Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 12. Februar 1937

Freitag, den 12.2.37.

Mein lb. Ernst!

Deinen lb. Brief vom 2.-4.ds. erhielten wir heute, Du hast also mit Vaters Geburtstag fein aufgepasst. Er wird sich gleich, wenn er heimkommt von der Reise riesig freuen, Dein Blümchen wird ihm das schönste Geburtstagsgeschenk sein. Lügen haben doch kurze Beine, d. h. wir haben Dich in keiner Weise belogen, nur etwas unterschlagen, Vaters Knöchelbruch. Wir wollten nicht davon schreiben, weil sich aus der Ferne immer alles viel schlimmer ansieht, wollten aber auch nicht, dass Du es nicht von uns, sondern von dritter Hand erfährst. Ich sehe ein, dass diese Vorsicht auch falsch war, es ist also in jedem Fall besser, immer hübsch bei der Wahrheit zu bleiben; so wie wir es von Dir ja auch fordern. Vorausschicken muss ich, dass Du Dinge siehst, die nicht waren. Meine Besuche im Krankenhaus bei Herbert Weyl hatten nicht das Geringste mit Vater zu tun, der hübsch brav zu Hause auf der Chaiselongue gelegen hat. Frau Kaufmann wird Dir übrigens bestätigen können, dass es Vater G. s. D. wieder recht gut geht. Un nun will ich Dir der Reihe nach alles erzählen. Vater hat in Borghorst gearbeitet, am 2. Dez. & hat beim Verlassen des Kunden die unterste Treppenstufe am Haus übersehen & ist gefallen. Der Fuss tat ihm weh & glaubte er ihn verstaucht zu haben. Tags drauf ist er hier zu Dr. Bäcker, der Dich damals durchleuchtet hat, ist geröntgt worden, wobei sich herausstellte, dass es ein Bruch war. Der Fuss musste in Gips & Dein Vater 3 Wochen Geduld haben, bis er den ver-

band wieder herunterbekam. Wenn man sonst gesund ist & sich dann nicht rühren kann, ist das natürlich eine Strafe, zumal bei unserm Pips, der doch sonst so springlebendig ist. Schmerzen waren dann kaum noch damit verbunden, nur fiel das Gehen erst wieder schwer, aber auch das hat sich gegeben. Bei allem hatte Vater noch Glück, es war ein Bruch, der leicht heilte, Dr. B. nannte ihn ein „idealer Bruch” & dann fiel es in die Weihnachtszeit, wo Vater auch hätte nicht reisen können. Und das ist die ganze Wahrheit, die Dein Herzchen wieder erleichtern soll. Ich kann aber Deine Sorgen begreifen & sollst Du nie wieder was durch andere erfahren müssen. Ich hoffe aber auch zuversichtlich, Dir derartiges nicht wieder berichten zu müssen. Ausser Grossvater, der gewohnheitsmässig stöhnt, geht es uns allen gut. Übrigens wird Dein alter Herr nicht 47, sondern 46 Jahre. Nur keine Beleidigung. Du hast eigentlich verhältnismässig einen sehr jungen Vater. Was ich ihm schenke ist noch nicht genau heraus. Käsekuchen gibt es diesmal nicht, vielleicht eine Apfeltorte, dann bekommt er die Uhr, die er übrigens schon 8 Tage trägt & dann möchte ich ihm noch etwas Praktisches kaufen, vielleicht ein paar neue Schuhe. Für unnütze Dinge möchte ich kein Geld ausgeben, er soll morgen selber wählen zwischen Schuhen oder einem Bademantel. An & für sich sind Geburtstage ja unwichtige Begebenheiten, man wird höchst daran erinnert, dass man älter wird, aber ein bisschen soll es doch sein. Onkel Richard schrieb, dass er 38 Jahre würde mit der Bemerkung „pfui Teufel”. Die Zeit bleibt nicht stehen, das sieht man daran, dass Du schon bald 1 Jahr weg bist. Kaum zu glauben, aber doch wahr.

II

Über die Sache Jumbo kann ich Dir nichts sagen, ich war nicht zu Hause & weiss davon nichts. Das muss Vater selber beantworten. Was hat sich bei Manfred Mendel herausgestellt? Ist er noch im Krankenhaus?

Dass Du nicht mehr über Käsekuchen nörgeln würdest, freut mich ganz besonders. Auch nicht mehr über Leber? Habt Ihr wieder mit der Arbeit begonnen & bist Du wieder im Gemüsegarten? - Karneval ist für uns wie immer ruhig verlaufen. Ich bin nicht mal aus dem Hause gegangen, um mir den Zug anzusehen. Ich habe fein mein Mittagsschläfchen gehalten & bin später ins Kino gegangen. Sonst habe ich auch nichts erlebt, worüber ich Dir berichten könnte & will auch jetzt schliessen, bis Vater kommt. Gut Schabbes & tausend Küsse Deiner Mutter.

Lieber Ernst!

Ich hoffe, daß es Dir sehr gut geht. Wie gefällt es Dir in Palästina? Hellmut Frank ist schon in Erholung zum Schwarzwald. Bald fährt er nach Nordamerika. Wenn er fort ist, dann sind wir noch zu wenigen Kameraden vom ehemaligen J.P.D.

Nochmals herzliche Grüße wünscht Dir
Herbert Weyl.

13/II. Abds.

Mein lieber, lieber Junge! Die liebe Mutter hat recht, das schönste Geburtstagsgeschenk ist Dein Blümlein & Dein lieber Brief. Ich danke Dir für beides & für Deine guten Wünsche. Hoffentlich geht ein Teil davon in Erfüllung & vor allem der Wunsch, daß wir uns im Sommer wiedersehen können. Das kleine Blümchen habe ich neben Deine erste Blume aus Erez, die Du s. Z. der lieben Mutti zum Geburtstag sandtest, an das Bild meiner lieben Mutter, das vor mir am Schreibtisch steht, gesteckt, und so habe ich Deine beiden Blumen stets vor Augen, wenn ich hier sitze. Daß Du morgen an meinem Kaffeeklatsch nicht teilnehmen kannst,

tut mir recht leid. Trinke also dort auf mein Wohl! - Mein Bruch: ein bedauerlicher Fall, daß Jumbo Dir geschrieben, ist aber nicht zu ändern. Es war G. s. D. kein Beinbruch, sondern ein Knöchelbruch des linken äußeren kleinen Knöchels; es ist G. s. D. größtenteils vorbei. Du siehst ja, daß ich seit Wochen schon wieder auf Reisen bin & selber fahre. Also, mein Lieber, keine Sorgen! Bis ich zu Dir komme, merkt man überhaupt nichts mehr! Aber in Zukunft wollen wir Dir auch nichts mehr verschweigen, sondern auch das Unangenehme berichten, aber hoffentlich gibt es nun keine unangenehmen Dinge mehr! - Jumbo: er hat vielleicht was ich ihm gesagt hatte, etwas zu ernst genommen, denn es lag mir fern, ihm schroff zu begegnen oder ihn abzulehnen. Ich habe mich heute mit seinem Vater darüber unterhalten und ihn gebeten, mir Jumbo mal zu schicken; ich werde dann mit ihm nochmal alles besprechen & alles ins Reine bringen. - Ernst Lamm sandte mir heute zum 15/II. eine Karte; nett, daß er an m. Geburtstag denkt. - Von Tante Hilda hatten wir dieser Tage Brief; sie schreibt, daß dem armen kleinen Freiberger von seinem Erbe nichts überbleiben & daß auch seine Kleider, [..] etc. in miserablem Zustande seien. Wir müssen da eben tüchtig mitsorgen. Es ist ein Jammer, wie schlimm es um den Buben aussieht. Wir werden ihn natürlich nicht im Stiche lassen.

Frau Kaufmann ist bei Erhalt ds. Briefes schon längst bei Euch & wird Dir wohl viel von uns erzählt haben. Wenn Du was hast, schütte ihr, die sehr lieb ist, ruhig Dein Herz aus, sie wird Dir sicher mit Rat & Tat zur Seite stehn. Daß auch Heinz Br. seine Mutter da ist, ist ja auch nett; auch für die beiden Damen. -

Von der l. Mutter habe ich mir Schuhe gewünscht & auch bereits an; ebenso die schöne Armbanduhr. Dann Kuchen usw.

Mein lieber Junge! Ich habe heute schon soviel geschrieben & [..], daß ich kaum mehr die Feder halten kann, so müde bin [..] noch mit dem Brief zur Stadthalle, damit er Montag 9 h in München ist. Ich kann nicht mehr schreiben, sei nicht böse. Ich schreibe Dir diese Woche wieder von der Reise aus. - Besondres weiß ich ohnehin nicht mehr.

Also, nochmals viel Dank & viele, viele Küsse
Dein Vater.

Grüße alle, auch Frau Kaufmann & Herr Mendel!

Dir heute nochmals viel gute Wünsche beifügend bin ich mit Gruss & viel Küssen Deine
Mutter.

Herbert war nach Tisch bei uns & freute sich, Dir einen Gruss senden zu können.