Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 15. November 1936

Krefeld, 15/11.36.
Sonntag Vormittag.

Mein lieber Ernst!

Vielen herzlichen Dank für Deinen lieben Brief v. 1.-8.11., mit dem wir uns wieder sehr gefreut haben. Nun ist es Dir endlich gelungen, nach Tel-Aviv zu kommen & in der gleichen Woche auch noch in die heilige Stadt Jerusalem! Ich kann mir das überwältigende Gefühl lebhaft vorstellen, wenn man zum ersten Mal diese Stadt betritt. Du bekamst viel zu sehen & erlebst so viel Schönes, daß man Dich fast beneiden möchte. Nun, ich hoffe, daß ich all das noch einmal mit Dir, mein lieber Junge, zusammen sehen & erleben kann! - Daß es Deinem Freund Herbert so gut in Tel-Aviv geht, höre ich gerne; Du hast ja nun dort einen Anhaltspunkt, wo Du Dich bei eventuellen Besuchen der Stadt immer aufhalten kannst. Ich kann es mir vorstellen, wie Ihr beide so schön allein durch die Stadt gebummelt seid & Euch das Leben & Treiben angesehen habt. Von dem Leben & Treiben scheinst Du allerdings nicht besonders begeistert zu sein; ich habe fast den Eindruck, es geht Dir wie jenem Mann in Kirjath Anavim, der 8 Jahre nicht in Tel Aviv war, denn: „was soll ich in der Stadt?” Daß Tel Aviv so modern gebaut ist, sieht man ja auf allen Bildern & gibt es ja wohl in Europa überhaupt keine stadt, die nur aus modernen Bauten besteht; vielleicht, daß Ankara in der Türkei so ist, oder Canberra in Australien. Die Schminke der Damen hat es Dir anscheinend angetan, denn auch in Split fiel das Dir besonders auf; hast ja Recht, eine schöne Angelegenheit sind die bemalten Gesichter nicht; eine wirklich schöne Frau hat keinen Anstrich nötig & eine unschöne Frau wirkt durch die Farbe auch nicht anziehender. Im übrigen: laß die Finger davon, Du hast noch Zeit für diese Dinge. Du kennst ja das Sprüchelchen, das ich Dir mit auf den Weg gegeben habe? Nichts übereilen, Du bist noch viel zu jung! Tu mir und Dir den Gefallen & denk' immer daran. Und ich muß es Dir immer wieder sagen: hast Du einmal Sorgen oder Bedenken deshalb, wende Dich an Deinen Führer! Ich bin ja zu entfernt & es dauert ja auch Wochen, bis Du von mir Antwort hast, wenn Du da einen Rat brauchst, obwohl ich Dir gerade da raten möchte. Aber Fritz wird ja wohl auch da das Rechte treffen. Sei stets offen zu ihm, es kann nur Dein

Nutzen sein! Wir verstehen uns, mein Junge, ja? - Daß Du Trude B. nicht angetroffen hast, ist schade. Sie hätte sich sicher gefreut. Weshalb hast Du Frau Liesel Heimann, Tel-Aviv, Bilustreet 14, nicht besucht? Diese kennt auch die l. Mutter. Frau H. kenne ich durch Terbreks in Berkum. Frau H. hätte sich auch sehr mit Dir gefreut. Wenn Du mal wieder nach T.A. kommst, besuche sie; sie ist eine reizende & auch sehr schöne, junge Frau. Du mußt solche Verbindungen pflegen; ein großer Bekanntenkreis im fernen Land ist immer von Nutzen! Wenn auch nicht gerade materielle Vorteile damit verbunden sind, im Interesse der gesellschaftlichen Verbindungen ist es immer gut. - Max Levy kannst Du ja vielleicht auch mal in Petach Tikwah besuchen; da kommst Du vielleich auch mal hin! Werden in Tel Aviv deutsche Filme deutschsprachig vorgeführt?

Daß nun endlich ziemlich Ruhe drüben eintritt, ist erfreulich. Und trotzdem sieht es meiner Ansicht nach nicht besonders günstig für uns aus. Von der Freundschaft der Araber halte ich nicht viel; es wird wohl noch eine Reihe von Friedensjahren bedürfen, bis die Masse der Araber so kultiviert ist, daß sie begreift, daß Frieden und Freundschaft mit den Juden ihr eigener Vorteil ist. Es könnte doch alles so schön sein, wenn der Aufbau des Landes mit gemeinschaftlichen Kräften & im gemeinschaftlichen Einverständnis vor sich ginge. Es fehlt vielleicht da noch manches auf beiden Seiten. Die Rolle der Mandaturmacht ist ja vielleicht auch nicht immer klar dabei, ob sie da immer richtig vermittelnd eingreift? Man kann von hier aus ja auch nicht ganz klar sehen.

Die l. Mutter ruft zum Essen: „Komm, die Suppe steht auf dem Tisch!” (Ich soll Dir das schreiben, hat sie gesagt!!) Vater ist wirklich folgsam, er tut, was ich sage - oder auch nicht! Nach erfolgreichem Mahl (Kastanien mit Pflaumen! Suppenfleisch & Gürkchen & Zwiebelchen, die ersten selbsteingemachten von 1936) kann es weitergehen! Habt auch Ihr solche Delikatessen? Ein paar eingemachte Gurken & Zwiebeln möchte ich Dir schon mal gönnen! Macht man dort auch ein?

In Jerusalem war es also auch schön! Daß Du aber so wenig gesehen hast, ist schade. Über die Habimah bist Du enttäuscht? Ich habe damals nicht den „Dybbuk”, sondern den „Ewigen Juden” gesehen. Es war, obwohl ich nichts verstand, doch ein Erlebnis. Aber das sind mindestens 10 Jahre her! Ich glaube, damals hieß die Habimah noch: „Moskauer Künstlertheater Habimah” & kam noch aus Moskau. Heute werden das auch längst andre Künstler sein. Der Ausblick vom Scopus muß nach Deiner Beschreibung ja herrlich sein!

II

Wie lange bist Du von KA. bis Tel Aviv gefahren? Allein mit der Egged? Oder ist noch jemand mitgefahren? Wie ist die Gegend, die Landschaft, unterwegs?

Von uns hier: nichts Neues. Immer dasselbe; der Ablauf der Woche, wie Dir bekannt. Von Tante Hilde kam gestern Brief. Onkel Josef ist es in K. leid; er möchte am liebsten auch fort; wenn es nach ihm ginge, nach Argentinien in eine Jca-Siedlung. Tante Hilde lieber nach Erez. Aber es wird wohl: weder - noch! Wo die Mittel fehlen, ist alles nicht so einfach! Ernst ist in München in einer Schreinerei. Über die Aussichten seiner Alijah schreiben sie gar nicht.

Mit Lore scheint es wohl vorbei zu sein? Sie hat sich seit Roschhaschanah nicht mehr sehen lassen. Da ist am Samstag nicht zur Synagoge komme, habe ich auch sonst keine Möglichkeit sie zu sehen. Schreibt sie Dir denn noch?

Das Neueste ist: daß der JPD geplatzt ist! Die jungen Leute haben sich alle dem RjF-Sport angegliedert!! Eine schöne [..] ist das! Das kannst Du auch mal Ilse erzählen!

Nun, mein lieber Ernst, Schluß für heute! Viele Küsse & [..] Dein Vater.

Mein lb. Ernst! Anschliessend an Vaters Erzählung vom J.P.D. möchte ich Dir noch sagen, dass Helmut Frank uns erzählt hat, dass er aufgelöst ist & will Helmut & Heinz Jakobus Dir über das „warum” noch näher berichten. Ich glaube übrigens, dass zum Auflösen hier nicht mehr viel gehört hat, denn vorher war ja auch nichts los dort. Nun zu Deinem Brief. Über die Karte aus Tel-Aviv & den anschliessenden Bericht habe ich mich so gefreut; als wenn ich das selbst alles erlebt hätte. Ich bin sehr glücklich, dass Deine Wünsche in Erfüllung gingen & Du viel Schönes gesehen & erlebt hast. Vielleicht hast Du nun mal häufiger Gelegenheit in die Stadt zu kommen & wenn Herbert ein Bett frei hat, weisst Du ja immer, wohin Du gehen kannst. Wäre Herbert auch kein Freund, auf den Du Dich verlassen könntest? Ich möchte nun einmal wissen, wie man sich bei Euch

zu solch einer Reise anzieht? In welcher Kluft bis Du denn nach Tel Aviv gefahren. Hast Du auch eine Krawatte angezogen? (Hans Seligmann ist hier s. Zt. ganz rot geworden, als er zufällig Deine Krawatte anhatte, die Du in München gelassen hast.) Ist bei dieser Gelegenheit auch einer von Deinen Anzügen aus dem Schrank gekommen oder wie kleidet Ihr Euch sonst zu privaten Fahrten? Nach Jerusalem seid Ihr sicher in blauen Hosen & weißem Hemd gefahren. Mich interessierte das einmal. Und was hast Du Dir denn Gutes nach der Speisekarte ausgesucht; Leberwurst mit Senf? Wir haben Dir gestern als Päckchen eine kleine harte Wurst, die Vater aus Lage mitgebracht hat, geschickt. Wir wussten nichts Besseres zu Chanuka & etwas sollte es doch sein. Lass sie Dir recht gut schmecken; hoffentlich kommt sie nur an. Karten legen wir Dir in jedem Brief eine bei, mit der Zeit bekommst Du die Sammlung dann schon zusammen. Ich bin jetzt nur noch von 3-7 Uhr bei Spiro, da der Verkauf sehr nachgelassen hat & wird es auch nicht mehr lange dauern, bis sie ganz schliessen. Besondere Neuigkeiten weiss ich heute keine. Das Wetter ist hier scheusslich, Regen, Regen, Regen & alle Menschen haben den Schnupfen. Meiner verzieht sich wieder langsam. Mittwoch ist der Pips mal wieder zu Hause, weil Buß- & Bettag ist, eine nette Unterbrechung der Woche, die uns aber Geld kostet. Zu Weihnachten kann er sich s. G. w. ja auch mal 10 Tage erholen. Fast ist es schon 1 Jahr her, dass Ihr in Schniebinchen wart; es ist kaum zu glauben. Hast Du eigentlich nie mehr gek.? Ich muss jetzt gerade an all diese Aufregungen denken! Für heute Schluss. Mit vielen tausend Küssen & guten Wünschen bin ich
Deine Mutter.