansonsten darauf verzichtet habe), Tee. Ernst ist leider noch immer ein schlechter Esser, ich hatte geglaubt, er hätte es endlich gelernt, aber leider noch immer nicht. Infolgedessen ist er noch immer ein schmächtiges Bürschlein, während ich gedacht hätte, er wäre auch in die Breite gegangen. Im allgemeinen hat er sich gar nicht verändert, man möchte meinen, er sei erst gestern von uns fortgegangen. Wohl ist er dunkler in der Hautfarbe; aber mit Ausnahme von [..] Jungen, der ganz dunkel verbrannt ist, sehen sie alle mehr rot als braun aus, ungefähr wie nach einer Sommerfrische ind Deutschld. Wegen Ernsts Zukunft kann ich Dir heute noch nichts berichten. Ich muß erst mal nach Jeruschalajim & mit Fritz & Hans Beit reden. Aber meiner Ansicht nach & nun auch nach Ansicht der Leute, mit denen ich mich über diese Frage unterhalten habe, ist es für Ernst am besten, wenn er bei den momentanen ungewissen politischen & wirtschaftlichen Zuständen im Lande die ersten Jahre unter allen Umständen bei der Kwuzah bleibt. Er hat wenigstens die Gewissheit, keinerlei Sorgen zu haben; alle anderen Menschen haben es ungeheuer schwer hir, wenn sie es mit der Arbeit vielleicht leichter haben als in der Kwuzah. Ist Ernst mal 20 Jahre alt & haben sich die Verhältnisse konsolidiert, dann kann er noch immer weiter sehen, ob er sich irgendwie in einem landwirtschaftlichen Berufe, oder in einem Beruf, der mit Landwirtschaft zusammenhängt, auf eine Füße stellen will.

„Apotheker” ist Fantasterei! In Tel-Aviv gibt es auf jeder Straße fast Apotheken & nicht nur eine! Dazu gehört außerdem noch Studieren. Dann Lehrer: dazu hat er nach seiner (auch nach meiner) Meinung gar nicht das Zeug & auch dazu ist Studium nötig. Optiker & Feinmechaniker kann er schon wegen seiner schlechten Augen (die er sich mal untersuchen lassen wird) nicht werden; er trägt jetzt dauernd die Brille. Mit sonstigen Berufen ist es nicht so einfach; ich will nun mal hören, was [..] sagt, aber ich bin sicher, daß er Ernst rät, bei der Kwuzah zu bleiben. Es bedeutet für Ernst natürlich sehr viel; vor allem ist bei ihm innerlich eine Umstellung notwendig, daß er die Dinge alle mit anderen Augen betrachtet; die Dinge mehr sieht, wie sie sind & nicht sich in Träumereien versenkt, die zu keinem Resultat führen. Man kann auch ein geistig hochstehender Mensch sein & sich doch mit seiner Hände sein [..]

Von mir dies mal nur viele herzl. Grüsse und Küsse Dein Ernst.

Diese Vorstellung mag für Ernst vielleicht nicht ganz leicht sein, aber bei gutem Willen wird es möglich sein. Die Jungens, mit denen er zusammen ist (es ist der größere Teil) sind alle sehr nett zu ihm & haben ihn wohl auch alle gern, sodaß er gute Kameradschaft bei ihnen findet. Ein liebes & vernünftiges Mädel ist Edith. Leider geht sie wohl in ein paar Monaten nach Amerika & wird Ernst sehr viel an ihr verlieren. Sie ist ihm eine wirkliche Freundin. (Ernst schläft seit 2 h & es ist jetzt 4 h); er hat heute Nacht von ½ 12-5 h Dienst gehabt.)

Die Teilung in 2 Gruppen hat anscheinend sein Gutes, wie ich mich überzeugt habe, scheiden sich wirklich die Geister in die ernsteren, ruhigeren - und in die oberflächlicheren & lebenslustigeren, die z. B. gestern Abend oben getollt haben wie die Wilden, zu denen auch Pinschad gehört. Dieser ist sehr nett & liebenswürdig; ich habe mich mit ihm ganz gut unterhalten, aber am wenigsten über Ernst; denn das ist zwecklos. Ich habe mich aber engstens mit dem Zahnarzt, einem feinen Menschen, unterhalten. Mit diesem ist Ernst sehr befreundet. Gestern habe ich an einem kunstphilosophischen Kursus des Zahnarztes teilgenommen & gesehen, wie & was die Kinder lernen. Morgen fahre ich nach Jerusalem, um mir ein Visum zu holen & [..] zu besuchen & so weiter.

Nun Schluß für heute. Alles, alles Gute, mein Liebes, & viele Küsse
Dein Richard

22/7. M. L. Gestern Abend ist Fritz gekommen & wir fahren jetzt 7 h früh gemeinsam nach Jersualem.

Nochmals Kuß Richard.