Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 8. November 1936

Krefeld, 8/11.36.
Sonntag Nachm.

Mein lieber Ernst!

Gestern, am Samstag Vorm., kam Dein lieber Brief v. 26.-29., also wieder ziemlich pünktlich. Mit Deinen Nachrichten hast Du uns natürlich wieder viel Freude gemacht. Es ist immer eine große Beruhigung für uns, wenn wir Deine Briefe bekommen. Deine Ausführungen über Eure Arbeiten verfolgen wir selbstverständlich mit dem größten Interesse, auch wenn wir nicht immer in den Antwortbriefen besonders drauf eingehen. - Daß Ihr so schön Euer „Jubiläum” gefeiert habt, ist ja nett. - Wir sind ja nun besonders auf Deine nächste Nachricht gespannt, ob Du nun endlich in Tel-Aviv warst. Na, wir hoffen es! - Du hast ja auch in TA. einige Adressen; ob Du jemand besucht hast?

Woher ist Euer neue Junge? Und bleibt er ganz bei Euch oder auch nur vorübergehend, so wie Herbert? Von uns hier ist eigentlich gar nichts zu schreiben. Es geht immer im gewohnten Geleise weiter. Wir sind alle gesund, Opa geht natürlich nicht raus. Mutter hat zwar momentan einen Schnupfen, der aber hoffentlich bald wieder vorbei ist. Auf Tour gibts auch nichts Neues. Diese Woche komme ich wieder nach Bielefeld, wo ich Hilde Meyer besuchen werde. Sie hat einen lieben Mann, eine nette Wohnung & es geht ihr gut. - Ernst Lamm schrieb dieser Tage wieder & erkundigt sich nach Dir; er schreibt, er bliebe den Winter über wahrscheinlich in München. - Onkel Richard schrieb diese Woche, daß er Deinen Brief bekommen hat; er habe sich so sehr damit gefreut. Ich bin ja neugierig, wann er Dich besuchen wird. Vielleicht auch dieses Jahr? D. h. 1937! Er schreibt dies nicht, aber er meint, er würde schon mal hinfahren. Er hat sich mit Deinem Brief sehr gefreut. Entsinnst Du Dich noch an Herrn Speier aus Bochum, der s. Z. nach Erez ist? Es war ein Kunde von mir & machte 1933 erst eine Reise nach drüben - ich erzählte Dir damals davon & siedelte 1934 über. Ich schrieb ihm gestern einen Brief & bat ihn, falls er mal nach K.A. käme, Dich zu besuchen. Oder falls Du mal zu ihm kämest, möcht er Dir eine Stunde Gastfreundschaft gewähren. Speiers sind sehr nette Leute; die Frau ist eine Schwester vom Vater von Hans Simons v. d. Klosterstraße. Seine Adresse ist: Jacob Speier, Ranana Rochow Ochad Haam, Beth Davidsohn. - Wo Ranana liegt, weiß ich allerdings nicht, ob bei Haifa oder Tel-Aviv? Vielleicht kommst Du mal hin; er wird sich bestimmt sehr freuen, da wir sehr gut zusammen standen. Notiere Dir die Adresse bitte!

Heute früh war ich mit dem jungen Keib sammeln für die Winterhilfe. Viele Leute fragten nach Dir, - auch Jüschen, trotzdem sie beleidigt ist, weil Du ihr noch nicht geschrieben hast.

Dann war Kaufmann von der ZOG (v. d. Alten [..]str.) hier, die KKL Büchse leeren. Ich soll Dich von ihm grüßen. Er ist der Nachfolger von Kronenberg als KKL Kommissar! Er leerte auch auf der Elisabethstr., die hatten 7.- M drin!! Hattest Du dort zuletzt geleert? Wann?

Von den Verwandten hören wir sonst kaum was. Kronach schrieb schon lange nicht. Was mag dort sein? Tante Hedwig schrieb eine Karte. Die haben viel Elend & Sorgen. In Coesfeld las ich bei Gerda Cohen einen Brief von Gerda aus London, daß sie krank sei & wahrscheinlich am Blinddarm operiert werden müßte. Sonst aber geht es ihr gut. - Herr Kadden fährt morgen nach Amerika; sie & Paul bleiben vorerst noch hier. - Entsinnst Du Dich noch des kleinen Frank-Jungen aus Sodingen-Herne, mit dem Du in Coesfeld mal befreundest warst? Dessen Schwester ist auf Veranlassung von Mutter bei Franks Spiro als Dienstmädchen, resp. Hausangestellte.

Ich kann Dir sonst keinerlei Neuigkeiten mitteilen, da sich mein Leben, wie Du weißt, ja meist draußen in der Arbeit abspielt & ich da nur Dinge sehe & erlebe, die Dich doch nicht interessieren können. - Ilse sandte ihrer Mutter 2 Filme, die ich auch für uns habe machen lassen. Ich habe vor, mir zu Chanuka ein neues Photo-Album anzulegen, worin nur Bilder von Dir & über Dich enthalten sein werden. Zu diesem Zweck will ich mir dann auch von den alten Filmen von Dir, soweit ich sie noch habe, Abzüge machen lassen. Das wird dann sehr schön werden.

Nun, mein Lieber, ich bin für heute am Ende. Es ist nicht sehr viel. Aber Du hörst im Laufe der Woche wieder von mir. Viele herzliche Grüße & Küsse & [..] Dein Dichliebender
Vater.

Mein lb. Ernst. Ich hatte gehofft, in Deinem lb. Brief, für den ich Dir herzlichst danke, noch einen Chanuka Wunsch zu finden, aber Du bist sehr bescheiden & schreibst nichts. Was sollen wir Dir nunmal schicken, ich weiss nicht was. Ich meine immer, es müsste zu diesem Tage doch irgend etwas für Dich sein, eine alte, aber nette Gewohnheit. Ich muss mal drüber schlafen, vielleicht fällt mir noch etwas sein. Bekommen die andern eigentlich öfter Pakete, mit Schokolade oder der-

II

gleichen von Hause? Ich würde das gerne einmal wissen. Deine Reise wird unterdessen ja wohl stattgefunden haben & freue ich mich schon auf Deine Berichte. Mein Schnupfen ist nicht so richtig, dass Vater ihn erwähnen musste. Nachdem ich 8 Tage zu Hause war, weil das Geschäft ruhiger wurde, bin ich seit Mittwoch wieder tätig. Es macht mir wirklich Freude & bedaure ich, dass es nur für kurze Wochen ist. Wo ich den ganzen Tag ohne Euch zwei bin, vergeht die Langeweile damit am besten, man kommt unter Menschen, hängt keinen trüben Gedanken nach & das Schönste, es kommt jeden Abend was in die Büchse. Aber nach Weihnachten ist Schluss damit, schade! Aus Eindhofen schreiben sie, wann ich wieder zu ihnen käme, die Datteln, die ich so gerne esse, kosteten nur 10 Cent (17 Pf.)

Viele Grüße u. Küsse Tante Jettchen

hier 90 Pf. Ich habe geschrieben, das würde zwar sehr verlockend sein, aber erst müssten wir mal für eine andere Reise sparen. Es sind liebe Menschen, ich fahre bestimmt auch mal wieder rüber. Bekommt Ihr jetzt Apfelsinen? Pampelmusen kosten hier 40-50 Pf., also nicht zu erstehen. Sie sollen aber sehr gesund sein, & freue ich mich, dass Ihr umso mehr davon essen könnt. Was macht überhaupt Deine Esserei, ist sie besser geworden, oder drückst Du Dich genau wie hier von vielen Dingen? Ich möchte so gerne mal unbeobachtet bei Euch hineinspitzen. Wäre ich überrascht oder enttäuscht über Dich, mein Pipslein? Draussen singen die Kinder, Sankt Martin, sind wir denn schon wieder vor Weihnachten? Wo die Zeit bleibt! Anbei senden wir die 4. Karte, die Du uns immer bestätigen willst. Alles, alles Gute & tausend Grüsse & Küsse Deiner Dichl.
Mutter