Richard und Erna Loewy sowie andere an Sohn Ernst, 27. Dezember 1936

Krefeld, 27/12.36.

Mein lieber Junge!

Heute kam Dein sehnsüchtig erwarteter Brief v. 15.-17. ds., für den wir Dir herzlich danken & mit dem wir uns wieder riesig gefreut haben. Wir hatten - gewohnheitsgemäß - diesen schon am Freitag erwartet, aber da war der 1. Weihnachtstag & es wurde nur 1 x ausgetragen; gestern, am 2. Weihn.Tage wurde überhaupt nicht ausgetragen & so mußten wir bis heute warten. Nachdem die Spannung so groß geworden war, ist die Freude nun umso größer! - Daß bei Dir alles in Ordnung ist, ist ja die Hauptsache. Deinen langen Bericht über Euren Ausflug nach K. Schiller haben wir mit Interesse gelesen. Welch ein Unterschied zwischen Deinem Bericht & dem von Ilse. Diese tut die ganze Fahrt mit ein paar Sätzen ab, in denen der ganze Inhalt darin gipfelt, daß sie ein „Referat” gehalten habe, z. T. wars „mies” & ein „am Schönsten ists daheim”. (Und bei der Sichah wurde viel Unsinn geredet.) So Ilse. Dein Bericht ist etwa so anschaulich, daß man im Geiste die Fahrt richtig mit Euch mit zu machen vermeint. Ich freue mich, daß Du nun endlich etwas vom Lande gesehen hast & - ich hoffe zuversichtlich, daß ich im Sommer mit Dir auch all das Schöne des jüdischen Landes sehen & genießen darf. Wir wollen hoffen, daß es bis dahin sowohl bei Euch als auch bei uns hier bei friedlichen Zuständen bleibt; denn Krieg wäre etwas Furchtbares, dort wie hier. Unsre, sowohl die deutschen als auch die jüdischen Blätter befürchten wieder Unruhen bei Euch im Lande, hoffentlich sinds falsche Alarmnachrichten. In Europa siehts ja auch brenzlich genug aus, aber man muß eben auf die Friedensliebe der führenden Staatsmänner hoffen, daß sie einen neuen Weltbrand verhüten. Bleibt es bei friedlichen Zuständen bis zum Juli, dann hoffe ich zuversichtlich, daß wir uns dann sehen werden, mein lieber Junge!

Ja, mein Lieber, Du schreibt, wie schnell die Zeit vergeht. Vor 9 Monaten bist Du nun schon von uns fort - & doch ist auch uns noch, als ob es erst gestern gewesen wäre. Und, wenn wir uns auch noch so sehr an Deine Abwesenheit gewöhnt haben, so bist Du doch im Geiste immer bei uns - & wir im Geiste immer bei Dir. Wir sprechen täglich nicht 1 x von Dir, nicht 10 x, nein hundertmal sprechen wir von Dir; und wie die Verhältnisse nun einmal liegen, freuen wir uns jeden Tag von neuem, daß wir Dich diesen Weg haben gehen lassen.

Uns selbst geht es gut. Ich habe ja jetzt Ferien & bin froh, auch einmal zu Hause sein zu können. Wir haben lieben Besuch, der l. Onkel Sali ist hier & bleibt bis 31./12. Wir haben viel Freude mit ihm. Auch Kurt Seligmann ist z. Z. in Krefeld, nachdem er ein paar Monate nicht in Krefeld war; auch Kurt ist täglich bei uns. Tante Bora ist leider nicht gekommen, Onkel Sali & Kurt fahren am Diensag nach Eindhoven, kommen aber Abends zurück. Tante Bora hat selbst das Haus voll Besuch.

Du schreibst heute, Du hättest Tante Berta zu ihrem heutigen Geburtstag eine Karte geschrieben. Das ist lieb von Dir. Die liebe Mutter war eben auf der Hubertusstr.; die Karte ist zwar noch nicht da, weil sie ja nicht per air mail geht, aber die l. Mutti hat es Tante Berta schon gesagt & sie hat sich sehr gefreut, daß Du an sie denkst.

Bei Opa ist eben Onkel Michel. Wenn Du wieder eine Karte hast, tu mir den Gefallen & schreibe Onkel Michel mal; er hat es verdient, denn er hat sich s. Z. viel Mühe um Dich gegeben. Du weißt es ja.

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Und Onkel Michel ist ja nett. - Ernst & Claire reisen bereits morgen ab. In Südafrika stehen nämlich neue Einwanderungsgesetze bevor & Ernst befürchtet, daß man ihm, da er als früherer Anwalt ja eigentlich keinen Einwanderer-Beruf hat, - eventuell Schwierigkeiten machen könnte. Er hat ja in seiner Frau, die ja sehr tüchtig ist, eine gute Stütze & ich denke, sie werden sich schon durchsetzen. - Paul will erst Ende Januar, wie zuerst geplant, fahren, da er erst heiraten will. Er muß eben das Risiko eventueller neuer Bestimmungen auf sich nehmen. Pauls Braut hat, wie Onkel Michel erzählt, in Johannesburg einen entfernten Verwandten, der dort eine chemische Fabrik hat, vielleicht kann der auch den Jungens helfen. Immerhin ist es schon was wert, wenn man überhaupt Verbindungen - besonders Verwandte - dort hat. (Eben kommt Onkel Felix zu Opa.) - Onkel Michel beabsichtigt nun (er ist ja bei der Kille angestellt), sein Detailgeschäft zu verkaufen oder dranzugeben, Max will die Versicherungen & bisherigen Geschäfte von Ernst übernehmen & weiterführen. Das ist ja wohl auch das Beste so, denn der Laden geht doch ohnedies kaum mehr. Max muß eben für sich sorgen, er bekommt ja auch eine Kriegsrente; was Michel & Tante Rosa brauchen, verdient er bei der Kille & durch die Miete des Hauses. Erich sorgt ja auch für sich; er muß mit seiner Radiosache ganz nett zu tun haben.

Freunds gehts noch I a; sie hatten sehr viel zu tun. Friedel ist mit ihren beiden Männern über Weihnachten nach Berlin. Tante Lenchen mit Helmut nach Arnheim zu Tante Rosa. Hast Du dahin schon mal eine Karte geschrieben? Wenn nicht, dann tu das bitte auch mal. -

Eben kam Kurt, er schreiben eben an: Lieber Ernst! Eben habe ich Deinen lb. Brief gelesen, u. freue mich daß es Dir als Familienrepräsentant so gut gefällt. Man bekommt Sehnsucht nach Palästina, wenn man Deine Zeilen liest. - Augenblicklich habe ich Zwangsferien, u. vertreibe mir mit Onkel Sali die Zeit hier mehr schlecht als recht. - Lass es Dir verdammt gut gehen u. sei herzlichst gegr. von Deinem Pseudovetter Kurt.

Weiter im Text, nachdem Kurt & Onkel Michel angeschrieben haben. Onkel Michel ist sehr betröppelt wegen des Abschieds von Ernst. Wie er sagt, wollen sie heute Abend schon abreisen. Wie fallen die Familien auseinander. Onkel Felix erzählt eben von Bruno Cohen (aus Augsburg-Mörs, dessen Vater jetzt in Düsseldorf wohnt), daß es ihm in Sao Paulo (Brasilien) sehr gut ginge. Er ist vielleicht 4-5 Monate dort; hat die Vertretung von Freund & Diloff (Krawatten). Du kennst ja seinen Bruder Erich, der schon mal hier war, ich glaube auch, daß Du schon mal bei seinem Vater (Sali Cohen) mit in Düsseldorf warst. Seine Tante Hannchen in Borken hat kürzlich einen kleinen Schlaganfall gehabt; die kennst Du ja auch.

Hans Seligmann ist noch in München & wartet, ob er nicht irgendwo eine Assistentenstelle bekommt. Unterdessen „erfindet” er & hofft, einmal dadurch zu Geld zu kommen. Wenn er Geld hätte, könnte er irgendwohin ins Ausland & fertigmachen, aber das Geld fehlt & Onkel Sali kann ja auch nicht dauernd zahlen, denn sein Geschäft bringt auch nicht mehr soviel ein wie früher, wo er noch so viele Behördenlieferungen hatte. Sein Kundenkreis ist eben viel kleiner geworden. Hans muß eben sehen, wie er weiterkommt.

Lieber Ernst! Ich habe Dir schon häufiger mündliche Grüße übermittelt und benutze jetzt die Gelegenheit, auch einmal schriftliche Grüße zu senden, die nicht weniger herzlich gemeint sind.

Mit den besten Wünschen für weiteres Wohlergehen
Dein Onkel Michel

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Das wäre so ungefähr alles, was ich Dir über Familiengeschichten mitteilen könnte.

Frau D. Kaufmann war neulich hier; sie wissen nicht, was sie mit dem Georg anfangen sollen. Er bekommt zu Ostern das Einjährige. Was dann?

Friedel Freund sagte Neulich: „Unser Helmut geht nicht fort, & wenn er mal geht, dann geh' ich mit!” Auch ein Standpunkt! - Friedels Bruder, der Arzt in Rees gewesen ist, ist seit längerer Zeit (1 Jahr?) in Porte Alegre, in Brasilien. Dem geht es hervorragend gut; ist Arzt dort & verdient mehr als in Rees. Im nächsten Jahr schon will er seiner Mutter Geld schicken, daß sie ihn besuchen kann! Das ist erfreulich! - -

Für die Marken viel Dank! Ich habe jetzt viel Zeit & beschäftige ich mich mit dem Album. Kurt hat mir seine Kataloge geliehen. Wenn Du gewöhnliche paläst. Marken hast, kannst sie mir als Tauschobjekt auch mitsenden.

Mutter fragt eben: „Pips, freust Dich?” Und meint damit, daß Du geschrieben hast. Ob ich mich freue? Aber sehr!

Nun genug von mir. - Weiter alles, alles Gute. Mein Segen ist immer über Dir! Alles Gute 1937! Halt immer den Kopf hoch, sei stark & fest! [..]!

Viele, viele Küsse Dein Vater.

Anbei Karte 11

Mein lieber Ernst!

Ich habe gottlob Deine lieben Eltern und Großeltern wohl behalten angetroffen und mich sehr gefreut, auch von Dir Gutes zu hören. - Ich bleibe jetzt einige Tage in Krefeld und werde s. G. w. Sylvester wieder in München sein. Hab recht wohl und herzliche Grüße und Küsse von Deinem
Onkel Sali.

Mein lb. Ernst! Diese Woche war ich böse, dass Vater den Brief ohne meine Anschrift absandte. Von jetzt an habe ich wieder Zeit & kann Die was schreiben; die Hauptsache war, es hat was eingebracht. Wir wandern nach Deinen Berichten mit Dir durch Erez & freuen uns von Herzen über Dein Wohlbefinden & Deine Freude am Land. Um diese Zeit gab es hier früher auch Apfelsinen in rauhen Mengen & normalen Preisen, aber wir haben bis heute noch keine gegessen, da es nur sehr wenige gibt & 18 Pf. kosten, was uns eine Apfelsine nicht wert ist. Umso mehr freue ich mich, dass Ihr jedes Quantum vertilgen konntet. An Schniebinchen habe ich dieser Tage auch oft denken müssen. Du hattest uns vorher viel Sorgen gemacht & warst von dem Tage an kerngesund. Ja. lb. Pipslein, die Zeit

Du schreibst, dass es dort so kalt ist. Hast Du genügend warme Sachen dort? Soll Frau Kaufmann Dir etwas mitbringen??

fliegt, wir werden alt & aus Kindern Leute. Dass Du letzteres feststellst, freut mich sehr & bin ich stolz ob Deines Mutes beim Zahnarzt. Deine Augen musst Du Dir auch einmal nachsehen lassen resp. ob Deine Brille noch taugt. Dr. Ferbers meinte doch, dass Du in einem ½ Jahr neue Gläser nötig hättest & die Zeit wäre dann doch jetzt herum. Hast Du Kamm & Bürste erhalten? Mit Frau Kaufmann schicken wir dann ein paar Arbeitsschuhe & morgen senden wir Dir wieder 10.-

Die Weihnachtstage waren oder sind sehr nett. Sali ist hier & Kurt, da haben wir keine Langeweile. Schade, dass er Donnerstag schon wieder weg will. Alle Neuigkeiten hat Vater Dir schon geschrieben, es geht hier einer nach dem andern weg. Wir sind nur froh, dass wir das schon überstanden haben & Du Dich drüben schon gut eingelebt hast & Dich zu Hause fühlst. Die andern tappen jetzt ins Ungewisse hinein & bis die sich zurechtgefunden haben, hast Du hoffentlich schon ordentlich was gelernt & stellt Deinen Mann. Ich sehe immer wieder ein, dass wir es richtig gemacht haben. Dran kommen die jungen Leute alle einmal & je jünger man ist, umso leichter lebt man sich ein. Lore Lindenbaum hat sich in London eine Stelle in einem Säuglingsheim gesucht & verdient ihr Mittag & Abendessen. Tante Tini wird am 20. Jan. 80 Jahre, schreibe Ihr einige Zeilen, die wir ihr dann mit nach Wien schicken können. Pflücke dort ein Blümchen, was wir ihr dann beilegen wollen, sie wird sich darüber sehr freuen. Onkel Richard hat uns einen Herrn Dahl geschickt, ein Krefelder, der mit ihm zusammen ist. Wir haben uns sehr gefreut, mal etwas Persönliches von ihm zu hören. Speyer aus Bochum, jetzt Erez, hat geschrieben, er wäre zu weit weg, um Dich einmal besuchen zu können. Es wäre sehr gut, wenn Du einmal nach Jerusalem fahren könntest, um Dich mit Onkel Richards Freunden bekannt zu machen. Vater fragt, wie es mit der Kravattenfabrik sei. Nun Schluss!

Viel Glück 1937 & tausend Küsse Deiner Mutter.