Erna Loewy an Sohn Ernst, 4. Februar 1937
4.2.37.
Donnerstag Abend 10 Uhr
Mein lb. Ernst!
in der Vorfreude Deines morgen zu erwartenden Briefes will ich schon einmal einen anfangen. Ich musste heute nämlich ganz besonders viel an Dichdenken & zwar habe ich mir eben mit Frau Wertheim in der Stadt den Altweiberfastnacht angesehen, vielmehr ansehen wollen. Es war aber derartig voll in den Strassen, dass wir schleunigst gemacht haben, aus dem Trubel herauszukommen. Schliesslich sieht eine Maske wie die andere aus & dann liegt uns das ganze ja auch nicht. Aber warum ich dabei so viel an Dich denken musste, kam daher, weil Ihr voriges Jahr nach der Iwrith-Stunde noch auf diesen Bummel gegangen seid & erst nach 12 Uhr heimkamt. Grossmutter hat damals furchtbar getobt, dass sich der kleine Junge so lange auf der Strasse herumtrieb & uns alle nervös machte. Schliesslich landetest Du quietschvergnügt & fandest nichts dabei, dass es so spät geworden war. Und heute! Die Zeit hat sich gedreht, heute finden wir fast nichts mehr dabei, dass uns Meere trennen, dass der kleine wohlbehütete Junge so weit weg ist. Wie kleinlich waren wir damals & wie grosszügig hat uns die Zeit gemacht. Man lernt, lernt täglich dabei, trotz der Jahre, die wir schon auf dem Buckel haben. Ich bin nur mal neugierig, was uns demnächst Frau Kaufmann von Euch erzählen wird. Wir waren Sonntag in Düsseldorf & haben mit K. einen sehr gemütlichen Tag verbracht. Wir sind um ½ 4 in Gerresheim gewesen & erst nach
9 Uhr dort weggefahren; ein Zeichen, dass wir uns gut unterhalten haben. Es sind auch sehr nette Menschen & wenn Du Dich in irgend einer Sache mit Ihr mal aussprechen willst, man hat immer schonmal etwas zu besprechen, kannst Du es ruhig tun, sie ist eine herzensgute Frau & wird Dich verstehen. Bestelle ihr nur recht viel von Dir, wir können nicht genug hören. - Die Arbeitsschuhe werden Dir hoffentlich passen, ebenso die Hausschuhe, die Grossmutter gestiftet hat & Kämme füge ich 2 Stück bei, falls Du mal wieder einen verlierst. Sonstige Wünsche kannst Du gerne erfüllt haben, wenn Du welche hast. Müsstest Du einen Überzieher haben, da Du nur einen Lodenmantel & Ledermantel hast. Ich denke gerade daran, weil Spanier auch bald ausverkaufen man sicher billig einen kaufen könnte. Schreibe mal darüber, oder eine neue Kletterweste? Vorgestern Abend war in der Z.O.G. ein Rezitationsabend eines Schauspielers vom Berliner Kulturbund. Ich war natürlich da & hat es mir so gut gefallen, dass ich es bedauerte als Schluss war. Die Folge brachte Skizzen jüd. Typen aus Polen, Ungarn, Deutschland, Palästina Essays & Gedichte. Auch Gedichte von Bialik auf Iwrith. Es müsste hier mal öfter derartiges geboten werden. Bertold hat sogar nichtmal eine Empfangs- oder Schlussrede gehalten, was mich angenehm berührt hat. Nun darf Dein Brief morgen kommen, ich schreibe dann weiter. Einstweilen gute Nacht, mein lb. Pips, es ist spät geworden. Morgen Abend ist Vater auch wieder zu Hause, worauf ich mich wie immer freue. Lass Dich in die Arme nehmen & herzlich küssen. Deine Mutter.