Richard Loewy an Sohn Ernst, 28. Oktober 1936

Z. Z. Brilon, 28/10.36.

Mein lieber Junge!

Heute Abend will ich endlich mal auf Deine letzten Briefe eingehen. Vor mir liegen die Briefe, die in den letzten 14 Tage gekommen sind & zwar beginnen sie am 7. Oct; also heute vor 20 Tagen, fast 9 Wochen. Eine genaue Beantwortung hat ja kaum mehr Sinn nach so langer Zeit, aber vielleicht ist noch so manches, worauf ich genauer eingehen möchte. Eben sehe ich, es ist sogar noch ein Brief v. 5. ds. dabei & will ich den nun zuerst vornehmen. - Es freut mich für Deinen Freund Herbert, daß er in T. A. so gut angekommen ist; hoffentlich findet er dort eine gute Zukunft. Welche Tiere hat er zu pflegen? Ich wünsche Dir, daß Du ihn bald besuchen darfst & etwas vom Lande & der Stadt siehst. - Deine Arbeit ist ja nun wohl auch wieder geregelt; in den Obstplantagen kann man bestimmt auch viel lernen & ist es wohl ebenso wichtig, wie im [..]. - Die Unruhen scheinen nachgelassen zu haben, aber völlige Ruhe ist leider noch immer noch nicht; es scheint, als wenn die arabische Führung die Geister, die sie gerufen, nicht mehr loswerden kann! Wenn es nur endlich mal wieder zur Ordnung käme! Wir wollen hoffen, daß bald alles gut wird! - Ich freue mich, daß Du dort so gute Bücher liest; es ist gewiß schade, daß wir nicht alles so besprechen können, aber es wird hoffentlich in späteren Jahren alles nachzuholen sein. Das Abendmahl von L. da Vinci sandten wir Dir am Sonntag; die Gioconda anbei. Wir wollen Dir die schönen Karten der Reihe nach senden. Halte sie bittet auch dort in Ehren; die Karten stammen noch aus dem Frieden & sind, obwohl in Deutschland hergestellt, meist in Italien [..] worden. - Wenn Du noch was brauchst, Hosen, Strümpfe oder sonst was, schreibe bitte frühzeitig & lasse es nicht bis auf die letzte Minute, bis etwa alles heruntergerissen, sondern ersetze alles frühzeitig, Du sollst Dich nicht genieren, Wünsche zu haben, Du weißt, daß wir für Dich immer da sind & es für uns ein schrecklicher Gedanke wäre, wenn wir Dich in irgendeiner Not oder Klemme wüßten. Achte bitte auf Deine Sachen & sorge, daß alles in Ordnung bleibt, also auch durch rechtzeitigen Ersatz. - Daß Ihr aus den Sichot viel lernt, ist sehr schön, es ist ja auch sehr wichtig, daß Ihr Euch mit allen Dingen des Lebens drüben früh genug & auch gründlich genug vertraut macht, damit Ihr nicht, nach Beendigung der Alijah lebens- & weltfremd in der Ferne seid, sondern selbst Euren Mann stellen könnt, trotz eurer Jugend. - Euer Mist wird anscheinend wirklich gut bezahlt! Wir verkauften in Waidhaus unser 1 großen Heuwagen voll, den kaum 2 Pferde noch ziehen konnten & Hofverladen für 4 Mark! Einen einzigen solchen Wagen möchte ich mal für unsern Garten haben!

Die Erklärung, weshalb man in Erez nur 1 Tag Jontef feiert, hatte ich schon mal - ich glaube sogar in meiner Jugend in der Schule - gehört, aber lange wieder vergessen! - Am 10.10. beklagst Du Dich, daß unsre Post so unregelmäßig ankommt. Die l. Mutter meinte schon, es komme vielleicht daher, daß wir meist den Leitvermerk: via - Belgrad - Instanbul, oder via Triest etc. aufs Couvert schreiben. Meinst Du, es läge daran? Wir richten uns meist nach den Bekanntmachungen der Postzeiten in der C.V.-Zeitung.

„Tonio Kröger” ist sehr nett. Wir hatten dies kleine Büchlein auch mal, in einer sehr hübschen, handcolorierten Ausgabe, aber soviel ich weiß, ist es uns - wohl mal verliehen - abhanden gekommen. Es ist traurig, daß Menschen immer wieder geliehene Bücher nicht zurückgeben können!

Deine Arbeit in der Obstplantage: Ilse schrieb schon sehr stolz, daß sie allein in der Kwuzah in der Obstplantage eine Arbeit verrichte, nämlich Stecklinge setzen oder Kerne säen, oder wer weiß, was! Arjal ist wohl ihr besondrer Freund, weil sie immer mit ihm arbeitet? - Daß Onkel Karl Dir geschrieben hat, ist ja allerhand! Er ist sonst gar nicht so schreiblustig!! Hörst Du von Else gar nichts mehr? - Mit Frau Kaufmann will ich rechtzeitig Rücksprache nehmen wegen der Schuhe & der Bücher. Ich würde Dir ja gern noch eine Anzahl Bücher mehr schicken, ich kann aber dies von Frau K. nicht verlangen. Und m. Post ist zu teuer. Die geflügelten Worte wird sie Dir bestimmt mitbringen! Meinst Du, wir hätten es so nötig, daß wir es nicht entbehren könnten?! Ich wollte, ich könnte Dir meinen ganzen Bücherschrank hinschicken! - Die Markensammlung reicht noch immer nicht ganz, von Zeit zu Zeit, wenn ich mal neue bekommen kann, nehme ich sie mir immer mal wieder vor & klebe welche bei. Z. Zt. haben wir 4798 & es liegen noch einige zum Einkleben im Tintenfaß. In freien Minuten ists doch eine ganz schöne Zerstreuung; lesen & lernen kann man ja auch nicht immer! - Auf den Ausgang Eurer ½-Jahresfeier bin ich neugierig; hoffentlich habt Ihr viel Spaß. Wer ist von Euch eigentlich krank? Wer hatte Typhus & was fehlt dem andren Jungen? Wo sind die Kranken? Wieso kann denn jetzt Typhus ausbrechen? War es denn so heiß noch bei Euch? - Wie schmecken bei Euch die Pampelmusen? Hier sehr wässrig & mache ich mir gar nichts draus. Dabei sind sie sehr teuer. ca 30 Pf.

Was macht Euer Radio, Euer Klavier? Und was Deine „Jump” und Euer Orchester? Es ist im Laufe der Zeit wohl auch eingeschlafen? Was macht Dein Photo-Apparat? Hast Du eigentlich alle Filme verbraucht? Wenn Du mal wieder einen haben willst, schicke ich Dir gerne einen. Ich möchte ja gerne wieder ein nettes Bildchen von Dir haben. Hoffentlich trifft Dich dieser Brief recht gesund & froh an. Daß Ihr alle wieder untersucht & Du für gesund befunden bist, höre ich natürlich mit besondrer Freude. - Nun soweit Deine Briefe. - Nun noch von uns: es geht auch uns soweit gesundheitlich gut; geschäftlich geht es immer so weiter; ich kann nicht prahlen, aber ich brauche nicht zu klagen. Mit unsrer gewohnten Einfachheit & Sparsamkeit kommen wir durch. Es gibt viele Leute, denen es schlechter geht als uns; man soll nicht neidisch auf die sehen, denen es besser geht, sondern zufrieden sein, mit dem, wie es ist. Immer fleißig sein & den guten Mut und die frohe Laune nicht verlieren. Halte auch Du, mein lieber, lieber Junge, diesen Grundsatz hoch, Du wirst es mir einst danken! Und sei froh, daß Du in K.A. es so gut getroffen hast. Der Weg, den Du gegangen bist, ist bestimmt der rechte für Dich, Du wirst es später noch einsehen & manch einer wird Dich darum beneiden. - Von Kronach haben wir schon lang nichts gehört. Von Ernst liegt noch eine Karte daheim, die ich noch zu beantworten habe. Der eine Tag in der Woche daheim ist stets so mit Arbeit angefüllt, daß ich kaum zu Privatangelegenheiten Zeit finde. Und doch muß ich ihn schreiben. Onkel Carl war in [..], woher er uns schrieb, anscheinend hat er Else besucht. - Daheim gibt es sonst nicht viel Neues. Zu der bewußten Klatschangelegenheit (die Gemüter scheinen sich beruhigt zu haben, denn man hört gar nichts mehr davon) war ich s. Z. mal Abends mit der l. Mutti im Heimabend der JPD & habe mich bereit erklärt, ihnen mal an einem Samstagabend als Referat aus Deinen Briefen vorzulesen. Begeisterte Zustimmung -, sie wollten mir sagen, wann & seither habe ich nichts mehr gehört. Wenn es doch noch jemand einfallen sollte, mich jetzt noch darum zu bitten, werfe ich sie hinaus! Schöne Freunde! Und welch Interesse für die ganze Sache! Statt daß sie sich freuen würden, etwas vom ersten aus ihrer Mitte, der nach Erez ist, zu hören, Authentisches zu hören, setzen sie sich im Heim im Kreis & wissen nicht, was sie tun sollen, um die Langeweile des Abends zu füllen! Die Führung der [..] ist nichts wert & ihr ZOG-Geist ebensowenig. - In der ZOG bin ich seit August nicht gewesen, da ich am Montag nicht zu hause bin. - Ilse schreibt immer ihrer Mutter, sie möchte den JPD, die ZOG grüßen! Dabei kommt Alma mit dem JPD in keiner Weise zusammen & zur

ZOG. habe ich sie 2 x mit Gewalt hinschleifen müssen. Sie hat auch für die ganze Geschichte kein Interesse, sie ist auch gar nicht mit dem Herzen bei der Sache. - Von uns selbst kann ich sonst nichts berichten. Oma gehts gut, Opa hustet, hat sich krank bemeldet & liegt wieder den ganzen Tag auf der Chaiselongue. Am Sonntag war Hermann Meyer & Max Meyer da, wir haben Skat gespielt, da war er ganz mobil. Dem Manne hat sein Lebtag die Energie gefehlt & die nötige Lebensfreude! - An den Verwandten erlebt man überhaupt wenig Freude; alles stöhnt & klagt, teils aus gesundheitlichen, teils aus wirtschaftlichen Gründen. Ein jeder hat was andres.

Ich sitze bei Kohlbergs im Zimmer - allein; draußen plätschert der Regen in Strömen! Die vergangene Nacht hat es hier in der Gegend schon geschneit; die Bergspitzen sind alle schon weiß; es dauert hier nicht mehr lang, dann ist der Winter da. für mich keine schöne Zeit; alles andre als ein Vergnügen im Auto. Wenn dann das Geschäft noch so hervorragend wäre, wollte ich noch nichts sagen! Ich soll nun schon Seide für das Frühjahr verkaufen & die meisten haben dazu noch recht wenig Lust!

Ich bin rechtschaffen müde & gehe bald schlafen. Ich hätte noch ganz gern gelesen, aber es geht nicht. Ich habe ein sehr interessantes Buch mit: Das vergessene Dorf von Theodor Kröger. Erlebnisse eines deutschen Internierten im Kriege in Rußland. Ein wundervolles Buch, z. T. auch voll entsetzlicher Erlebnisse in Sibirien, ein Leben voll Not & Qual & voll Liebe zu einer edlen Frau & Sehnsucht nach der Heimat. Für mich, der ich ja Rußland aus dem Kriege selbst kenne, besonders interessant. Manche Schilderung erinnert mich selbst an 1914-1917; die weißen, hellen Nächte im russischen Winter, die Volks[..] usw. -

Nun mein lieber, lieber Junge, ich will schließen! - Schreibe uns weiter fleißig; halte Dich tapfer! [..]! Grüße mir alle, die ich kenne & nicht kenne & bleib Du mir gesund & froh! Viele Küsse von
Deinem Vater.