Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 29. November 1936

Krefeld, 29. Nov. 36.

Mein lieber Junge!

Heute an einem nebligen Sonntag Nachmittag ist die schönste Gelegenheit zu einem Plauderstündchen mit Dir, mein lieber Bub, und zur Beantwortung Deines lieben Briefes, der wieder pünktlich am Freitag ankam. Nach einer ziemlich ekligen Heimfahrt bei Nebel & Glatteis am Freitag Abend wars für mich die schönste Freude, Deinen Brief vorzufinden. - Du schreibst darin über Eure landwirtschaftlichen Arbeiten, besonders über Säen, Düngen, Hacken & Ernten, so ausführlich, daß man sich so recht ein Bild Eurer Arbeiten machen kann. Hoffentlich kannst Du das alles, was Du da lernst, später mal auch verwerten. Ich hoffe ja immer noch, daß Du Dir später Dein Leben dort auf dem Lande & nicht in der Großstadt aufbaust. Ich bin zwar nach Deinen Erzählungen heute fast selbst zu der Ansicht gekommen, daß die Kwuzah mit seinem vollständigen Aufgehen in der Gemeinschaft nicht das Rechte für Dich ist, aber es muß doch noch andere Möglichkeiten geben, zu siedeln & dort bodenständig zu werden. Wie Du im allgemeinen darüber denkst, darüber hast Du bisher noch nicht geschrieben. Du schriebst neulich einmal, Du möchtest „verdienen”, um Deinen Eltern einmal nachkommen lassen zu können. Nicht das, mein Lieber, ist das Entscheidende. So sehr ich auch den Tag herbei sehne, mit Dir wieder vereint zu sein, so wenig denke ich bei der ganzen Angelegenheit dabei an uns, sondern entscheidend ist doch nur Deine eigene Zukunft. Unser Leben befindet sich, man darf es ruhig sagen, auf dem absteigenden Ast, Du aber hast noch Dein ganzes Leben vor Dir & mußt nicht nur an den Augenblick, sondern auch an eine fernere Zukunft denken, aufbauen für spätere Generationen. Das ist ja der Sinn der Alijah nach Erez, daß sie nicht nur lösen soll aus den materiellen Nöten der Gegenwart, sondern auch eine Lösung sein soll für die nachfolgenden Geschlechter, im Interesse als Teil des jüdischen Volkes. - Ihr haltet so oft Suchoth, sprecht Ihr denn nicht über solche Probleme? Habt Ihr Euch denn dort von den zionistischen Gedanken, die uns hier alle so sehr bewegen, gelöst & denkt Ihr denn nicht über die augenblickliche und über die persönliche Lage hinaus? Schreibe mir doch

Anbei 2 Scheine, damit Du kein Geld für Porto auslegen brauchst!

doch bitte einmal hierüber Deine Gedanken! - Gewiß, das Leben auf dem Lande ist in vielfacher Hinsicht schwerer & voller von Entbehrungen als in der Stadt, aber nicht der Städter wird Erez aufbauen, sondern der Mann auf dem Lande. Nicht der Städter schafft neuen Platz für neue jüdische Menschen im Lande, sondern der Mann auf dem Lande. Sie werden die Pioniere sein, die sorgen für das wahre Erez Israel. - Dann kommt natürlich dazu das Persönliche, das Reale. Was wolltest Du später in der Stadt? Nochmal umlernen und irgendein Geschäft erlernen? Du weißt doch wohl selbst, wie unpraktisch Du solchen Dingen gegenüberstehst; daß Du Dich zu allem andern eher eignest als zum Kaufmann. Ich wüßte nicht, was sonst. Nun muß ich allerdings noch beifügen, daß ich das alles von hier aus nur vom grünen Tisch aus betrachten, aber vielleicht doch nicht richtig beurteilen kann. Es heißt natürlich vor allem: abwarten, wie sich die Jugendalijah selbst zu all dem stellt & nach den 2 Jahren wird wohl schon für jeden einzelnen von Euch gesorgt werden, daß er an den Platz gestellt wird, der seinen Kenntnissen & Fähigkeiten entspricht. Lerne vor allem das, was Du lernen kannst, & vor allem auch Iwrith & möglichst Englisch. Machst Du hierin gar nichts mehr? Es ist so sehr wichtig & Du hattest doch soviele Vorkenntnisse, daß es doch schade ist, wenn Du all das, was Du auf dem Gymnasium gelernt hast, vergißt. Du hast doch gewiß so viel Freizeit, daß Du Dir jede Woche mal 1-2 Stunden zur Aufrechterhaltung Deiner englischen Kenntnisse ansetzen kannst.

Dein Brief ist diesmal so sehr fachlich & sachlich gehalten, man sieht daraus überhaupt kein Dich persönlich - & vor allem Dich innerlich, geistig & seelisch betreffendes Wort. Das vermissen wir vollständig; fühlst Du Dich auch in dieser Hinsicht - neben Deiner körperlichen Gesundheit - wohl? Bist Du mit Deiner Umgebung zufrieden? Hast Du noch immer Deine frohe Laune & den goldenen Humor, den ich Dir so sehr ans Herz gelegt habe, und den frischen, frohen Mut? Er ist nicht nur nötig für einen Jungen Deines Alters, daß es ihm in materieller Hinsicht gut geht, sondern er soll sich auch in seelischer Hinsicht wohl fühlen, froh sein; mittun mit den andern, jung sein & frisch, und nicht seelisch einsam & bei äußerem Wohlbefinden seelisch verkümmern. Wir machen uns oft darüber Sorgen, weil Du so wenig persönlich schreibst. Wie ists damit?

II

Ernst Lamm schrieb dieser Tage einen Brief. Aus seinem Brief wird man nicht recht schlau. (Tante Hilde schreibt gar nicht darüber.) Er schreibt: ich bin hier nur vorübergehend, d. h. ich komme wahrscheinlich in nächster Zeit bereits wieder weg auf „Jeschiwot” nach Frankfurt (M.), wo ich ein Semester bleibe. Ja, ich soll im nächsten Jahr mit dem „Bachad” auf Jugendalijah nach Erez gehen, d. h. wenn die Zertifikatsperre bis dahin behoben ist. Er lerne Iwrith & Englisch; er besucht auch eine jüdische Fortbildungsschule f. Handwerker. Er wohnt (40 Jungens 12-25 Jahre) im Heim; größtenteils sind sie bündisch organisiert. (Aguda, Betar, Habonim & Werkleute). - Na, hoffentlich geht es mit ihm gut, daß er auch bald hinüber kommt. - / Mit dem gesandten Negativ freuten wir uns, wir dachten es sei ein Neues. Du kannst sie mal alle schicken, dann lasse ich mal ein neues Album mit all Deinen Bildern machen, daß wir mal einen schönen Überblick haben. / Hoffentlich geht es Dir mit Deinen Zähnen bald wieder recht gut & erwarten wir auch darüber Bericht. // Es wäre sehr nett, wenn Ihr zu Chanukkah ein Treffen in K.Schiller hättet; Ihr lerntet Euch dann untereinander kennen, was sicher sehr wertvoll ist. - Zur Habimah werdet Ihr ja wohl noch öfter Gelegenheit haben, event. auch nach 2 Jahren. // Soweit Dein Brief. - Nun von hier: es geht uns, so wie immer gut. Wir sind gesund, bis auf Opa, mit dem wir eben bis zum Frühjahr Geduld haben müssen. Wenn er dann wieder rausgehen kann, wird es auch wieder besser mit ihm. - Auf der Hubertusstr. ists auch wie immer. - Zu Weihnachten kommt Onkel Sali & dann wird wohl auch Tante Bora kommen, da sie sich seit vielen Jahren nicht gesehen haben. Wir freuen uns auf Onkel Sali schon heute. Frau Wertheim will zu Weihnachten nach Liebenstein fahren, sodaß wir dann allein sind, was uns sehr angenehm ist. Du kannst Dir denken, daß ich mit der l. Mutter die beiden Tage für uns haben möchten. Die l. Mutter ist noch bei Spiro & anschließend bis Weihnachten bei Freunds, & im Dezember sind sogar offene Sonntage, an denen die l. Mutter dann auch nicht daheim ist; umsomehr freuen wir uns dann auf Weihnachten. Es wird dann auch schön werden. -

Gestern Abend war in der Loge von der ZOG ein Vortrag von Dr. Neuberger, Düsseldorf, über: „Palästina-Wanderung - Wanderung nach Übersee - Versuch einer grundsätzlichen Auseinandersetzung”. Der Vortrag war sehr gut. Dann ist gestern Abend anschließend ein: Makkabbi-Turn-Verein gegründet worden. Nun haben ja die aufgelösten JPD-er wieder Gelegenheit sich neu zu formieren & beim Makkabbi zu turnen. Doch über den Vortrag & darüber will ich Dir mal im Laufe der Woche schreiben. Den umstehenden Platz will ich für die l. Mutter lassen. - Seligmanns sind eben gekommen. Ich will mal nach hinten gehen.

Also, mein Lieber, mein Guter, nimm viele Küsse & [..] Dein Vater.

Kopf Hoch & immer froh & munter sein!

II

Ernst Lamm schrieb dieser Tage einen Brief. Aus seinem Brief wird man nicht recht schlau. (Tante Hilde schreibt gar nicht darüber.) Er schreibt: ich bin hier nur vorübergehend, d. h. ich komme wahrscheinlich in nächster Zeit bereits wieder weg auf „Jeschiwot” nach Frankfurt (M.), wo ich ein Semester bleibe. Ja, ich soll im nächsten Jahr mit dem „Bachad” auf Jugendalijah nach Erez gehen, d. h. wenn die Zertifikatsperre bis dahin behoben ist. Er lerne Iwrith & Englisch; er besucht auch eine jüdische Fortbildungsschule f. Handwerker. Er wohnt (40 Jungens 12-25 Jahre) im Heim; größtenteils sind sie bündisch organisiert. (Aguda, Betar, Habonim & Werkleute). - Na, hoffentlich geht es mit ihm gut, daß er auch bald hinüber kommt. - / Mit dem gesandten Negativ freuten wir uns, wir dachten es sei ein Neues. Du kannst sie mal alle schicken, dann lasse ich mal ein neues Album mit all Deinen Bildern machen, daß wir mal einen schönen Überblick haben. / Hoffentlich geht es Dir mit Deinen Zähnen bald wieder recht gut & erwarten wir auch darüber Bericht. // Es wäre sehr nett, wenn Ihr zu Chanukkah ein Treffen in K.Schiller hättet; Ihr lerntet Euch dann untereinander kennen, was sicher sehr wertvoll ist. - Zur Habimah werdet Ihr ja wohl noch öfter Gelegenheit haben, event. auch nach 2 Jahren. // Soweit Dein Brief. - Nun von hier: es geht uns, so wie immer gut. Wir sind gesund, bis auf Opa, mit dem wir eben bis zum Frühjahr Geduld haben müssen. Wenn er dann wieder rausgehen kann, wird es auch wieder besser mit ihm. - Auf der Hubertusstr. ists auch wie immer. - Zu Weihnachten kommt Onkel Sali & dann wird wohl auch Tante Bora kommen, da sie sich seit vielen Jahren nicht gesehen haben. Wir freuen uns auf Onkel Sali schon heute. Frau Wertheim will zu Weihnachten nach Liebenstein fahren, sodaß wir dann allein sind, was uns sehr angenehm ist. Du kannst Dir denken, daß ich mit der l. Mutter die beiden Tage für uns haben möchten. Die l. Mutter ist noch bei Spiro & anschließend bis Weihnachten bei Freunds, & im Dezember sind sogar offene Sonntage, an denen die l. Mutter dann auch nicht daheim ist; umsomehr freuen wir uns dann auf Weihnachten. Es wird dann auch schön werden. -

Gestern Abend war in der Loge von der ZOG ein Vortrag von Dr. Neuberger, Düsseldorf, über: „Palästina-Wanderung - Wanderung nach Übersee - Versuch einer grundsätzlichen Auseinandersetzung”. Der Vortrag war sehr gut. Dann ist gestern Abend anschließend ein: Makkabbi-Turn-Verein gegründet worden. Nun haben ja die aufgelösten JPD-er wieder Gelegenheit sich neu zu formieren & beim Makkabbi zu turnen. Doch über den Vortrag & darüber will ich Dir mal im Laufe der Woche schreiben. Den umstehenden Platz will ich für die l. Mutter lassen. - Seligmanns sind eben gekommen. Ich will mal nach hinten gehen.

Also, mein Lieber, mein Guter, nimm viele Küsse & [..] Dein Vater.

Kopf Hoch & immer froh & munter sein!