Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 21. August 1936
Freitag, den 21. Aug. 1936.
Mein lb. Ernst!
Heute früh erhielten wir Deinen lb. Brief vom 11-15/ds. & da wir uns ungeheuerlich freuen, dass Deine Nachricht so schnell hier war, sollst Du auch umgehend Antwort haben. Hinterher wurde meine Freude wieder gedämpft, denn mit der nächsten Post kam das C.V. Blatt mit einem grauenhaften Bericht von dort; u. a. auch von einem stundenlangen schweren Angriff auf Kirjat A. Wolle Gott, dass Ihr alle gesund seid & endlich einmal Ruhe wird. Vater ist heute nach Düsseldorf & Gerresheim, mal sehen was der für Nachrichten von Kaufmanns mitbringt. - Deine Schilderungen von dort sind so anschaulich, dass, wenn wir mal hinkommen, uns alles nicht fremd sein wird. Es ist lieb von Dir, dass Du Dir Mühe für uns machst, uns interessiert natürlich alles. Mit den Bullen möchte ich auch nichts zu schaffen haben. Dass die Fusslappen nicht zu dick sind, sagte Vater schon, Du musst unterdessen jetzt 5 Paar haben. Hilde Meyer hat einen Herrn Herz aus Hoch geheiratet, der eine sehr gute Stellung in Bielefeld in einem grossen Warenhaus hat. Das Hochzeitsbildchen wirst Du nun ja auch haben. Sie hat einen netten Mann bekommen & eine gute Partie gemacht. Dass Du unsern Hochzeitstag behalten hast, ist direkt rührend von Dir & danke ich Dir tausendmal für Deine guten Wünsche. Vater hat mir an diesem Tage eine
Sparbüchse von der Sparkasse geschenkt, die nur auf der Kasse geöffnet werden kann & nun wird fleissig gespart, damit wir Dich s. G. w. mal besuchen können. Vater hat schon ein paar Mal aufs Rauchen verzichtet & dafür das Geld in die Büchse getan, ein andermal wollten wir ausgehen & haben es nicht getan & das Geld dann, was wir event. ausgegeben hätten, direkt wieder verschwinden lassen. Auf diese Weise hoffen wir mal was zusammen zu kriegen & werden dann unsere Silberhochzeit bestimmt zusammen feiern.
Leberwurst lässt sich ja leider nicht verschicken, sonst hätte ich Dir mal die Freude gemacht. Zufälligerweise habe ich vorgestern noch zu Vater gesagt, seit Pipslein weg ist, brauchen wir garkeine Leberwurst & Senf mehr. Bei Kühnen sind wir auch schlechte Kunden geworden, statt mit 3-4 Broten komme ich jetzt die ganze Woche mit 1 Stück aus. Aber wenn Du mal eine harte Wurst haben willst, dass liesse sich machen. Schreibe mal darüber, ob es angebracht ist.
Dass sich Herr Levy nun gemeldet hat, freut mich für Dich. Ich würde Dir raten, weiter mit ihm zu correspondieren, er ist ein sehr netter Kerl & hättest Du einen Bekannten, der etwas älter ist & sich im Leben auskennt. Seine Braut kommt auch jetzt nach dort & dann heiraten sie drüben. Onkel Richard habe ich auch um die Adressen seiner Freunde von drüben gebeten, er wird Dir deswegen schreiben. Helmut Frank geht scheinbar jetzt doch nach Amerika, sie haben alle Papiere eingereicht & warten nun auf Antwort. Aber scheinbar nicht zu Verwandten, sondern es
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sind deutsche Kinder angefordert worden & dafür hat er sich gemeldet. Sie werden einzeln in jüd. Familien untergebracht & müssen 2 Jahre eine Schule besuchen, um dann einen praktischen Beruf zu ergreifen. Alles andere soll Vater Dir beantworten, ich will für jetzt schliessen mit den besten Wünschen & herzlichsten Küssen. Deine Dich liebende Mutter.
Mein lieber Ernst! Vor allem auch meinen Dank für Deine guten Wünsche zu unserm Hochzeitstage. Es ist lieb von Dir, daß Du diesem gedacht hast. Diese Angriffe gerade auf Eure Siedlung, von denen heute die Zeitung berichtet, befallen mir gar nicht. Und was mir ebensowenig gefällt, ist die Haltung der Mandatsregierung, die ich überhaupt nicht begreifen kann. Ein Machtwort wäre jedenfalls zweckmäßiger, als dieses Zaudern! Wollte Gtt, es käme endlich Ruhe & Frieden! Hoffen wir, daß sich bald alles zum Guten wendet!
Dein Brief hat auch mir wieder viel Freude gemacht; Du schilderst alles so schön & anschaulich, daß man sich richtig hineindenken kann. Hoffentlich erlebe ich noch alles mit Dir an Ort & Stelle!
Deine Hose & Mütze wirst Du ja nun endlich auch bald bekommen, nachdem sich Levy gemeldet hat. - Da wir unsre Briefe nicht pr. airmail senden, sind sie ja immer länger als Deine unterwegs; das ist ja an & für sich nciht schlimm, da ja dauernd Post unterwegs ist. Und wenn ich nun wieder dauernd reise, werde ich Dir ja auch von unterwegs aus auch öfters wieder schreiben. Im allgemeinen, glaube ich, brauchen wir uns gegenseitig nicht beklagen, da wir uns ja oft schreiben & immer auf dem Laufenden sind. Nur jetzt, bei den Unruhen, macht man sich natürlich Sorgen, besonders da ja fast immer auch K. A. genannt ist.
Was das für ein KKL-Amt ist, weiß ich selbst noch nicht; Kronenberg hatte mir da was erzählt, aber ich bin selbst nicht im Bild; ob sich da noch was rausstellt, bleibt abzuwarten.
Von hier sonst nichts Neues. - Es geht alles im alten Trott. -
Daß uns Gerda aus England geschrieben hat, haben wir Dir, m. Wissens, schon mitgeteilt. Es gefällt Ihr I a dort. Sie hat ja, wie immer, mal wieder Glück gehabt. Na, ich freue mich darüber!
Gestern war ich in Solingen, Remscheid, Burg. - Heute in Ohligs, Wald und bei den Eltern von Küken. Dort gehts gut, wie immer.
Nächste Woche fahre ich vielleicht nach Arnsberg, falls schönes Wetter ist & die liebe Mutter fährt mit. Ist schlechtes Wetter fahre ich wo anders hin & allein. Diese Strecke möchte ich Mutter mal zeigen; ich hatte es Euch ja schon immer versprochen; Dir gegenüber kann ich es ja nun leider nun nicht mehr halten. Du hast ja dafür eine umso schönere Reise gemacht. - Onkel Sali schrieb dieser Tage, daß Frau Willi Böhm wieder so schwer krank sei. Sonst ist in München alles wie stets.
Den Brief für Hubertusstr. hat heute früh Onkel Emanuel mitgenommen. Sie werden Dir wohl schon antworten. Die Zeilen für Onkel Willi befördere ich in den nächsten Tagen; ich muß ohnehin wieder hinschreiben.
Onkel Karl sandte mir kürzlich eine Karte von einer Sonntagstour nach Bad Elster; von Kronach haben wir seit Wochen nichts gehört. Tante Tini schrieb diese Woche, sie habe sich so sehr mit Deinen Grüßen gefreut; wir möchten Dich grüßen. - Onkel Richard ist in Nizza, ich schrieb ihm, er möchte auf der Rückfahrt in Wien die Tante besuchen. Ob ers tut, ist fraglich!
Fritz Rosberg sah ich neulich mit Jupp am Rad; er ist ein kolossaler Kerl geworden; aber er kommt gar nicht mehr. -
Übrigens: Deinen „Funke” (Männeken, Männchen) habe ich auch gesehn. Denkst Du noch daran & [..] Du ihn noch?
So, nun hab' ich wohl alles berichtet! - Ich bin auch müde, aber der Brief muß fort. -
Viele herzliche Grüße & Küsse
Dein Vater.