Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 15. Januar 1937

Krefeld, 15/1.37.
Freitag.

Mein lieber Ernst!

Gestern kam Deine l. Kte v. 6.1. aus Jerusalem & heute Dein l. Brief v. 5.-8./1. mit Anlagebrief für Tante Tini, den ich prompt weitersenden werde. Für alles vielen Dank. Wir freuen uns, daß es Dir gut geht & alles bei Euch in Ruhe & Ordnung verläuft. Daß Du wieder Bekannte (Pinchas K.) getroffen hast, ist nett; pflege diese Kameradschaften nur, es ist immer gut, Freunde zu haben. - Daß Ihr eine Ladung Apfelsinen bekommen, ist schön; ich habe noch keine gegessen in diesem Winter, es gibt keine hier; sehr seltenmal sieht man welche in den Geschäften & dann nur zu sündhaften Preisen, sodaß man lieber verzichtet. Laßt Euch nur die Gelegenheit nicht entgehen, möglichst viele zu genießen!

Daß Du in Jerusalem warst, entnehmen wir Deinem Brief mit Freuden; es ist auch nett, daß Du die Freunde von Onkel Richard besucht hast. Hoffentlich kommst Du nun öfters in die Stadt, daß Du auch die Bekanntenn von Tante Tini mal aufsuchen kannst. Tu auch das bitte bei erster Gelegenheit!

Passen Dir die Stiefel jetzt? Was ist daran gemacht worden?

Von uns nichts besondres. Es geht alles im alten, gewohnten Geleise. Von München kam gestern Brief, sie erkundigen sich nach Dir. Onkel Sali will mir - für m. Geburtstag als Geschenk von der l. Mutter - von [..] eine schöne, neue Armbanduhr besorgen; ich kann sie gut brauchen. - Vorgestern war Fritz Rosberg hier; es wird immer schlimmer mit ihm. Seit der Bund geplatzt ist, kommt er mit niemand mehr zusammen; aber „seine Mutter will ihn zum RjF - Tennisabteilung - anmelden”!! Natürlich dann auch zum Sport!! Er übt noch englisch, französisch, Maschinenschreiben.

Gestern war Helmut Freund hier zum Briefmarkentausch; er hatte aber nicht viel Rares. (Kannst Du mir noch paläst. Nachportomarken besorgen?)

Tante Hilda sandte mir aus dem Nachlaß von Onkel Willi 24 schöne Bücher, z. T. Erstausgaben, vom Verfasser signierte und auch nummerische Bände; ganz wertvolle Sachen.

Schade, daß Du sie nicht sehen kannst; Du hättest auch Gefallen daran. - Von Helmut Frank anbei der versprochene Brief. - Hier ist noch immer Regen, Regen! Anscheinend hat sich die Welt gedreht; Ihr habt Schnee & wir die Regenzeit. Gestern war Ernst Meyer (v. Markus Meyer) hier, hat sich auch nach Dir erkundigt. - Heute Abend sage ich Kaadisch für m. l. Eltern, gestern war Jahrzeit. Mutter starb vor 16, Vater vor 8 Jahren; Vater ist heute vor 8 Jahren beerdigt worden. Wie die Zeit fliegt! Ich muß nun zu Schuchardt, den Wagen waschen lassen.

Nimm heute von mir mit dem Wenigen vorlieb; ein andersmal mehr! Mit vielen Küssen & [..] & besten Wünschen Dein Vater.

Mein lb. Junge! Innigen Dank für Deine Karte & Deinen Brief, der mich besonders erfreut hat. Ich glaube Dir gerne, dass Du von Hott nach Hü in Jerusalem gelaufen bist, ich würde es bestimmt nicht anders machen. Die angeknüpfte Bekanntschaft mit Onkel Richards Freunden halte mir ja hoch, es kann immer von Nutzen sein. Ich fände es reizend, wenn die Leute Dich einmal besuchten. Was tut der Mann, hast Du eine Ahnung? Frl. Salomons hat sich sicher sehr gefreut; ihr solltest Du doch mal Iwrith beibringen. So trifft man sich dann wieder, Du hast unterdess nun schon verschiedene wiedergesehen. Wer bezahlt die Änderung an Deinen Schuhen, musst Du das selbst bezahlen? Schone nur die Schuhe nicht zu sehr, denn Deine Füsse wachsen doch noch & dann sparst Du sie auf, bis sie Dir zu klein sind. Was trägst Du für einen Mantel, den Loden oder Lederol?

II

Ich freue mich auch immer, wenn Du schreibst, es hat fabelhaft geschmeckt. Essen war ja immer ausser Braten, Deine schwache Seite & wäre ich glücklich, wenn Du damit aufgeräumt hättest. Wer schält Dir denn jetzt die Apfelsinen, oder bist Du nicht mehr so bequem? Hier hast Du lieber keine gegessen, als Dir selbst geschält. Du schreibst zwar in Deinem vorletzten Brief, aus Kindern werden Leute, aber manchmal bin ich noch ein bisschen misstrauisch. Wie steht's damit, Pipslein? Obst iss nur in rauhen Mengen, es ist gesund. Wir müssen es ja leider entbehren & das ist bei meinem Obsthunger sehr bedauerlich. In 4 Wochen hat Vater Geburtstag & ist er schon dahintergekommen, dass ich ihm in München eine Uhr bestellt habe. Wenn er gerade noch etwas nötig hat, kaufe ich es nach & dann Schluss. Aber er freut sich schon sehr, wenn er eine neue Uhr bekommt, er ist ja sehr bescheiden.

Dass Ihr in alle Arbeitszweige eingeweiht werdet, ist nur zu begrüssen. Man kann im Leben nie genug wissen & wenn Ihr mal auf eigenen Füssen steht, müsst Ihr ja auch was können. Noch einige Wochen & bei Euch fängt es schon an zu blühen, wir erwarten erst den Winter. Das Wetter ist hier grauenhaft. Ich bin nur froh, dass Du gute warme Betten & alles andere mitgenommen hast & Dich warm anziehen kannst.

Die Adresse von Ernst Lamm ist
Landwerk Steckeldorf, Ausbau
Post Neue Schleuse über Rathenow b./Berlin

Bis der nach drüben kommt, dauert sicher noch eine schöne Weile. Aber die Hauptsache, er ist dabei. Von hier kann ich Dir garnichts berichten. Vater schreib Dir ja schon von Fritz Rosberg & über Heinz Jakobus schreibt Dir Helmut. Ich war vorige Woche mal im Kino & habe einen Film mit Gigli gehört, der fabelhaft gesungen hat. Sonst unternehmen wir ja auch nichts. Hin & wieder kommt mal der eine oder andere aus der Mischpoche; im allgemeinen freuen wir uns aber immer, wenn wir unser Reich alleine haben & von allen Miesigkeiten nichts hören & sehen. Die einzige wirkliche Freude sind Deine Briefe. Vielleicht fahren wir Sonntag mal zu Kaufmanns nach Düsseldorf, um Frau K. nochmal zu sprechen, bevor sie zu Euch kommt. Jetzt will ich zur Synagoge gehen & muss deshalb schliessen. Lass es Dir recht, recht gut gehen, die Apfelsinen gut schmecken & nimm viele gute Wünsche & Küsse
Deiner Mutter.