Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 11. September 1936
Freitag, den 11.9.36.
Mein lb. Ernst!
Dank für Deinen lb. Brief vom 31. Aug. bis 5 ds. mit dem ich mich, wie immer sehr freute & den ich auch gleich beantworten will. Ich will hoffen, dass wir uns nicht so viel Sorgen um die Lage dort machen müssen & es mit Euch tun - uns etwas weniger daraus machen. Zeitungen schicke ich Dir dieser Tage wieder. Ausserdem wünschen wir mit Dir, dass, bevor Deine 2 Jahre um sind, einer von uns Dich mal besuchen kann. Aber was kann man sich heute vornehmen. Morgen sieht schon wieder alles ganz anders aus & alles Plänemachen hilft nichts. Aber der lb. Gtt. hat noch immer geholfen & wird auch weiter mit uns sein. - Dass Du ein Stück Leberwurst gegessen hast, freut mich für Dich. Hattet Ihr denn Geld, um es kaufen zu können? Warum Helmut Frank nach Amerika & nicht nach Erez geht, weiss ich nicht. Wenn die Jacke von dem lila Schlafanzug noch gut ist, lasse ich Dir aus lila Stoff eine Hose nähen & schicke sie Dir als Päckchen. Dann kannst Du damit die Jacke auftragen, die doch neu war & auch sicher noch hält.
Auch bei uns werden die Feiertage nicht werden wie früher. Erstens fehlst Du uns dabei & dann sind die Zeiten auch nicht so rosig, um dafür die richtige Stimmung zu haben. In Gesundheit werden wir sie s. G. w. erleben & das wäre uns die Hauptsache, restlos glücklich sei dahingestellt. Viel Dank für Deine lieben & guten Wünsche, sie tun uns sehr gut. Deine beigefügten Briefe werden prompt besorgt.
Montag Abend war ich in einem Vortrag von der Z.O.G. Es waren 2 ganz hervorragende Redner anwesend, ein Dr. Strauss Dozent am jüd. Lehrhaus Frankfurt, den andern Namen habe ich vergessen. Ich habe schon gute Redner gehört, aber wir waren alle restlos begeistert. Wenn man solche Leute hört & all die Tatsachen, muss man denken, es ist nicht alles umsonst, die Opfer & das, was geleistet wird. Es muss alles wieder gut werden.
Fast hätte ich das Beste vergessen; Dir ganz besonders für das wirklich nette Bildchen zu danken. Wenn ich auch nur ¾ von meinem Pipslein darauf sehe, so sehe ich doch genug, um feststellen zu können, dass Du gut aussiehst, lachen kannst & der Pickel auf der Nosen nicht fehlt. Ich freue mich riesig damit, hoffentlich kannst Du mir bald mal wieder eins schicken. (Nicht mit dem Pickel, mit dem Bild.)
Gleich wird Vater zurückkommen & sich freuen, mal wieder 2 Ruhetage zu haben. Durch die Feiertage nächste Woche hat er ja auch ein paar Tage Ferien, die ihm gut tun werden. Das Geschäft ist augenblicklich nicht schlecht, aber nervenanstrengend & hundertmal sage ich ihm, ob er auch noch daran denkt, was Du ihm immer gesagt hast - rase nicht so!
Zu Jontef hätte ich Dir ja gerne eine kleine Freude gemacht & Dir was geschickt. Aber was! Es ist auf die Entfernung nicht leicht & ich glaube, Du freust Dich ebenso, wenn wir Dir stattdessen 10,- schicken.
Von Claire Hilsenrath habe ich auch jetzt die Adresse ihrer Schwester, die in Berlin mit Onkel Richard befreundet war & auch wochenlang bei ihm gewohnt hat. Schreibe ihr einmal eine Karte. Du kannst Dich ja als
Neffe von Errell vorstellen, ebenfalls als Verwandter ihrer Schwester Claire. Sie besucht dort eine Schule Adresse:
Ilse Hilsenrath
Beth Hatinokoth
upper Balska, near Talpirot/Jerusalem.
Sie würde sich gewiss freuen & Du hättest wieder einen Bekannten mehr. Hast Du nochmals was von Herrn Levy gehört. Er hat mir gesagt, er würde Dich bestimmt mal besuchen. Neues von hier wüsste ich garnichts. Fritz Rosberg soll im Okt. eine Stelle bekommen, aber ich habe wenig Hoffnung, dass er diese ausfüllt. Es wird ihm gehen wie das erstemal, 4 Wochen Probe & dann auf Wiedersehen. Du kämst heute auch nicht mehr mit ihm aus; ich könnte mir wenigstens nicht denken, dass Du soviel Blödsinn mitmachtest. Seit Wochen will er Dir einen Brief schreiben, kommt aber mangels Zeit nicht dazu. Morgens lernt er alleine nach seinem Stundenplan & mittags muss er an die Luft! Er ist ein wirklich geplagter Mensch mit all seiner Arbeit. Der wird sich nochmal umgucken. Schuld sind aber seine Eltern, die ihn so erziehen. Und von all den andern sehe & höre ich nichts, sind alles treulose Tomaten. Inge Traub hat ihr Schülerinnen Zertifikat bekommen, sie haben es aber wegen der Unruhen zurückstellen lassen & soll sie jetzt hier noch nähen lernen. Ester Gampertz ist noch in Kreuznach, Inge Friedeney, Kurt Bruckmann & Lore Lindenbaum in England.
Wie werdet Ihr Jom Kippur halten? Nun will ich schliessen & Vater Abendbrot richten. Bleib weiter gesund & lustig.
Viel, viel Schönes & Gutes im neuen Jahr & tausend innige Küsse
Deiner Dichl. Mutter.
Lieber Ernst. Daß auch wir uns mit dem Dreiviertel Bildchen freuen, brauche ich wohl nich zu versichern, Du kennst Dein Ömken doch! Un so! Also nochmals alles Gute, bleib gesund sei gegrüßt und geküßt von Großmutter
& Großvater.
12/9.36.
Mein lieber Ernst!
Als mich gestern Abend 9 h beim Heimkommen die liebe Mutter unter der Haustüre empfing, hielt sie mir Dein liebes Bild vors Auge! Daß mich dieser Empfang ganz besonders gefreut hat, kannst Du Dir denken, wußte ich da doch auch, daß Dein Brief gekommen war. Dein Bild ist schön - „guat schaust aus!” würde man in Bayern sagen. Deine Zeilen machten auch mir wie immer recht viel Freude. Ich sehe doch immer wieder, daß Du ein mutiger & froher Mensch geworden bist, so, wie ich Dich mir immer gewünscht habe (& kein Sch..). Du siehst nun ja wohl auch selbst ein, wie notwendig es ist im Leben, innerlich & äußerlich ein starker Mensch zu sein! Ihr drüben, die Ihr im Kampfe mit Menschen & mit allen mir denkbaren widrigen Gewalten steht, habt beides, Kraft im Innern & äußerlich, besonders nötig. Und Mut, ein starkes & frohes Herz! Ich sehe nun, daß Du - wenn Dir auch vielleicht noch viel Körperkraft fehlt, doch Mut & innerliche Stärke hat, allen Gewalten zu trotzen & alles froh zu ertragen. Es geht ja mit einem frohen Herzen alles nochmal so leicht, mein lieber Bub!
Ich war heute früh bei [..], für die ich jetzt auch wieder arbeite & las [..] auch Deinen Brief vor & zeigte Dein bild; der Dicke & auch Alfred Leven sagten: „Der Junge hat Mut!” Man zeigt allgemein Anerkennung für Dich. Freust Du Dich nicht selbst darüber? Ich bin stolz, wenn ich so was über dich höre!
Beim Heimkommen kam gerade Herr Härig aus dem Hause & er fragte mich nach Dir & ich soll Dich herzlich grüßen & Dir alles Gute wünschen. Ich zeigte ihm auch Deine Bildchen, die ich im Mäppchen hatte (K. A., Euer Haus u.s.w. Du mit Walter & das letzte.) Er fand alles sehr nett. Härig ist ein netter Mensch. Besondres habe ich heute sonst nicht. Ich schrieb Dir ja erst einen langen Brief. Die Adresse von „Samstag” werde ich Dir durch Tante Tini besorgen. Etwas Geduld bitte. Die andren Briefe besorge ich morgen. - Nun nochmals zu Jontef:
![..]. Da Du nicht zur Synagoge kommst, werde ich doppelt für Dich beten, so man das überhaupt tun kann! Ihr könnte aber für Euch auch die [..] in die Hand nehmen. - Nun nochmals alles, alles Gute! Der liebe Gtt beschütze Dich, Euch alle & ganz Erez auch im kommenden Jahr!
Laß Dich umarmen, mein lieber, guter Junge & sei vielmals geküßt von
Deinem Vater.
Lieber Ernst. Ich bin sehr froh, daß Du Deine Leberwurst bekommen hast, jetzt kann ich wieder ruhig schlafen!! Kuß Großmutter.