Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 21. November 1936

Krefeld, 21. Nov. 36. Samstag.

Mein lieber Junge!

Pünktlich wie die Uhr kommen Deine Briefe die letzte Zeit an; heute, Samstag früh, mit der ersten Post kam Dein lieber Brief v. 9.-14., also die letzten Zeilen heute vor 8 Tagen geschrieben; es geht ja nun auch ziemlich schnell. Vielen Dank! - Wir freuen uns natürlich sehr über Dein Wohlergehen & daß Du froh & zufrieden bist. Hoffen wir, daß alles so weiterhin bleibt! - Du schreibst über mein Kommen! Ja, mein lieber Junge, ich möchte das schon gerne, aber es ist nicht so einfach, wie sich das ausschreibt oder hinschreibt. wir haben den Gedanken wohl in Erwägung gezogen, ob es aber möglich sein wird, liegt ja, wie Du weißt, nicht an unsrem guten Willen, der bestimmt vorhanden ist, sondern am Geld! Die Reise nach dort kostet: Triest-Haifa-Triest 242.- Mk, dazu die Bahnfahrt mindestens 100 Mk; also zusammen 350 Mk, dazu kommt noch so vieles, daß ich mit mindestens 550 Mk rechnen muß. Ob ich diese Summe bis Juli/August ersparen kann, ist sehr fraglich; denn das Geschäft ist z. Z. sehr schlecht & wir sind froh, wenn wir alle laufenden Verpflichtungen einhalten können. Wie das Geschäft im Frühjahr sein wird, das weiß natürlich kein Mensch, es kann besser werden, es kann auch schlechter werden, wer kann das im vorhinein wissen? Wenn es sich irgendwie ermöglichen läßt, komme ich, sonst müssen wir eben weitersparen & weiterhoffen, es dauert dann eben etwas länger. Ich schreibe Dir dies, nicht um Dir alle Vorfreude zu nehmen, sondern, damit Du nicht unter allen Umständen auf diesen Juli/August rechnest & dann enttäsucht bist, wenn es nichts gibt. Du sollst Dich nur nicht zu sehr darauf einrichten, denn es kann genau so gut nicht sein wie sein; wir müssen eben erst einmal ein paar Monate abwarten. Um die Osterzeit herum können wir schon klarer sehen & ist es auch dann noch Zeit, alles in die Wege zu leiten. Nur mit Geduld abwarten! - Vorerst wird mal Frau Kaufmann kommen & Dir unsre Grüße bringen. - Ich weiß nicht, ob ich Dir im letzten Brief geschrieben habe, daß Kaufmanns vor der Reise ein Treffen der Eltern aus Westdeutschland veranstalten möchten, also mit uns, Frau Wertheim, Sterns, Lothringers, Löwensteins, Frau Mendel. Frau Kfm kann dann Euch allen direkte Berichte erhalten von zu Hause.

Der alte Herr Kaufmann, hier, hat Dich bei Löwenthals in Tel Aviv bereits angemeldet & wird es sich eben ein andermal machen, daß Du dort hingehst. Daß es mit dem Typhus nur Vermutung war, ist ja besser für Euch alle.

Mit dem gewünschten Chanukkahgeschenk in die Büchse wird nach Deinem Wunsch verfahren. - Im letzten Brief war Karte No. 6, heute also No. 7. Hoffentlich klappt es; es wäre schade drum! - Daß es nun Frieden drüben gibt, ist uns allen eine große Beruhigung. Hoffentlich gelingt es der Kpl. Kommission einen Ausgleich zu schaffen, daß wieder endgültiger Friede ist & der Aufbau weiter vor sich gehen kann. - Lore habe ich heute früh gesprochen; sie entschuldigte sich mit viel Arbeit - wenig Zeit, weil sie nicht zu uns kam; und daß sie Dir nicht schrieb, sei Schreibfaulheit. Sie wollte Dir aber noch heute schreiben. Was Ruth Müller erzählte, von einem neuen Freund, stimmte nicht. Das wäre gelogen. Lore ist z. Z. bei Steinhards, da Inge scharlachverdächtig sei; Inge geht im April nach Amerika. Lore wollte demnächst auch wieder zu uns kommen. Ich bin nun neugierig, ob sie Dir schreibt.

Weshalb spielst Du gar nicht mehr auf der Tumb? Dazu braucht man doch nicht viel Zeit, sondern nur ein bißchen frohe Laune! Ist Di diese abhanden gekommen? - Läßt Du Dich etwa von den „Gruppen & Grüppchen” zu sehr beeinflußen? Die Zustände bei Euch machen mir keine große Freude! Woran liegt das, daß solch eine Uneinigkeit in Eurer Gruppe Platz greifen konnte? Die „Großsprecher” kann ich mir denken! (Ilse ist sicher an erster Stelle dabei?? Wie steht Ilse eigentlich mit den andern? Gut? Besser als Du?) Stimmt das? Denn „angeben” konnte sie ja hier schon immer sehr viel. - Wie das nun mit Euch nach den 2 Jahren werden soll, ist mir allerdings ganz schleierhaft! Was sollten denn Jungens, die nur Landwirtschaft gelernt haben, & die sonst nichts können (noch nicht mal perfekte Iwrith, von Englisch ganz zu schweigen!) in der Stadt anfangen? Wie denkst Du Dir denn das & wie stellen sich denn die andren Jungens vor? Ich kann mir nicht denken, daß es für Euch dort eine Existenzmöglichkeit gibt. Hat schon mal jemand von der Kwuzah, oder Fritz oder sonst jemand von der Jugendhilfe mit Euch über die Zukunft gesprochen? Denn von einer gemeinsamen Ansiedlung von Euch halte ich nach Deinen Berichten schon nichts mehr!! Ist denn dort überhaupt keine Möglichkeit ein Handwerk zu erlernen, eventuell in einer anderen Jugendalijah-Gruppe? Ich denke daran, daß Ihr alle nach 2 Jahren eventuell dastehen könntet ohne irgendetwas richtig zu können & dann auf Euch selbst gestellt sein würdet. Ich kann es mir ja nicht denken, daß dies der Sinn der Jugend-Alijah sein kann. Es ist von hier aus alles so schwer zu beurteilen & man hat ja auch keine Möglichkeit irgendwie helfend oder beratend einzugreifen, sondern muß alles laufen lassen. Ich hoffe nur, daß ich vor Ablauf der 2 Jahre hinkommen & dort alles besprechen kann. Man muß dann vor allem die Leitung der Jugendhilfe in Jerusalem & auch Miß Szold sprechen. Kommt übrigens niemals

II

jemand von der Jugendhilfe zu Euch & wem untersteht eigentlich Euer Führer? Machen sich eigentlich die andren nie darüber Gedanken?

Wie das später mal mit uns wird, muß eben auch abgewartet werden. Irgendwie wird sich schon ein Weg mal finden. Du bist ja noch jung & hast noch viel Zeit zum Warten - & wir haben das Warten längst gelernt!

Es ist natürlich auch mir klar, daß die Jugendhilfe weder die Gruppen insgesamt noch einen einzelnen zur Ansiedlung zwingen kann. Eine Ansiedlung einzeln auf eigenem Boden hielte ich aber doch für richtig & möglich; ob allerdings die Jugendhilfe dies möglich macht, d. h. dazu behilflich ist, weiß ich nicht. Man wird von Euch natürlich auch kaum verlangen, zusammenzubleiben, wenn jetzt schon so verschiedene Strömungen herrschen. - Alles so schwere Probleme, von hier aus gesehen! Hoffentlich ist die Lösung leichter!

Soweit Dein lieber Brief, der rechte Gedanken in uns ausgelöst hat. - Von uns: immer dasselbe! Heute sandte ich Dir 10.- Mk. ( 16 sl 1 d) durch Postanweisung. -

Sonst nichts von Belang. Rest des Platzes für die l. Mutti, die im Geschäft ist. Viel innige Küsse & [..] & frohe Laune! Dein Vater.

Mein lb. Ernst. Obwohl ich sehr müde bin & eben erst aus dem Geschäft gekommen bin, will ich doch noch etwas schreiben, damit der Brief gleich morgen abgehen kann. Deine Ausführungen über Eure Gruppe verstehen wir sehr gut & können auch alles begreifen. Was wir uns nur noch nicht so recht ausmalen können, ist, was Ihr dann später anfangen wollt. Mit ein paar landwirtschaftlichen Kenntnissen kann man doch in der Stadt nichts anfangen & wenn man Geld verdienen will, muss man auch etwas können. Es ist ja noch lange Zeit bis dahin, aber man muss soch einmal darüber sprechen. Gewiss, kommt Zeit, kommt Rat & wir wollen uns darüber heute noch nicht den Kopf zerbrechen. Auch das wird aus werden, aber immerhin ist es richtiger, wir sprechen uns über all diese Dinge offen aus. Mit wem schläfst Du jetzt eigentlich zusammen? Von hier gibt es gar-

nichts Neues & da ich auch ausnahmsweise müde bin, Du siehst es ja an der Schrift, will ich auch für heute schliessen & in die Klappe gehen. Gute Nacht, mein lb. Pipslein & tausend Küsse & gute Wünsche
Deiner Mutter.