Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 5. Dezember 1936

Krefeld, Samstag, 5/12.36.

Mein lieber Junge!

Dank für Deinen l. Brief v. 22.-29/11., der schon gestern, am 4./12. hier war. Die Post klappt jetzt, daß es eine Freude ist. - Über Deinen Brief & Deine guten Nachrichten haben wir uns recht gefreut. Hoffentlich klappt alles weiterhin. Schreibpapier sandte Dir die l. Mutter heute, es ist andres, vielleicht kannst Du davon nur immer 4 Bogen schreiben, diese wiegen 8 gr., aber es läßt sich besser drauf schreiben, als auf dem dünnen Luftpost & man kanns besser lesen. - Wegen der Wurst haben wir von Deinem Unwillen Kenntnis genommen. Du hast ja eigentlich recht, wegen eines Bissens lohnt es sich nicht, aber wir wollten Dir mal Freude machen. Bekommen die andren auch die Pakete? Wie unterschiedlich Ihr seid. Frau W. sandte Ilse auch eine Wurst; Ilse's Antwort war: „Wann kommt die nächste?!” Ich glaube, Ilse gibt gerne „an”!? (Wie stehst Du mit ihr? Ich habe deshalb schon mal bei Dir angefragt!) - Über Eure Regenzeit stand auch hier in den Zeitungen, daß in Tel Aviv & Jerusalem Überschwemmungen waren. - Hier regnet es ja auch fast dauernd. - Sei immer nur froh, daß Du die - Eben war Kurt [..] hier um mir seine Einstellung zum Makkabbi klarzulegen. Morgen will er Dir mal selbst schreiben. Er bleibt in der Sport-Abt. RjF., weil er es „nicht für nötig hält, daß hier 2 Sportbünde sind”. die Jungens sind übrigens nicht jetzt erst in den RjF eingetreten, sondern waren ja schon immer (neben dem JPD) drin. Es ist ihnen von der Bundesleitg JPD gesagt worden, sie müßten entweder ein Makkabbi gründen oder aus dem JPD ausscheiden, worauf sie letzteres vorgezogen haben. Nun ist ja der Makkabbi von der ZOG aus gegründet worden, mit Dr. Luss als Führer, Keller als 2. Vorsitzender; es soll Jiu-Jitsu, Leichtathletik, später Geräteturnen, Boxen, [..] & Tanzen, Gymnastik, Schach, Tischtennis, etc. getrieben werden. Was es gilt mal abwarten.

Nun zurück zu Deinem Brief: sei froh, daß Du die schönen Gummistiefel mithast, was machen die, die keine haben? - Daß Esther zufällig mit Rolf zusammen kam, ist doch nett. Esther ist wohl die einzige von allen, die eines Tages drüben landen wird. Die andren sind alle nicht so zionistisch. - Deine andren Ausführungen habe ich mit Interesse gelesen. - Krawatten: Wenn es bei Euch noch so wenig gibt, kannst Du ja mal eine Kra.Fabrik aufmachen!!! Das wäre noch so was!!

Von uns hier: nichts Besondres. Onkel Richard schrieb [..] Brief. Eines Tages kommt er ja doch noch bei Euch aus. - Spiros Ausverkauf ist heute zu Ende. Sie hatten Verlängerung beantragt, was aber abgelehnt worden ist. Mutter bleibt nun wohl ein paar Tage daheim & geht dann zu Freunds bis 25/ds. - Dr. Ernst Lamm & Claire H. gehen Ende Januar nach Südafrika; haben ja recht, was sollen sie sich hier quälen, denn ich glaube nicht, daß er mit seinen Versicherungen viel aufstecken kann.

Der Vortrag vergangene Woche war sehr gut (jüd. Wanderungen); aber bis zur Verwicklung des Zionismus - ich rutsche darunter: Ruhe für das jüd. Volk in Erez ist noch ein weiter Weg.

Daß Ihr nun auch mal Gelegenheit hattet, ein Konzert zu hören, ist sehr schön. Hoffentlich bietet sich Euch diese Gelegenheit bald wieder.

Nächste Woche ist Chanukkah. Beim Lichteranzünden werden wir Deiner ganz besonders gedenken. Wie schön brannten unsere Kerzen nebeneinander! Ihr zündet doch auch an? Und nun, mein Lieber, genug für heute! Es ist heute nicht viel, aber ich habe so entsetzlichen Schnupfen, daß es mir Mühe macht, geradeaus zu sehen.

Also, weiter alles Gute, ![..]! und viele, viele Küsse Dein Vater.

6.12. Mein lb. Ernst. Sonntag nach Tisch, die schönste Zeit, Deinen lb. Brief zu beantworten. D. h. Zeit habe ich nun wieder genug. Seit gestern Abend haben S. Sp. schliessen müssen, die Nachfrist bis Weihnachten für ihren Ausverkauf ist ihnen nicht genehmigt worden. Vielleicht gehe ich noch ein paar Tage zu Freunds, aber das ist noch nicht ganz sicher. Jetzt vor Weihnachten macht Vater doch auch Ferien & da weiss ich nicht, ob ich ihn immer alleine zu Hause sitzen lassen soll; zumal man bei F. nicht viel Blumentöpfe erben kann.

II

Dass Du Dich mit der Wurst gefreut hast, war ja die Hauptsache. Eine Gewohnheit machen wir daraus natürlich nicht, Du brauchst garnicht schimpfen. Aber schliesslich bekommst Du von den andern doch auch schonmal etwas mit & kannst Dich doch dann garnicht revanchieren. Hier regnet es auch dauernd, aber wie mag es erst bei Euch in der Regenzeit aussehen, Gut, dass Du die hohen Gummischuhe hast. Was macht Ihr während der Regenzeit, wenn Ihr nicht draussen arbeit könnt.

Hoffentlich ist Dein Zahn noch zu retten, schade für jeden Zahn, der fehlt. Bist Du auch ein klein wenig tapfer beim Zahnarzt, oder stellst Du Dich immer noch so an. Man sieht an Ester H. wie klein doch die Welt ist; ausgerechnet kommt sie draussen mit einem Deiner Freunde zusammen. Kamm & Bürste schicke ich Dir dieser Tage als Päckchen. Du kannst doch nicht warten bis Frau Kaufmann kommt & solange wie ein Strolch herumlaufen. Wie kann man denn solche Sachen verlieren, ist Dir schon mehr weggekommen? Hast Du noch Deine goldene Uhr, ich habe schon einmal danach gefragt & keine Antwort bekommen. Pass ja auf Deinen Kram auf, Ordnung ist eine sehr wichtige Angelegenheit im Leben. Diese Woche habe ich eine Komödie im Kulturbund gesehen, zum goldenen Anker. Sehr gut, aber ich glaube, dass ich nicht lange im Kulturbund bleibe. Es kostet jetzt 2.62 & dafür bieten sie sehr wenig. Dann gehe ich

lieber mal ins Kino & kann mir aussuchen, was ich will. Deiner Beschreibung nach muss ja das Land wundervoll sein, hoffentlich kriegen wir es alle mal zu sehen. Mittwoch ist Chanuka, Ihr werdet es doch auch sicher feiern. Weisst Du noch, wie Du Dir mal Möbel gewünscht hast & das Nachtkästchen bekamst. Lang, lang ist's her, unterdess ist unser Sohn schon ein Mann geworden, der für seine Jahre schon unendlich viel gesehen & erlebt hat, & ich glaube auch nichts zu bereuen hat. Stimmt's? Mit Kravatten könnte also drüben keiner ein gutes Geschäft machen & dass Ihr Eure Kluft drüben wenig tragt, habe ich Dir ja hier schon prophezeit. Ihr habt hier alles so genau genommen & jetzt liegen die Sachen wahrscheinlich alle herum. Na ja, die Hemden kannst Du ja immer tragen, da ist nichts weggeworfen. Stäbchen schicke ich Dir dieser Tage auch; Papier sandte nur Bogen, da Du wahrscheinlich noch genügend Umschläge hast. Trägst Du eigentlich viel Deine Brille & vergiss nicht, Dir ab & zu Deine Augen mal nachsehen zu lassen, damit sie nicht noch schlechter werden. Unlängst sandte ich an Onkel Richard mal einen Deiner Briefe, der gestern mit beifolgender Antwort zurückkam. Hast Du eigentlich schonmal mit seinen Freunden in Jerusalem Fühlung genommen, es sollen sehr einflussreiche Leute sein & solche Verbindungen können nie schaden. Damit der Brief nicht zu schwer wird muss ich schliessen. Viel Gutes, mein Lieber & tausend Küsse Deiner Mutter.