Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 2. Januar 1937
Krefeld, 2/1.37.
Mein lieber Junge!
Dank für Deinen lieben Brief, v. 23.-26./12., den wir schon gestern erwartet hatten, der aber wegen Neujahr erst heute kam. Neues schreibst Du gar nichts, das ist ja auch eigentlich am besten, denn das Neue taugt selten. Die Hauptsache, daß es Dir gut geht & Du gute Laune hast. Dein Bericht über Eure Sichoth usw. hat uns sehr interessiert; Du siehst man kann also auch Bauer sein, ohne zu „verbauern”! - Daß Du jetzt vor 1 Jahr in Schniebinchen warst, daran denken auch wir. So eilt die Zeit! - Nach Schnee brauchst Du keine Sehnsucht zu haben; wir haben hier auch keinen & verzichte ich für mein Teil gern; es ist ein zweifelhaftes Vergnügen im Schnee autozufahren! - Deinen Brief an Rolf & Erke hab ich eben fertiggemacht, geht auch gleich ab.
Von uns: wie immer! Mit Onkel Sali wars sehr nett; Tante Bora kam, wie Dir schon mitgeteilt nicht, dafür war Onkel Sali mit Kurt dort & hatten sie viel Freude. Kurt war auch täglich bei uns. Wir saßen des Abends immer bei uns rund um den Ofen bis 1 h nachts & plauderten; knacken Nüsse & schnäpselten (von unsrem Kirschschnaps, Kirschen aus unsrem Garten.) Am Donnerstag Abend ist Onkel Sali abgereist. Am Dienstag war Frau Bruch aus Dülken hier, die ja eine Jugendfreundin von Onkel Sali ist; es war sehr nett. So haben wir hübsche Weihnachstage gehabt. Gestern am Neujahr waren wir mal ganz allein; Abends sind wir zur Synagoge, (Freitag Abend), wo ich auch Lore sprach. Sie hatte keine Zeit mal Weihnachten zu uns zu kommen & war auch gestern in Eile. - Ich habe mit Kurt zu Weihnachten viel in Briefmarken geschwelgt; Kurt hat mir verschiedene geschenkt; 4850 sind zusammen! Es geht jetzt doch mühselig voran!
Habe ich Dir geschrieben, daß Gerda geschrieben hat. Es geht ihr gut, nur hat sie einen Beinbruck gehabt, nachdem sie kurz vorher am Blinddarm operiert worden war. - Tante Tini in Wien wird am 19.1. 80 Jahre alt. Schreibe ihr bitte ein paar Zeilen; event. über uns. Nicht vergessen bitte!
Mein lb. Ernst! Vater hat sich eben nach Tisch zum schlafen hingelegt & nun will ich schon mal weiterschreiben. Erstmal herzlichen Dank für Deine lb. Zeilen. Wir freuen uns immer sehr mit so einem Brief, wie sehr, kannst Du an folgendem ersehen. Heute früh musste Pips in die Stadt & hat auf der Strasse Deinen Brief angenommen. Er liess mir das sagen & da ich wusste, dass er mit der Elektrischen fuhr & diese noch nicht da sein konnte, bin ich schnell in den Mantel geschlüpft, an die Haltestelle & haben wir dort so lange gelesen, bis die Bahn kam. Es ist immer ein Ereignis für uns & sind wir Dir auch sehr dankbar, dass Du immer so pünktlich & ausführlich schreibst. Dass ich ein paar Wochen gearbeitet habe, ist doch nichts Besonderes, es wäre doch eine Dummheit gewesen, wenn ich mir das hätte entgehen lassen. Ich tue es ja auch für Euch beide, die ich sehr lieb habe & bedaure, dass ich jetzt wieder zu Hause hocke, was nichts einbringt. Du schreibst, dass Du die Bürste erhalten hast, ich hatte vorher einen Kamm geschickt, hast Du den nicht bekommen? Von Tante Matilde & Onkel Sali bekam ich Geld, um Dir etwas zu kaufen. Wenn Du einen Wunsch hast, will ich ihn Dir gerne erfüllen, vorerst habe ich es in unsere Reisekasse getan. Du musst Dich aber bei beiden bedanken, zur Hubertusstr. kannst Du durch uns schreiben, für Onkel Sali hast Du vielleicht noch eine Karte. Das ist doch lieb von beiden. Dass Ihr Euch tüchtig weiterbildet höre ich sehr gerne. Wie ist es denn mit dem Englischen, was ich sehr wichtig fände!
II
Vorgesern habe ich im Josefshaus Herbert Weyl besucht, der an Blinddarm operiert wurde, heute aber schon wieder gesund zu Hause ist. Ich mag den kleinen Kerl sehr gut leiden & brachte ihm deshalb eine grosse Dose Keks, mit der er sich auch sehr gefreut hat. Und was der Zufall will, ein Zimmer weiter liegt Heinz Serros, auch an Blinddarm operiert. Man hört das heute so häufig. Und dann war gestern, nein vorgestern, Fritz Rossberg hier, um, wie er sagte, uns im alten Jahr, noch einmal zu besuchen. Auf meine Frage, ob er dann noch immer zu Hause sei, antwortete er, Dr. Bluhm bemühte sich für ihn. Ich glaube, dann kann er noch lange warten. Er wird für meinen Begriff immer schrecklicher, baumlang, dünn & immer idiotischer. Ich habe seinen neuen Überzieher bewundert & prompt kam die Antwort, „den habe ich am 5. Okt. bekommen”. Man soll es nicht für möglich halten, wie tölpelhaft ein Junge in dem Alter sein kann, aus dem wird im Leben nichts. Ein direkt trauriges Kapitel. Er hat mir freudestrahlend erzählt, dass der J.V.D. aufgelöst sei & sie alle jetzt dem RjF. angehörten. Daran siehst Du, was für einen Verstand er hat. Der kleine Herbert Weyl ist nicht mit übergegangen, er sagte, für ihn käme nur der Makkabi in Frage. Der kleine Kerl hat mehr Grütze im Kopf als die Grossen.
Bekommt Ihr jetzt viel Apfelsinen zu essen? Ich weiss dieses Jahr nicht, wie sie schmecken, sie sind sündhaft
teuer. Vater erwacht von seinem Mittagsschlaf & kann nun fortfahren. Alle Neuigkeiten habe ich Dir berichtet & dass es mit Onkel Sali nett war, schrieb Pips ja schon. Lass es Dir weiter recht, recht gut gehen & sei tausendmal geküsst von Deiner
Erna Mutter.
Mein Lieber! Ich habe Dir, was ich Dir berichten wollte, bereits berichtet; es ist ja nicht immer viel. Man erlebt ja auch nichts in Krefeld & besonders nicht an solchen Feiertagen. Einmal waren wir mit Onkel Sali, Kurt, Frau Bruch im Kino (Ufa): „Glückskinder” mit Lilian Harvey & Fritsch. Ganz nett. (Dein Freund Paul Kemp war auch dabei!) - Am Abend vorher war Mutter auch schon mit Onkel Sali im Apollo. Spaß hatten wir genug. Über den Kurt gibts ja immer zu lachen. Also, nun Schluß für heute. - Daß Du Dich über die Briefausschnitte freust, dachte ich mir. Anbei noch welche & Karte 11.
Also, mein lieber Bub, Kopf stets hoch & [..]
Dein Vater.
Mein l. Ernst.
Dich bei bester Gesundheit hoffend, grüßt u. küßt Dich
Deine Großmutter
und Großvater.