Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 11. Oktober 1936

Krefeld, 11. Oktober 36.

Mein lieber Junge!

Vielen herzlichen Dank für Deinen Brief v. 27/9.-29/9., mit dem wir uns, wie immer gefreut haben. Vor allem sind wir glücklich, daß Du gesund bist & froh schreibst. - Dein Bericht über die Jonteftage, über das Fasten & Festefeiern, hat uns sehr interessiert. Ich bin nun ja auch ganz Eurer Meinung, daß es besonders in Erez notwendig ist, am Alten, das sich trotz aller Leiden in der Gola tausendfach bewährt hat, festzuhalten. Wir sind ja selbst immer ziemlich freidenkend gewesen, wir haben uns nicht starr an den Buchstaben der Thora geklammert, aber doch bin ich immer dafür, der alten Fahne treu zu bleiben. Und Erez, sollte man doch denken, müßte doch dem Alten einen neuen Auftrieb geben, es sollte doch die Lehre von Zion von neuem ausgehen, eine neue Blütezeit anbrechen! Es ist schade, und es ist geradezu merkwürdig, daß sich die dortige Jugend, die doch aus dem Osten kommt & die zum Teil im Hause ihrer Eltern noch sehr fromm erzogen worden ist, sich so sehr absondert. Ich hoffe, & ich wünsche es Euch, daß es bei Euch, die Ihr aus Deutschland gekommen seid, nicht eine vorübergehende Erscheinung ist, daß Ihr die Fahne des Glaubens hochhaltet, daß Ihr nicht auch im Laufe der Jahre Euch dort absondert & gleichgültig gegen diese werdet. Man braucht nicht, wer weiß wie bigott zu sein, aber der Glaube & das Gottvertrauen gibt uns armen Menschen doch eine unendliche Stärke & Kraft. In der Not gibt uns die Hoffnung, die wir aus dem Vertrauen auf Gottes Hilfe & Schutz schöpfen, immer wieder neue Kraft & Zufriedenheit. Wofür wären die Juden in ihrer Gesamtheit denn gekommen, wenn sie sich schon vor Jahrhunderten von Gtt & seiner Lehre abgewendet hätten? Sie wären längst zwischen den Völkern zerrieben & zermalmt worden. Ja, das stimmt, das Juden-Elend & die Juden-Not hätte längst ein Ende, - aber auch wir Juden selbst! Es wäre ein Leichtes gewesen, sich im Laufe der Jahrhunderte durch Taufe, Mischehen aufzulösen, aber es ist - trotz aller Leiden besser so. Nach 2000 Jahren wird es einst doch wieder ein jüdisches Volk im jüdischen Lande geben; auch hier wird Gtt helfen! -

Ich freue mich, zu sehen, daß Du nun so fleißig Dich über gute Bücher machst. Auch ich bedaure es sehr, daß ich diese schönen Dinge nicht mehr alle mit Dir besprechen kann, wie ich es hier so gern mit Dir getan hätte, manche geistig-schöne Stunde würden wir zusammen genießen - & so müssen wir leider darauf verzichten - & auch hier hoffen, daß wir noch so manches einst in späteren Jahren nachholen können. Ich hege doch die Hoffnung, daß unsre räumliche Trennung nicht ewig währt & wir eines Tages wieder für dauernd zusammen sein werden. Hoffentlich kann ich Dir auch die neuen schönen Bücher über all die schönen Dinge einmal zukommen lassen.

Die l. Mutti freut sich, daß Du die Hose schon bekommen hast, daß überhaupt alles so schön angekommen ist. Wenn Du noch Wünsche hast, schreibe bitte. Es kommt nun ja bald Chanukka. Hast Du irgendeinen Wunsch? Wir möchten Dir gerade zu Chanukka eine kleine Freude machen.

Frau Rosberg & Jupp waren dieser Tage hier; ich habe mit ihr ein bißchen Knies gehabt, sie fühlte sich über eine Bemerkung von mir, die sie falsch verstanden hat, mal wieder beleidigt. Bei ihr muß man jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ich bin froh, wenn ich sie nicht sehe; mit solchen Leuten kann man nicht zusammen sein! Fritz hat Deine Karte erhalten; es war noch zu früh, die erste Gratulation. Bei ihm ists immer noch dasselbe. Die Eltern bemühen sich auch gar nicht um ihn, daß er was findet.

Wie es nun mit Deiner Arbeit wird, bin ich neugierig. Hoffentlich lernst Du auch recht viel, daß Du Dir selbst helfen kannst, wenn Ihr später vielleicht für Euch bleibt. Na, das aber überlassen wir ruhig ales der Zukunft & lassen wir uns deshalb keine grauen Haare wachsen! - Lore habe ich seit Jom Kippur nicht mehr gesehen. Da ich am Schabbat keine Zeit habe, zur Synagoge zu gehen, sehe ich sie auch nicht. Eines Tages wird sie wohl wieder auftauchen. Am 2. Rosch Haschawahtage war sie ja bei uns. Ja, mein Lieber, so geht das schon bei den kleinen Mädchen. „Aus den Augen, aus dem Sinn!”

Eben war Onkel Emanuel & Tante Clara hier, ich soll Dich grüßen! -

Daß der Brief von Helmut Frank fehlte, bedauern wir alle, auch Helmut, dem es Mutter gesagt hat, sehr; Helmut wird Dir neu schreiben. Anscheinend ist der irrtümlich an der Überwachungsstelle liegen geblieben; denn was die Kinder geschrieben haben, konnte jeder lesen. - Antwortkarten bekommst Du öfters. Ich habe Dich diese Woche damit vernachlässigt, auch die l. Mutter. - Mutter ist seit Dienstag bei Helmuts Eltern im Geschäft zur Aushilfe an der Kasse. Das Geschäft hält Totalausverkauf & Schöndorn (Porzellan) kommt am 1. Febr. hinein. Mutter ist nun zum 4. Mal dort, vorm & im Kriege, nach dem Kriege & jetzt, Glück, Aufstieg & Ende hat sie nun miterlebt! Mutti will für meine Erez-Reise sparen!!! Was sagst Du dazu? Mutter soll dann zu Weihnachten auch bei Freunds helfen. Dann wird unsre Reisekasse wohl etwas anwachsen, sodaß ich hoffen kann, noch vor Ablauf Deiner 2 Jahre Dich wiederzusehen! Die Vorfreude ist ja noch ziemlich lange bis dahin, aber es wird, wie so manches, auch das zu seiner Zeit schon kommen!!

Diese Woche fahre ich nach Münster, wieder zur Ausstellung; Du bekommst dann auch wieder eine Rückkarte. -

Ich bin neugierig, ob aus Deiner Reise nach Tel-Aviv etwas geworden ist. Ich wünschte es Dir! - Nun wird ja wohl allmählich Ruhe dort werden & dann wirst Du endlich auch nach Jerusalem kommen. Vergeß nur dann nicht, den Kinderarzt Dr. Benno Grünfelder (Jerusalem, Telefon 1001) bez. dessen Eltern mit Grüßen von Tante Tini zu besuchen. Hast Du Dir auch die Adresse von Frau Anna Wagner, Haifa, notiert, Lord Melchettstr. 14, eine Nichte von Bankier Kanor in Wien? - Ich bin ja froh, wenn Du mal mit Bekannten zusammentriffst & auch selbst Verbindungen anknüpfst.

Von einer Sukkah-Hütte haben wir leider nichts gesehen; ich war ja jeden Tag auf Tour & konnte es mir ja leider nicht gönnen, außer Rosch Haschanah & Jom Kippur auch noch Sukkoth zu feiern. Ich hätte die Sukkah gern gesehen. - Über Deinen Heine-Abend kannst mir mal berichten. Ich habe ja für all solche Dinge keine Zeit. - Die liebe Mutter hat sich jetzt eine Karte zum Kulturabend genommen; den ersten Abend, diese Woche, wird Dela Lipsiuskaja, die Du auch schon gehört hast, bestreiten. Wir haben die Karte für uns beide ausstellen lassen, sodaß eventuell auch ich mal hingehen kann.

Weshalb wird der 2. Tag Sukkoth nicht gefeiert??

Du schreibst, wenn Eure Gruppe zur Ansiedlung kommen sollte, ist Euer Verhältnis 18:10 stark. Es wird dann wohl in irgendeiner Form schon gesorgt werden, daß ein Ausgleich da ist. Manch einer wird sich ja wohl eine Frau aus einer andren Kwuzah holen & es ist ja auch nicht sicher, daß jeder von Euch heiraten will. Vielleicht werden Euch auch dann noch Mädels zugeteilt. Die Zeit wird es schon zeigen! Über die Verteilung der Arbeit, der Wohnungen etc. zwischen Jungen & Mädels in den einzelnen Kwuzzoth kann man von hier aus nicht viel sagen. Unsre wirkliche Einstellung zu diesen Dingen ist natürlich ganz anders, man muß sich in vielen Dingen drüben umstellen, ganz besonders in diesen Dingen, aber ich muß Dich immer mahnen: „laß die Finger davon! laß sie davon, solang es geht!!

2)

Glaube nicht, daß ich diesen Dingen fremd oder unverständig oder unmodern gegenüberstehe; im Gegenteil, ich denke darüber so frei & großzügig, wie man nur denken kann; aber aus vielen Gründen, die ich Dir schriftlich nicht so erläutern kann, wie ich so oft mit Dir darüber mich unterhalten habe, muß ich Dir das Sprüchelchen immer wiederholen, „laß die Finger davon!” Laß Dich auf keinerlei Dinge ein, meinst Du einmal es alleine, ohne Rat, nicht tragen zu können, besprich alles mit Deinem Führer; er wird Dir gewiß auch hier gut raten. Gerade in diesen Dingen, kann ein junger Mensch so vieles falsch machen, daß er sein Leben lang daran zu tragen & eventuell zu bereuen hat. Tu nichts aus Dir allein ohne Deinen Führer; besonders hier keine Heimlichkeiten, folge meinem Rat, er ist nicht nur väterlich, sondern auch wirklich freundschaftlich gemeint. Ich habe Dir in diesen Dingen viel mehr gesagt, als sonst Väter ihren Söhnen sagen & ich möchte nicht, daß dies umsonst war. Wenn Du etwas älter & erfahrener bist, wirst Du es mir von Herzen danken. Es ist ein schweres Problem für die Jugend, ich weiß es, aber mit viel Verständnis & gutem Willen ist auch das zu lösen. Eine richtige Lösung ist ganz besonders wichtig! - Ich kann Dir nur raten, aber beeinflußen kann ich die Dinge nicht; halte dich auch hier dran: ![..]!

Das Gerücht, das sich hier hielt, scheint nun im Erlöschen zu sein. Ich habe nichts mehr gehört. Wer es aufgebracht hat, ist nicht herauszubekommen. Dank auch an Deinen Führer, dem Mutter & ich für seine Aufsicht danken & vielmals grüßen! - Auch an Küken & Ilse Grüße! Auch Frau Wertheim läßt Dir Grüße bestellen. Auch Georg Kaufmann, den ich heute sprach. Er ist noch a. d. Schule!

Daß Du nur 102 Pfd. wiegst, ist wenig. Du mußt also noch tüchtig essen, damit Du zunimmst. Das ist gewiß zu wenig für Deine Größe! Allem Anschein nach langst Du noch immer nicht genügend in die Suppenschüssel! Du bist ja selbst enttäuscht! Hoffentlich wird das bald besser.

Di lb. Mutter ruft mich eben auf zum Abendbrot. Ich bin nun auch am Ende! Von uns: es geht uns gut. Wir sind gesund. Geschäftlich klappe es auch.

Nun alles Gute, viel gute Wünsche, mein lieber, lieber Junge & viele Küsse
Dein Vater.

Mein lb. Junge! Viel Dank für Deinen lb. & langen Brief. Ich freue mich! Was sagst Du dazu, dass ich wieder bei Spiro an der Kasse bin. Wie lange es dauert, weiss ich nicht, aber so lange sie mich behalten wollen, halte ich aus & tue mein verdientes Geld in die Reisekasse, damit Vater Dich s. G. w. nächstes Jahr einmal besuchen kann. Dafür will ich gerne arbeiten. Es macht mir aber auch Spass. Und vor Weihnachten gehe zu Freunds aushelfen, das sind alles Marken, die ich sonst nicht habe & hoffentlich für die Reise verwandt werden können. Wir möchten ja beide kommen, aber das sind Schlösser, die im Monde liegen. Ich bin froh, wenn einer

fahren kann & das wird in unserm Fall wohl der Pips sein, der es ja auch zuerst verdient. Ist es nicht traurig, dass Spiro ausverkaufen müssen, alles aufgeben, in die II. Etage ziehen & er will eine Vertretung übernehmen. So geht ein Geschäft nach dem andern ein. Hoffentlich dauert nur der Ausverkauf noch einige Wochen, damit es sich auch für mich lohnt. Deinen Brief hat Vater ja ganz gründlich beantwortet, diese Woche bin ich etwas schreibfaul, aber Du entschuldigst mich wohl. Ich gehe morgens um 8 Uhr aus dem Hause & komme abends mal um 9 Uhr wieder heim. Dass ich dann müde bin, kannst Du Dir denken, aber in Gedanken bin ich immer bei Dir. Über das gute Zeugnis von Deinem Führer Fritz habe ich mich besonders gefreut, mach nur weiter so, dann wird alles schon richtig werden. Sei für heute hiermit zufrieden & nimm tausend Küsse & gute Wünsche
Deiner Mutter.

Lieber Ernst! Gern nehme ich die Gelegenheit wahr Dir herzliche Grüße zu senden!

Ich freue mich stets Gutes von Dir zu hören!

Zudem ich Dir weiter alles Gute wünsche bin ich mit vielen herzl. Grüßen
Deine
Frau Alma Wertheim