Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 10. August 1936

Krefeld, 10.8.36.
Montag.

Mein lieber Ernst!

Vielen Dank für Deinen lieben Brief v. 30/7.-1/8., der am gestrigen Sonntag früh ankam. Wie immer viel Freude! Die Hauptsache war uns, zu lesen, daß Du wieder gesund bist. Anscheinend waren bei Euch allerlei Kranke; auch Küken hatte einen Hexenschuß; seine Eltern schrieben, daß endlich Brief da sei.

Daß Du die meisten Sachen erhalten hast, freut uns. Hast Du nun auch die weiße Leinenhose & die Mütze bekommen? Auch die 10.- M von mir? Wir sandten Dir nun noch 2 P. Fußlappen, diesmal vom Stück geschnitten. Nun probiere sie einmal alle aus & schreibe, welche sich besser tragen & ob Du noch welche willst. Zeitungen werden wir Dir vorerst mal keine schicken, mal wieder in einigen Wochen. Hast Du die Stachelbeeren in der Zeitung gefunden? Du mußt die Zeitungen richtig durchsuchen; das nächste Mal lege ich wieder was bei. Die Stachelbeeren fangen bald an zu treiben & kann ich kleine Triebe senden. Hoffentlich gehen sie drüben auf & Du kannst mal in 1-2 Jahren „Kirschen resp. Stachelbeeren aus Vaters Garten” pflücken. Wann ist für Euch die beste Zeit zum Pflanzen? Dann schicke ich Dir mal ein „Muster ohne Wert-Päckchen” für 10 Pf.

Lore ist in Holland. Ich hätte gedacht, sie hätte sich vor ihrer Abreise verabschiedet oder sie würde mal schreiben. Weder noch! Wir hatten für sie ein Bild von Dir machen lassen (mit Walter Stein), ich hatte es ihr schon gesagt, sie möchte es holen. Nun bekommt sie es vielleicht gar nicht, sondern jemand andres!

Daß Du gute bücher liest, höre ich gern; anscheinend habt Ihr ja viel gute Sachen in Eurer Bibliothek.

Die Grüße an Tante Tini werde ich im nächsten Brief bestellen; ich habe wegen Julius Sonntags Adresse schon bei ihr angefragt, aber noch keine Antwort auf m. letzten Brief. Sollte Tante die Adresse nicht bekommen können, werde ich vielleicht selbst an Julius S.'s Angehörige nach Kronstatt schreiben. - Du schreibst, Du bedauerst so sehr, keine Verwandten im Lande zu haben, nach 2 Jahren wärst Du allein. Mein liebes Pipslein, merke Dir dies: auf sich selber baun, - & lieber noch auf die eigenen Freunde, auf Verwandte sich zu verlassen - ist man verlassen! Man sagt allerdings auch das Sprüchelchen von den „Freunden in der Not” -! Am besten ists ja immer - selbst! Denn denke ich, daß Ihr - Eure Gruppen in K. A. - sich in den 2 Jahren vielleicht so sehr aneinander gewöhnen werdet, daß Ihr Euch nicht zerstreuen mögt & zusammen bleibt. Was kann man heute schon sagen, was in 2 Jahren sein wird?! Das hängt von so vielen Dingen ab! - Aber außerdem: entfernte Verwandte sind ja außer Julius S. noch mehr da: von Willi Böhm die Tochter, außerdem sein Schwager Dr. Tettenheimer. Vielleicht ist bis dahin auch Bruno Wirths & Ernst Lamm da; vielleicht noch mancher andre. Und viele Bekannte aus ganz Deutschland! - Übrigens in Hadar (zwischen Tel-Aviv & Jerusalem ist auch Richard Bruckmann aus Krefeld, ein Onkel von Günther, weißt Du, der vor einigen Jahren mit dem langen Bart in d. Synagoge kam. - Überlassen wir das mal der Zeit & - dann darf Euch ja auch die Jugendhilfe nicht im Stich lassen. Das gerade ist ja eben das Schöne an der ganzen Jugendalijah, daß für Euch auch noch nach den 2 Jahren gesorgt wird. Ilse ist da

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schlechter dran; sie hat weder Bekannte noch Verwandte dort. - Nur den Kopf hoch halten & immer guten Mut! Was soll eigentlich mit Ilse sein? Was für Grüße? Wir wissen von nichts & hat sich Frau Werth. natürlich aufgeregt. Mal abwarten bis Lore kommt; wer weiß, was das wieder für'n Quatsch & Tratsch ist! - Man hat ja schon mal erzählt, Ilse hätte an den [..] geschrieben, sie würde jedem dringend abraten, nach Erez zu gehn! Natürlich war kein Wort davon dran!

Heute ist wieder Z.O.G.-Abend. Ich will mich mal dort nach dem Büchelchen erkundigen.

Daß Du Ilse den Tod ihrer Oma mitgeteilt hast & es Dir nicht so leicht war, kann ich mir vorstellen. Ein Unsinn, den Ilse's Mutter gemacht hat, sie hatte Ilse nach der Beerdigung aus Liebenstein geschrieben, die Oma wäre schwer krank! Sie hätte es nicht fertig gebracht, Ilse die Wahrheit zu schreiben. Ich finde dies sinnlos. Ilse mußte es doch erfahren, ob 8 Tage früher oder später. Nun hast Du's ja richtig gemacht. Auch Dein Brief an Frau Wertheim.

Unruhen: Hoffentlich ist bald Schluß damit! Und was ist nun dabei herumgekommen: mehr als 100 Tote, viel Schaden & kein Nutzen. Und England gibt doch kaum nach.

Am Samstag war Herr Meister hier, von 10 h-4 h. War ganz nett. Vielleicht kommt er (oder sein Bruder) im Oktober wieder.

Nun Schluß für heute! - Recht viele, viele Küsse, mein lieber Bub,
Dein Vater!
![..]!

Mein lb. Ernst! Gestern morgen hatten wir zum Frühstück, als Belag, Deinen lb. Brief. Wir haben gefuttert & Vater hat vorgelesen. Es schmeckt dann noch einmal so gut. Ich bin nur froh, dass Du wieder gesund bist. Wenn Du so lange gelegen hast, muss

die Angina doch nicht so harmlos gewesen sein. Nehmt Euch nur ja in Acht.

Dass die blaue Hose so gut passt, ist fein, hoffentlich hast Du auch nun die weisse erhalten & die Mütze. Mit dem Küchenzettel bin ich zufrieden & will nur hoffen, dass Du ordentlich durchisst.

Nun noch einmal das Problem: Verwandte! Es wäre an sich ja ganz schön, wenn einer aus der Familie drüben wäre, aber wir, Deine Eltern, haben schon so bittere Erfahrungen gemacht, dass ich heute leider sagen muss, Freunde helfen im Notfalle eher als Verwandte. Wenn man sich darauf verlässt, ist man verlassen. Was in 2 Jahre ist, darüber wollen wir uns heute noch nicht den Kopf zerbrechen & Pläne machen. In unserer schnelllebigen Zeit kann man kaum für Tage disponieren, geschweige für Jahre. Ich habe das felsenfeste Vertrauen, dass Du durchkommen wirst, auch ohne Verwandte. Onkel Richard hat eine Menge guter Freunde drüben, deren Adresse Du alle haben kannst & dann ist ja jetzt auch Jakob Levy aus Gladbach, der Deine Hose mitgenommen hat, drüben. Er ist ein Verwandter von Tante Jettchen, ein sehr netter Kerl, dessen Adresse ich Dir bald mitteile. Mit dem kannst Du Dich ja dann auch mal anfreunden, wenn vorerst auch nur schriftlich. Also mache Dir keine Sorgen, es wird schon werden. Sonst hat Vater ja alles berichtet. Leider habe ich keinen Antwortschein zu Hause; da der Brief aber weg soll, muss ich ihn ohne absenden.

Viele gute Wünsche & tausend Küsse Deiner
Mutter