Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 30. Oktober 1936

Freitag, den 30.10.36.

Mein lb. Ernst!

Wie schnell das diesmal ging, heute früh kam Dein lb. Brief vom 19-24 ds. & wird sich Vater gleich freuen, wenn er heimkommt, gute Nachricht von Dir vorzufinden. Auch meinen herzlichsten Dank. Das Negativ habe ich auch gleich zu Horster gebracht & kann das Bildchen noch bis 6 Uhr abholen. Also auch noch, bevor der Pips kommt. Wird der sich freuen! Und ich freu mich jedesmal, wenn ich ihm eine gute Nachricht entgegenhalten kann. Das sind ja so unsere einzigen Freuden & Gedanken. Augenblicklich faulenze ich, aber eben bekam ich von Spiro Bescheid, dass ich Mittwoch wieder hinkommen soll. Hoffentlich ist es nur für längere Zeit & nicht nur für ein paar Tage. Ich könnte mir das Geld so schön mitnehmen, aber ich glaube, es wird bald aus sein. Übrigens ist Helmut mit einem negativen Erfolg zurückgekommen. Es ist nicht abgelehnt, sondern nur zurückgestellt bis März, weil sein augenblicklicher Gesundheitszustand nicht befriedigt. Es wird sehr scharf untersucht für Amerika. Bei Franks sind sie alle sehr enttäuscht, so kann es noch wer weiss wie lange dauern, bis er weg kommt. Raddens & unser ketziger Lehmann gehen dieses Jahr auch nach Amerika, mit den Familien. Das sind so die Neuigkeiten & nun zu Deinem Brief. Dass Onkel Richard Dir so schnell geantwortet hat, kannst Du bei seiner Schreibfaulheit gross anrechnen. Deine Grüsse werde ich ihm ausrichten. Dr. Süssmann machte Dich ja seinerzeit schon darauf aufmerksam, dass Eure Zähne drüben durch die veränderte Lebensweise zu leiden hätten. Er hat also recht behalten. Stell Dich nur ja nicht so bei der Behandlung an, wie hier, sonst kriegen sie einen schönen Begriff von Dir. Ich war übrigens auch vorige Woche in Behandlung & habe einen Zahn plombiert bekommen; Dabei haben wir noch von Dir gesprochen. Deine Reise nach Tel Aviv scheint ja mit grossen Hindernissen verknüpft zu sein. Vielleicht warst Du in der Zwischenzeit aber schon dort & hast viel gesehen & erlebt. Ich würde mich freuen, bald einen begeisterten Bericht von dort zu erhalten. Selbstverständlich kannst Du einmal Geld für Dich privat ausgeben, darüber brauchen wir wohl nicht viel Worte zu verlieren. Auch scheint Eure Arbeitseinteilung mit Hindernissen vor sich zu gehen. Du wärst ja wohl glücklich wieder in den Gemüsegarten zu kommen, obwohl ich eine Abwechslung für genau so richtig hielte. Aber das lässt sich von hier aus nicht beurteilen.

Wenn Dich s. G. w. mal einer von uns besuchen käme, so wäre es natürlich zuerst der Vater. Ich müsste dann allen Egoismus beiseite stellen, sondern denken, was richtiger ist. Und in diesem Falle fällt die Frage zu Gunsten von Vater aus. Väter können doch Söhnen richtiger raten & helfen, bei Töchtern wäre es umgekehrt. Also müsste ich sagen, schade dass Du keine Tochter bist, aber Töchter zu haben ist, glaube ich, heute noch schwerer als Jungens zu haben. Da Du aber ein Sohn bist, brauchen wir uns darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Dass es hier immer Gruppen & Grüppchen gegeben hat, ist eine alte Tatsache, aber dass sich Eure Gruppe sogar drüben zerspaltet, berührt mich recht unangenehm. Ich habe immer gedacht, Ihr seid eine grosse Familie, mit den gleichen Aufgaben & Zielen & nun isoliert Ihr Euch schon am anfang Eurer 2 Jahre. Wie kann das nur möglich sein & wer trägt die Schuld an solcher Zersplitterung? Schreibe uns nochmals

darüber. Was für Dich nach den Jahren wird, lässt sich heute noch nicht überblicken; lassen wir die Zeit mal an uns herantreten. Kommt Zeit, kommt Rat. Bis dahin bist Du dann auch in einem Alter, wo man weiss, was man tut & wirst schon keine Dummheiten machen. Du bist ja noch sehr jung, aber trotzdem haben wir volles Vertrauen zu Dir. Es wird auch dann werden, der lb. Gtt hat bis hierher geholfen, er wird auch weiter helfen. Ist Herbert auch nicht der Freund, auf den Du bauen könntest oder hast Du ihn nicht mitgezählt, da er nicht mehr bei Euch ist? Diese Freundschaft hielte ich nämlich für echt! Ich war jetzt 2 x im Kulturbund, einmal Dela Lépinskaja & einmal ein Konzert in der Synagoge. Von dem ersten Abend hast Du auch manches gesehen, Leute, die sie vor 2 Jahren, also mit Dir gehört haben, sagten, sie hätte so ziemlich das Gleiche gebracht. In der Synagoge sang eine Ruth Risch-Arndt, die Du glaube ich auch gehört hast, Lieder von Wolff & geistliche Gesänge, dann spielten ein Herr & eine Dame an zwei Flügeln. Beides war sehr schön. Zu dem Konzert wollte ich erst nicht hingehen, weil ich so müde war, aber es hätte mir leid getan, es nicht gehört zu haben, so schön war's.

Dass Fritz für Dich sorgt, damit Du in Tel Aviv schlafen kannst, ist sehr nett von ihm. Überhaupt finde ich alles sympatisch von ihm, was Du bis jetzt von ihm schriebst. Halte Dich nur an ih, er wird Dir auch einmal behilflich sein können. Wie ist der neue Junge & was machen die Kranken? Soweit Dein Brief & nun gehe ich in die Stadt Dein Bildchen holen. Hoffentlich ist es nett. Es regnet in Strömen, wenn es nicht Dein Bildchen wäre, setzte ich keinen Fuss vor die Türe. Der arme Pips draussen bei solchem Wetter auf der Landstrasse. Der muss sich wirklich sauer plagen. Bei Grossvater ist immer dasselbe, Dr. Sommer kommt 2 x wöchentlich, aber bei dem Wetter ist da wenig zu machen. Da muss erst wieder Frühjahr werden. Sonst geht es allen gut, Hans Seligmann sucht noch immer eine Assistentenstelle, wo er nichts zuzahlen muss & das ist nicht so einfach zu finden. Die blaue Hose wirst Du inzwischen erhalten haben & sind die Bilder Dein ganzer Chanuka-Wunsch? Du bist wirklich bescheiden. Dr. Bluhm war eben hier & hat sich erkundigt, wie es Dir geht. Auch Lehrer Stern & von beiden Grüsse. Morgen mehr, für jetzt viele herzliche Grüsse & Küsse Deine Dichl.
Mutter

Eben komme ich mit Deinem Bildchen zurück. Du kommst mir so lang darauf vor. Dicker bist Du nicht geworden. Ich habe ein paar davon machen lassen & werde Onkel Richard eins davon schicken. Musst Du das Negativ wiederhaben & hast Du selbst einen Abzug? Vater wird gleich Freude haben, ich wollte, er wäre bei dem Sauwetter erst zu Hause.

31.10.36. Samstag Nachm. Mein lieber Junge! Daß ich mich bei m. Heimkehr sehr gefreut habe, Dich im Bilde vorzufinden. Du hast ja meinen im letzten Brief aus Brilon ausgesprochenen Wunsch bald erfüllt! Ich finde Dich gar nicht verändert, nur anscheinend etwas größer geworden; Du bist aber noch derselbe dünne Spinneflicker! Ißt Du noch so wenig, daß Dein Oberkörper noch so dünn ist? Du dürftest wirklich mal sehen, etwas dicker zu werden! Treibt Ihr eigentlich überhaupt keinen Sport? Das wäre doch recht schade! - Was Du wegen der Gruppe schreibst, ist sehr bedauerlich. Ich hatte mir die Freundschaft größer vorgestellt. Und nach 2 Jahren? Es hat wenig Wert, sich heute - u. besonders von hier aus - den Kopf zu zerbrechen. Dazu muß ich erst mal bei Dir gewesen sein; dann wird man wohl auch mal Rücksprache mit Miß Szold nehmen müssen. Dir zureden, mal in der Kwuzah zu bleiben, ist ja wohl sinnlos, das mußt Du, wenn es soweit ist - selber entscheiden; es ist eine Gefühlssache, ob man sich

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so in die Gemeinschaft einordnen kann oder nicht. Einesteils ist es natürlich schade, wer in der Kwuzah bleibt, hat sein Leben lang ein sorgenloses Dasein, - wenn gleich er es, wie man so sagt, es „zu mehr bringen” kann. Aber das allein ist ja auch nicht das Entscheidende, wenn man sich nicht wohl dabei fühlt. Vor allem aml mußt Du sehen, etwas zu lernen & besonders auch die Sprache. Vielleicht ist es dann auch noch möglich, ein Handwerk dazuzulernen oder später für Dich allein zu trödeln. Man muß eben mal erst abwarten, wie sich alles entwickelt & dann ist ja auch die Jugendhilfe da. Ich kann es mir ja auch nicht denken, daß die Jugendhilfe eine ganze Gruppe zu einer gemeinschaftlichen Ansiedlung zwingen will, wenn die Gruppe nicht selbst - aus freien Stücken - zusammenbleiben will. Hoffentlich ist es mir im kommenden Jahr möglich, Dich zu besuchen & Dir & den gegebenen Stellen alles persönlich zu besprechen. Außerdem bist ja nicht Du allein in dieser Lage, sondern Eure ganze Gruppe. Es muß ja dann für Euch alle Rat geschafft werden. Also, mein lieber Junge, warten wir es mal ab.

Von uns habe ich Dir sonst heute nichts mitzuteilen. Ich habe Dir ja alles Erdenkbare schon diese Woche geschrieben. Meine Erlebnisse seitdem sind ja nicht groß. Ich bin gestern Abend 8 h heimgekommen, heute früh, wie üblich, allerlei Besorgungen in der Stadt; vor mir liegt eine Menge schriftlicher Kram zu erledigen & ich bin so todmüde, daß ich gleich erst ½ Std. schlafen muß. Vielleicht bummele ich dann mal mit Mutter in die Stadt; ich möchte evtl. mal zu Spiro, mal sehen, wie weit die sind.

Mein Kopf ist heute ziemlich leer. Begnüge Dich heute mal mit diesen paar Zeilen. - Viel Dank für die Marken.

Der Brief muß auch in den Kasten; soll morgen früh in München sein. Nun, mein Lieber, viel Küsse! [..]!
Dein Vater.

Nochmals viel Küsse Deiner Mutter.