Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 22. Oktober 1936

Donnerstag, den 22.10.36.

Mein lb. Junge!

Bis heute kam ich nicht dazu, Dir Deinen wohl schon bestätigten Brief von Montag zu beantworten. Jetzt benutze ich meine Tischzeit dazu, sonst kommt wieder nichts draus. Dass Du an Onkel Richard geschrieben hast, war recht von Dir, er wird sich sehr damit freuen & wenn Ihr beide persönlich korrespondiert, kann das für Dich nur von Vorteil sein. Nach Tel-Aviv wirst Du bestimmt mal fahren dürfen. Wenn sie Euch wegen der Unruhen jetzt noch nicht gern wegschicken, kann ich das sehr gut begreifen & ist es uns lieber, wenn sie vorsichtig mit Euch sind, als umgekehrt. Also nur Geduld, mein Junge. Franks verkaufen Ihr Geschäft ganz aus, ziehen in die II. Etage & Eugen will eine Vertretung übernehmen. Den Laden & die erste Etage haben sie sehr gut vermietet, sodass sie dann ihr Auskommen haben. Dass Du jetzt Freude an guten Büchern hast, hören wir gerne; besonders auch, dass Du nun auch selbst einsiehst, wie recht wir immer hatten, wenn wir Dir sagten, Du solltest mal was anderes als Karl May lesen. Du bist aber noch ein junger Kerl & Deine Einsicht kommt nicht zu spät. Was Du versäumt hast, kannst Du heute noch einholen, nur können wir uns nicht zusammen und über Gelesenes unterhalten. Aber hoffen wir, dass die Zeit auch mal kommt & dann holen wir alles nach.

Deine Wünsche habe ich Dir sofort erfüllt, Hose, Papier

& Rasierklinge sind seit Montag unterwegs. Wie ich schon schrieb, braucht es Dir nicht leid zu tun, eine Bitte aussprechen zu müssen. Wir sind froh, wenn wir Dir mal einen Wunsch erfüllen können, auch wenn es Geld kostet. Es ist rührend von Dir, uns nicht weiter auf Unkosten treiben zu wollen, aber ich bitte Dich wiederholt, zu schreiben, wenn Du was haben willst. Wenn es nicht ginge, würden wir eben nein sagen müssen aber solange wir es können brauchst Du Dir keine Gewissensbisse zu machen, Pipslein. Dass Ihr Eure Betten alle 14 Tage überzieht, finde ich sehr schön. Ein Zeichen, dass es ordentlich bei Euch zugeht. Hat die neue lila & auch blaue Hose gepasst? Warum tut es Dir leid, nicht wieder in den Gemüsegarten zu kommen? Sind die Obstgärten denn weniger interessant? Ich halte die Abwechslung für ganz gut. Du nicht? Was Du über die Feiertage schreibst, ist mir ganz neu. Du siehst, man ist nie zu alt, um noch hinzu zu lernen. Jetzt können wir von Dir lernen, die Rollen sind nun getauscht. Andere Länder, andere Sitten. Kuchen & Bonbons bekommt Ihr wohl häufig. Wie steht es sonst mit Deiner Esserei? Besser als hier? Soweit Dein Brief, aber auch meine freie Zeit geht zu Ende. Ich arbeite aber gerne, zumal jeden Abend 4.- in die Sparbüchse kommen & darüber freuen wir uns am meisten. Vielleicht & hoffentlich kommt morgen schon ein neuer Brief von Dir, diesen lasse ich solange liegen. Viel Gutes & tausend Küsse
Deiner Mutter.

Sonntag, den 25.10.36.

Mein lb. Ernst!

Dein lb. Brief vom 12-17. ds. kam mal wieder ganz pünktlich zum Frühstück gestern früh & hat es uns daraufhin noch einmal so gut geschmeckt. Recht herzlichen Dank dafür; Du bist & bleibst doch unser gutes, liebes Pipslein.

Hoffentlich habt Ihr nun die lang ersehnte Reise drüben; dann wird es noch einmal so schön bei Euch. Es ist natürlich bedauerlich, dass aus Deiner Reise nach Tel Aviv nichts wird, aber einmal klappt auch das, mein Junge. Nur Geduld, Du bist ja noch länger drüben. Wenn Du übrigens nach Tel Aviv fährst, besuche einmal Herrn Josef Loewenthal, Hagalil Str. 24. Du kennst doch einen Herrn Kaufmann, der hinter Vater in der Synagoge steht & der Dir damals ein Wurstpaket mit nach Erez geben wollte. Dieser Herr war heute früh bei uns. Frau Loewenthal ist seine Tochter & er will seinen Kindern schreiben, dass Du sie besuchst, Du kommst also nicht fremd hin. Es wäre doch sehr schön, eine bekannte Familie dort zu haben. Hast Du übrigens nochmals was von Max Levy gehört, der Dir die Hose besorgt hat? Ich halte Dir mal den Daumen, vielleicht wird dann eher was aus Deiner Reise.

Dass Ihr Kranke habt, ist recht bedauerlich, was fehlt denn dem zweiten Jungen & wie geht es beiden? Auf jeden Fall finde ich es sehr rücksichtsvoll, dass Ihr in anbetracht der beiden Kranken Euer Fest verschoben habt & diese beiden nicht benachteiligt worden sind. Das Münchener Geld habe ich ganz weg getan, die Hose haben wir auch so bezahlt. Deinen guten Willen nehmen wir für die Tat &

Mein lieber Junge! Da der Brief zu schwer würde, verzichte ich heute auf die Beantwortung Deines Briefes, sondern schreibe Dir dieser Tage mal in Ruhe ausführlich von der Reise aus. Ich sitze ja Abends im Hotel & dann gibt es für mich bestimmt keine bessere Unterhaltung als ein Plauderstündchen mit Dir, mein liebes Pipslein! - Vor allem freue ich mich über Deine so guten Nachrichten. Halte nur immer den Kopf hoch! Der liebe Gtt hat bis hierher geholfen; er wird uns auch weiterhelfen! - Anbei eine Karte No. 1!

Nun viele herzlichste Grüße & Küsse Dein Dich innig liebender Vater.

Von Onkel Michel soll ich Dich grüßen!

& danken Dir dafür. Was hattest Du für einen Wunsch zu Chanuka? 10,- Mk gehen morgen wieder an Dich ab & die Ansichtskarten wollen wir Dir gerne schicken. Wenn die Briefe nicht zu schwer werden, legen wir Dir jedesmal eine bei. Du hast mehr davon als wir, bei uns liegen sie doch nur im Schrank. Wenn Frau Kaufmann es tun will, bekommst Du die Schuhe mitgeschickt, sonst musst Du Dir einmal drüben in der Stadt welche kaufen. Vielleicht sind sie dort nicht teurer als hier, aber erst fragen wir mal Frau Kaufmann. So lange wird es ja noch Zeit haben. Diese Woche gehe ich nicht ins Geschäft, da wenig zu tun ist, aber nächste Woche machen wie wieder einen Sonderverkauf, bei dem ich helfen muss. Es tut mir leid, dass dadurch weniger in die Kasse kommt, aber ich kann es leider nicht ändern. Die Hinfahrt haben wir zusammen, jetzt müssen wir für die Rückfahrt sorgen & dann für den Unterhalt dort. Es dauert also schon noch eine Weile. Wie ist das eigentlich, kann man sich bei Euch aufhalten, schlafen & essen & was würde das kosten, wir haben ja von allem garkeine Ahnung. Ich frage, nur um zu wissen, wieviel Geld man nötig hätte, um einige Wochen bescheiden drüben leben zu können. Wie gesagt, es sind nur Fragen, denn man kann sich in der heutigen Zeit nicht von heute auf morgen etwas vornehmen, es kommt doch immer alles anders. Aber interessieren würde mich das alles mal. Das Wetter hier ist scheusslich, Regen, Sturm schon seit Tagen, das seid Ihr besser dran. Obst gibt es hier überhaupt keins, die Apfelernte ist verdorben, wir haben keinen einzigen im Haus, wie sonst im Herbst. 1 Pfd. kostet 40-50 Pf. & das kann man sich doch nicht erlauben. Bei meinem Obsthunger sehr bedauerlich. Deinen Brief will der Pips Dir gleich beantworten, deshalb von mir noch tausend gute Wünsche & Küsse Deiner Dichl. Mutter.