Erna Loewy an Sohn Ernst, 5. Februar 1937
Eben kommt eine Karte von Herrn Kfm., daß er heute nicht kommt, weil er Besuch hat.
Freitag, den 5.2.37.
Mein lb. guter Junge!
heute erhielten wir Deinen lb. Brief vom 23. bis 27.2. Viel Dank! Es tut mir ausserordentlich leid, dass sich Manfreds Zustand nicht bessern will; doch wollen wir hoffen, dass er sich, wo er doch sonst so kräftig ist, noch erholen wird. Es soll Euch andern eine Warnung sein, dass Ihr Euch in acht nehmen müsst, besonders wenn es heiss ist & der Durst mal sehr gross sein sollte. Seid vorsichtig! Dass Du Frau Kaufmann gesprochen hast & Dir die Schuhe passen, freut mich sehr. Ich bin nur mal neugierig, was sie uns demnächst zu erzählen hat. Herr K. schrieb uns schon, seine Frau hätte berichtet, dass Ihr alle grösser & kräftiger geworden wäret. Lass Dich doch mal wieder fotografieren, Frau Kaufmann hat einen sehr guten Apparat bei sich. Das Negativ besorge ich sofort wieder, sobald ich einen Abzug davon habe. In Tel Aviv scheint aus der Purimfeier auch nicht viel geworden zu sein. Infolge der immer wieder erscheinenden Unruhen hat man es auch dort abgesagt. Ihr habt also nichts versäumt. Hoffentlich kommen nur nicht wieder Unruhen in schlimmerem Ausmass, es genügt gerade schon so. Was uns durch die Zeitungen berichtet wird, ist nichts Gutes.
An Tante Tinnis Freunde vergiss nur nicht, es sollen sehr prächtige Menschen sein. Nett von der 80jähr. Tante, dass sie Dir selbst geschrieben hat. Ihr freut Euch wohl sehr über das elekt. Licht, wieder ein Stück aufwärts für Euch. Der Zahnarzt scheint ja ein grosses Wissen zu haben. Je mehr solche Köpfe bei Euch sind,
umso besser für Euch. Es scheint nach Deinem Schreiben, dass Du im II. Jahr eine andere Beschäftigung bekommst. Weisst Du schon, wie alles wieder verteilt wird? Ihr werdet dann auch wohl mehr arbeiten müssen & weniger Unterricht erhalten. Isst Du jetzt auch so gerne Gemüse, wie Du Dich im Gemüsegarten beschäftigt hast? Du schreibst schon von reifem Blumenkohl & wir freuen uns noch am warmen Ofen. Hier ist noch alles kahl & öde, unser Garten eine Wildnis. Ich muss mich nach einem andern Gärtner umsehen, da Paul ja in Johannesburg ist. Beide Paare haben schon geschrieben, Ernst hat vorläufig eine Aufenthaltsbewilligung für 6 Monate, von Paul der später angekommen ist, liegt noch nichts Genaues vor. Wer wird denn von Euch im Radio sprechen, ich bin mal neugierig. Wenn Miss Szold zu Eurer 1. jähr. Feier kommt, nehme ich an, dass sie auch mit Euch über fernere Dinge & Eure Zukunft sprechen wird. Hoffentlich erlaubt man Euch dann auch eine 14 tägige Fahrt. Endlich gibt es hier auch Apfelsinen für 10 Pf. das Stück. Bis jetzt haben wir kaum eine gegessen, aber nun kann man sich ab & zu mal eine leisten. Tante Debora ist leider wieder abgereist, sie wird Dir Deinen Brief von Hause aus beantworten. Über zu wenig Post kannst Du Dich doch nicht beklagen. Ich habe übrigens vergessen, Dir Schnellhefter zu schicken, werde es aber diese Woche besorgen. Aber eine schöne Kletterweste habe ich Dir bei Spanier gekauft & da wir nicht wissen, was wir Dir zu Deinem Geburtstag für eine Freude machen können, werde ich sie Dir per Päckchen schicken. Schwarz hatten sie in
II
5.2.37.
Mein lb. Junge! heute der ersehnte Freitag, aber ohne Deine Post. Recht ist mir das natürlich nicht, aber was will ich machen, ich muss hübsch warten bis sie kommt. Zudem wird Vater heute auch sehr spät von der Reise kommen, da er in der Bielefelder Gegend nicht fertig geworden, seinen Wagen dort stehen lässt & mit dem Zuge kommt, um Montag nicht wieder die weite Anfahrt zu haben. Er wird wohl vor 11-12 Uhr nicht hier sein, also ein ganz krummer Tag. Morgen habe ich dann hoffentlich beides, Deinen Brief & den Pips. Etwas Besonderes weiss ich Dir auch heute nicht zu schreiben. Nach der strengen Kälte von voriger Woche haben wir wieder das reinste Frühlingswetter, zwar viel Regen aber warm. Für Vater natürlich besser, da er bei dem Glatteis was war, unmöglich mit dem Wagen hätte fahren können. Aber ungesundes Wetter. Wie ist es jetzt bei Euch mit Eurem neuen Führer? Hat er sich schon bei Euch eingelebt & Ihr Euch an ihn gewöhnt? Hier ist für unsere Jugend kaum noch was, 3 x in der Woche wird Tischtennis gespielt, das ist alles. Gestern sprach ich auch Frau Traub. Lore hätte Dir ein Bild geschickt, hast Du es bekommen. Fotografieren lässt sich die junge Dame oft genug. Hast Du nicht mal wieder ein Bild von Dir; wir würden uns sehr damit freuen. Ob Du wohl zugenommen hast & grösser geworden bist? Ich könnte so tausend Fragen stellen, was ich alles wissen möchte & beneide Frau K. die sich nun von allem mal überzeugen kann. Nun muss ich ins Städtchen, damit wir morgen auch was zu essen haben & mache für heute Schluss.
Schabbes morgen. Nun bin ich wieder glücklich. Eben kam Dein lb. Brief & der Pips ist auch wieder daheim. Mehr
kann man nicht verlangen. Ich danke Dir mein lb. Junge & freue mich Deines Wohlergehens. Hoffentlich ist es bei Manfred nicht so schlimm, wie Ihr meint, ich wünschte es ihm. Dass Du Ernst L. auf Iwrith geantwortet hast, hast Du fein gemacht. Die Stellen bei der Jugendalijah waren überfüllt, deshalb kam er nach Berlin. Die Kronacher brauchen nichts zu zahlen & glaube ich auch, dass es damit zusammenhängt. Erst kommen mal die zur Jugend A. die für den Aufenthalt zahlen können. Wir sind auf jeden Fall sehr froh, dass Du die 2 Jahre schon dort verbringen konntest. Denke Dir, dieser Tage habe ich mir auch eine Apfelsine geleistet, aber sie sind das Geld nicht wert. Eine ganz kleine, grade einen Mund voll 13 Pf. Umso schöner ist es, dass Ihr drin wühlen könnt. Bald gibt es ja bei Euch schon wieder andere schöne Dinge, hier wartet man noch immer auf den richtigen Winter. Eure selbstgezimmerten Nachtschränkchen möchte ich mal sehen, also habt Ihr schon „eigene Möbel” die Du Dir als kleiner Junge schon immer gewünscht hast. Ich denke Manfreds Vater hätte schon lange was gefunden, für einen Metzger dürfte das doch nicht schwer sein. Helmut Frank ist im Schwarzwald, wenn er zurück ist, bestelle ich ihm Deine Grüsse. Liebes Pipslein, ich habe so viel mit Dir geplaudert, dass ich aufhören muss. Vater will doch auch noch schreiben & sonst wird der Brief zu schwer. Morgen ist Karneval, ich glaube kaum, dass ich mir davon etwas ansehe. Ich habe ja nie etwas dafür übrig gehabt.
Nun lass Dich noch in die Arme nehmen & innig küssen mit allen guten Wünschen, Deine
Dichl. Mutter.