Richard Loewy an Sohn Ernst, 22. Detember 1936
Krefeld, 22/12.36.
Mein lieber Junge!
Mit meinem letzten Brief habe ich Dir versprochen, Dir diese Woche noch einmal zu schreiben & so will ich mein Versprechen einlösen. Ich habe ja jetzt soviel Zeit vor Weihnachten, die ich nicht besser verwenden kann, als mit Dir zu plaudern. Die l. Mutter liegt auf der Chaiselongue, um sich noch ein bißchen auszuruhen, weil sie gleich ins Geschäft muß. Ich sitze am Schreibtisch & qualme mit der langen Pfeife; ich habe mich in diesem Herbst wieder ans Pfeifen rauchen gewöhnt, es ist doch das billigste Rauchen. Wie ist das mit Dir? Rauchst Du auch oder Deine Chawerim? Was gibt es dort zu Qualmen? Zigaretten? Diese rauche ich gar nicht mehr!
Von Ilse kam heute ein Brief, in dem sie über Kw. Schiller etc. schreibt; sie war von der Fahrt nicht begeistert & schreibt, am schönsten sei es zu Hause. Ich bin nun auf Deinen Bericht gespannt, der fällt gewiß ganz anders aus! Hat Ilse in Kw. Sch. ein „Referat” gehalten? Sie schreibt dies nämlich! Mußt ihr aber nichts deshalb sagen! Ich wollte doch von Dir mal über Ilses Stellung & Haltung in der Kwuzah & Chewrah von Dir Genaueres wissen, ich habe schon mal bei Dir deshalb angefragt. Du gehst aber auf diese Anfrage nicht ein. Ich bitte also nochmals um Antwort. Wenn man ihren Worten glauben möchte, spielte sie die erste Flöte dort, man meinte, es drehte sich alles um sie.
Ihre Mutter fährt zu Weihnachten nach Liebenstein, sodaß wir bis über Neujahr allein sind; wir freuen uns, daß wir diesmal wieder sein können. Wenn dann noch Onkel Sali & Tante Bora kommen sollten, wäre es sehr nett. Das sind ja sehr liebe Menschen, mit denen wir uns sehr gut verstehen.
Heute kam eine Karte von Onkel Willi; Dein Vetter ist am 11/12. am Blinddarm operiert worden. Dort scheinen traurige Verhältnisse zu sein. Onkel Willi ist halbgelähmt & darf seinen Beruf nicht mehr ausüben. Ich schicke dem Jungen morgen 5.- Mk als Chanukkahgeschenk. Ich möchte so gern helfen, aber ich kann es leider nicht.
Gestern kam von Tante Hilde Brief; auch dort Sorgen über Sorgen. Sie haben schwer zu kratzen um ihren Lebensunterhalt. Ernst L. ist noch in München, kommt aber bald nach Frankfurt/Main zur Jeschiwah, wo auch Bruno ist. Ernst soll später nach Erez. Hoffentlich glückt es ihnen. - Edith ist z. Zt. in Kronach, sie kommt am 1.1.37 nach Bamberg in Stellung in einen Haushalt. Sadlers & Waiths gehen jedenfalls alle nach Buenos Aires. Herbert ist noch in Prag.
Errell schrieb dieser Tage, er wolle über kurz oder lang auch nicht dort bleiben, er möchte nach Übersee, will einst nach Johannesburg [..]; am liebsten wäre ihm ja auch Erez, aber die geschäftlichen Aussichten sind dort für ihn nicht so gut; besonders jetzt, wer braucht da Reklame? Ernst Levy & Claire, sowie Paul, der aber vorher noch heiraten will, gehen Ende Januar nach Johannesbg. Herbert Meyer ist diese Woche dort gelandet. - So verkrümelt sich der eine nach dem andern & alle Bekannten & Verwandten werden in alle Welt zerstreut. Wie soll das enden?
Kurt Seligmann, der seit Monaten nicht in Krefeld war, ist z. Z. auch mal wieder daheim. Dem geht es noch sehr gut.
Das ist so ungefähr alles, was ich Dir berichten kann.
Hoffentlich bist Du, mein lieber Junge, recht froh & wohgemut. Laß Dich durch nichts unterkriegen, ![..], [..]! Viel Küsse
Dein Vater.
Heute vor 9 Monaten bist Du abgereist! Wie die Zeit eilt!!
23/12.
Mein lieber Junge! Deine Frau Mama sollte, bevor sie zum Geschäft ging, noch an diesen Brief draufschreiben, nun hat sie im Drang der Geschäfte anscheinend vergessen (wegen Weihnachten ist heute schon Putztag, Frau Nicola ist da, & Du weißt, wenn die Frauen beim Hausputz sind, dann haben sie für nichts andres mehr Sinn!). - Die l. Mutter ist nun weg, - nun soll sie zur Strafe auch nicht mehr an diesen Brief schreiben dürfen, & ich schicke ihn so weg! Er muß nämlich weg, muß morgen früh 9 h schon ab München gehen, sonst geht er nicht mit. Warte ich nun auf Mutter ists zu spät. Ich werde aber darauf dringen, daß sie Dir zu Weihnachten das doppelte Quantum schreibt.
Besonders hat sie im Moment ja auch nichts.
Also nochmals [..] & viele Küsse
Dein Vater.