Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 27. September 1936
Krefeld, 27. Sept. 36.
Sonntag Nachm.
Mein lieber Junge!
Heute, am Sonntagnachmittag, ist es für mich die schönste Beschäftigung, Dir Deinen lieben Brief v. 14.-19. zu beantworten. Dieser Brief kam wieder pünktlich am Freitag an, sodaß mich die liebe Mutter bei meiner Rückkunft am Freitag Nachm. damit empfangen konnte. Ein Brief von Dir, mein Lieber, ist mir stets der liebste Willkommensgruß bei meiner Heimkunft. Nun bin ich so froh, daß es Dir gut geht, daß Du gesund bist & daß Du, trotzdem Ihr nicht in die Stadt gekommen seid, doch schöne Jom im [..] gehabt habt.
Nun war gestern auch schon Jom Kippur. Ich bin neugierig, zu erfahren, wie Ihr diesen Tag verlebt habt. - Bei uns wie immer. Die liebe Mutter hat für uns alle gefastet; & gttlob sehr gut. Ich tue es ja nicht mehr. Du weißt ja, daß ich vor 2 Jahren in der Nacht drauf so sehr nierenkrank geworden bin & 14 Tage lag; die alten Herrschaften konnten es nicht vertragen. Ilse's Mutter hat auch gut gefastet. Der Gottesdienst war wie immer. [..] Orte Halperin, Minchah Lehrer Stern. Blühms Predigt morgens - vor der Seelenfeier ging an, doch brachte zu meinem & wohl auch der andern Zionisten Erstaunen nicht ein Wort über die Gefallenen in Erez, obwohl er für die Märtyrer (die vor 1000 Jahren für ihr Judentum starben!) betete. Von seiner Neïlah-Predigt habe ich nicht viel verstanden, er begab sich zu sehr ans Philosophieren & das liebe ich nicht sehr bei den Predigten.
Sonst gehts uns gut, Mutter, Großmutter & ich sind gesund, Opa hustet die letzten Tage wieder schlimm; es kommen wieder die herbstlich rauhen Tage & Du weißt, wie es ihm dann immer geht; er wird nun wohl jetzt wieder nicht vor dem Frühjahr das Haus verlassen. Es ist ja nun schon seit Jahren so & man gewöhnt sich auch an diesen Zustand.
Geschäftlich sind wir ziemlich zufrieden; es hat die letzte Zeit noch ganz gut geklappt, hoffentlich bleibt es so.
Nun zu Deinem Brief: Es ist ja schade, daß Ihr nicht nach der Stadt durftet, aber es ist ja nicht so schlimm; denn die Stadt läuft Euch ja nicht fort & Ihr habt die Vorfreude noch. Und vielleicht habt IHr, wenn erst wieder Ruhe im Lande ist, viel mehr davon, als wenn Ihr jetzt hingekommen wärt & hättet schnell wieder fortmüssen. - Ich bin neugierig zu erfahren, was Du nun jetzt für Arbeit bekommst & was weiter mit Dir wird. Deine Schilderung des Neubaus ist interessant; ebenso die Schilderung der Lage der Kwuzah mit Skizze, aus der wir so ziemlich schlau werden können. - Die Unruhen werden nun hoffentlich auch bald ein Ende nehmen. Nach den Zeitungen waren allerdings noch heftige Gefechte, bei denen die Araber viel Verluste hatten. Wir wollen alles Gute hoffen!
Was tatet Ihr in Moga? Schreib mal darüber!
Heute früh sprach ich Weinberg (bei Katzensteins), von dem ich Dich grüßen soll, auch Onkel Michel läßt Dich grüßen. - Jsacson war diese Woche mal hier & sprach mit Mutter & fragte, ob Du drüben schon eine „Stelle” gefunden hättest?! Er wunderte sich sehr, daß Du drüben erst lernen müßtest! Frau Meyer (Hühnermeyer, Marktstr.) fragte Mutter, ob Du drüben auch schon was „verdienst”?!!! Was sich diese Leute alle denken! Heute früh sprach ich mit Karl Lindenbaum über Zionismus. Er meint, die Zionisten erstrebten alle ein jüdisches Königsreich (selbständig!) in Erez!! Eine Ahnung haben diese Leute alle! Für diesen Zweck würde er keinen Pf. opfern! Er unterstützt aber gerne den Aufbau von Erez & gab neulich 50 M. für den K. [..]! Alles unklare Begriffe! - Und heute früh unterhielt ich mich auch mit Max & Paul, auch da eine Verwirrung der Begriffe!
Von der Reise sandte ich Dir eine Rückkarte, die ich Dir öfter senden kann. - Onkel Sali (resp. Tante Therese in seiner Abwesenheit) sandte für Dich 10 M., wir möchten Dir was dafür kaufen; da man das Geld Dir nicht schicken darf, haben wir dieses in unsre Reisekasse getan. Wenn Du aber einen Wunsch hast, schreibe bitte, wir erfüllen Dir gern jeden Wunsch. Auf alle Fälle benutze eine Karte & schreibe an Onkel Sali & bedanke Dich.
Mit Fernichs haben wir uns - wegen Ilse - total verkracht; gerade diese, die immer so befreundet taten, haben sich am traurigsten benommen, statt dem Klatsch entgegenzutreten, haben sie die Sache noch schlimmer gemacht. An sie sollst Du keinesfalls schreiben, auch Ilses Mutter hat sich verkracht mit ihnen & ist es mit diesen Leuten total aus. Im übrigen wird das Gerücht hoffentlich bald wieder einschlafen. Eine Gemeinheit wars natürlich doch, sorge nur dafür, daß Ilse nichts davon gewahr wird. Alma weiß nicht, daß wir Dir darüber geschrieben haben & soll es auch nicht erfahren.
Die Adresse von Alfred Sailer muß ich mir erst besorgen; das wird natürlich viele Wochen dauern. Es eilt ja wohl auch nicht, denn, wer weiß, wann Du mal nach Haifa kommen wirst.
Daß Du dicker & vor allem auch größer geworden bist, macht mir viel Freude. Ich hatte ja Angst, daß Du mal ein kleines [..] bleibst & bin so froh, daß diese Befürchtung nicht eingetroffen ist.
Du meinst, Ihr hättet schon Temperatur wie hier? Du irrst Dich! Hier beginnt schon der Herbst; wir haben heute den ersten Tag im Zimmer den Ofen an!!
Heute, der 27/9; heute ists ein halbes Jahr, daß Du aufs Schiff gegangen bist in Triest! Wie die Zeit vergeht, mein lieber Bub! Es ist ja kaum zu glauben, daß Du uns schon vor einem halben Jahr verlassen hast!
Nun will ich schließen. Ich schreibe Dir doch nochmal von unterwegs aus. Diese Woche fahre ich nach Lüdenscheid (Augustental, weißt Du es noch? Die schönen Tage damals!), Altona, Laasphe, Gummersbach, Olpe, etc.
Also, alles, alles erdenklich Gute, mein Goldbub, und viel tausend Küsse
Dein Vater. ![..]!
Mein lb. Ernst. Vater hat so ausführlich geschrieben, dass ich Dir nur noch für Deinen lb. Brief von Herzen danken kann. Ich habe mich unendlich damit gefreut & bin glücklich, dass Ihr so schöne Feiertage hattet. Auf Deinen ausführlichen Bericht freue ich mich schon. Ich erlebe doch alles so gerne im Geiste mit Dir, mein Pipslein. Hoffentlich habt Ihr auch den Jom Kippur gut verbracht. Ich habe ganz vorzüglich gefastet & mich hinterher auch sehr wohl gefühlt. Wenn es jetzt hoffentlich bald wieder ruhig sein wird, wird Dein Wunsch, nach Jerusalem zu kommen, auch bald in Erfüllung gehen. Hast Duden Verwandten von Spanier gefunden? Von den Münchenern lieb, was für Dich zu schicken. Bist Du mit der Verwendung einverstanden, oder sollen wir Dir was dafür kaufen. Vorläufig haben wir es in unsere Reisekasse getan. Vergiss aber nicht, Dich dafür zu bedanken. Sonst ist hier alles beim Alten. In der Synagoge haben eine Menge Leute nach Deinem Ergehen gefragt & sich gefreut, Gutes von Dir zu hören.
Nun mein lb. Junge, will ich schliessen, bald wieder mehr. Auf der Hubertusstr. sagten sie, sie hätten Dir auch eine Rückkarte gesandt, die Du aber nicht für sie verwenden sollst, sondern für andere Zwecke. Tausend innige Küsse! Deine Mutter!
Opa & Oma lassen grüßen!