Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 25. Februar 1937

1 Stich + 1 Antw.schein anbei.

Freitag, den 25.2.37.

Mein lieber, guter Junge! Es ist wirklich erstaunlich, mit welcher Genauigkeit Deine Briefe einlaufen, trotz des weiten Weges. Heute kam Dein lb. Brief vom 15.-20. ds. viel Dank! Die Zeilen an Polaks kann ich Tante Debora morgen persönlich übergeben. Sie kommt zufälligerweise auf ein paar Tage rüber, & freuen wir uns auf sie. Polaks sind liebe Menschen. Eine Kletterweste versuchen wir bei Sp. billig zu bekommen & über Deine andern Wünsche schreibst Du uns, wenn es an der Zeit ist. Wie ich in meinem letzten Brief schon schrieb, halte ich es überhaupt für verfrüht über die Reiserei schon zu viel zu sprechen. Ich glaube nicht eher daran, bis Vater sein Billet in der Tasche hat & bis dahin ist noch lange. Unterdessen wirst Du nun ja auch Frau Kaufmann gesprochen haben & bin ich sehr neugierig auf ihre Berichte von Euch. Es ist sogar möglich, dass Herr Kaufmann Sonntag zu uns kommt & wenn nicht diesen Sonntag, bestimmt die Woche drauf. Dass Du so gute Bücher liest, ist sehr richtig von Dir, man kann nur daraus lernen. Vater sandte Dir von unterwegs 10,- Mk. Wenn Du mal wieder in Jerusalem bist & hast irgend einen Wunsch, sei es ein Stück Kuchen, Leberwurst oder ein praktisches Teil, kaufe es Dir & sei nicht gar zu sparsam. Onkel Michel hat uns Deine Karte gezeigt & wenn Du mal an Dr. Bluhm schreiben willst, er würde sich riesig damit freuen. Eine Antwortkarte ist bestimmt fein genug für den Herrn. Aber schmiere dann bitte nicht so nach gewohnter Art & schreibe einmal anständig.

Max Levy hat sich mit dem Steinmann aus Moers ein Zimmer gemietet, die neue Adresse hole ich mir gleich aus der Hubertusstr. & füge sie mit bei. Er schrieb sogar, er sei in Jerusalem gewesen, hätte aber keine Zeit gehabt, nach dort zu kommen. Du möchtest ihn doch bei Gelegenheit einmal aufsuchen. Wenn Pinchas so viel gelernt hat, wird es Euch allen ja zugute kommen & damit wäre Dein Brief beantwortet. Viel Neues kann ich Dir auch nicht erzählen, ich habe nichts Besonderes erfahren. Die kleine Ruth Magnus soll wieder so sehr krank sein, die Leute machen was durch. Wir haben uns jetzt ein Buch besorgt, es heisst „Alijah” & ist ein amtliches Informationsblatt des Pal. Amtes Berlin mit einer grossen Karte. Es steht alles drin, was man von drüben wissen muss, Land, Leute, Geldangelegenheiten, Ratschläge, Vorschläge für einen 4 wöchentlichen Aufenthalt, kurzum, sehr lehrreich für uns & kostete nur 1,35 Mk. Seit Du weg bist sammle ich ja für Hilfe & Aufbau & Vater an Eintopfsonntagen. Und um sich erkenntlich für unsere Mühe zu zeigen, hatte man uns diese Woche alle Helfer & Helferinnen zu einem gemütlichen Nachmittag in der Loge eingeladen. Bei Reden gab es Pralinen & Keks in rauhen Mengen, Kinder haben vorgetragen, geturnt, also allerlei nettes geboten. Am schönsten war ein kleines Theaterstück, die Prinzessin auf der Erbse von 5 Jungens & Mädels, Volksschülern von 8-10 Jahren, gespielt. Was das Erstaunliche daran war, sie sprachen nicht deutsch, sondern alles auf englisch & zwar sehr fliessend. Man muss sagen, die Kinder sind fleissig & bauen alle für später einmal vor.

II

Vater schrieb von unterwegs ganz zufrieden, hoffentlich kommt er bald heim. Hier ist jeden Tag ein derartiges Sauwetter, dass man nur auf die Strasse geht, wenn man muss. Und darin ist unser Pips dauernd, der arme Kerl. Der kleine Freiburger ist nun in Kronach, wo er sich wohl zu fühlen scheint. Jetzt kommen auch für den Jungen einmal nettere Tage. Die Gemeinde Freiburg zahlt monatlich 40,- zu & so kann Tante Hilda sich dann helfen. Auch wir haben ein Stück Freiburg hier. Onkel Willi hat doch mit alten Stichen gehandelt & die hat man uns hergeschickt, um sie zu verkaufen. 4 grosse Kisten voll von einem Gewicht von cir. 800,- Pfd. Die stehen nun alle bei uns im Schlafzimmer & hofft Vater, für den Jungen was herauszuschlagen.

28/2. Nun ist es schon wieder Schabbes geworden. Gestern bin ich zur Hubertusstr. um die Adresse von Max Levy zu holen, inzwischen kam Vater von der Reise & da wars aus mit der Schreiberei. Die Adresse merke Dir einmal vor. Tel Aviv Kirjath Me'ir Beth Hascharon 2/15 c/o Neumann.

Es wäre sehr nett, wenn Euch der Zufall mal zusammenbrächte. Grossmutter ist gerade zur Bahn, um Tante Debora abzuholen; ein klein bisschen Abwechslung in unserm Alltag. Hast Du Dich nie wieder gewogen? Wenn Du dort keine Möglichkeit hast, tu's mal bei Gelegenheit in Jerusalem. Ich soll Dich wieder von allerlei Leuten grüssen, die nach Dir gefragt haben. Keiner kann es verstehen, dass Du schon bald ein Jahr weg bist, ich selbst am allerwenigsten. Wirst Du

auch im 2. Jahr im Gemüsegarten bleiben, oder lernst Du nun was anderes, was ich von hier aus besehen, richtiger fände. Ich will nun schliessen & dem Pips nicht alles vorweg nehmen, sonst weiss er gleich garnichts mehr zu schreiben. Viel Gutes & tausend Grüsse & Küsse Deiner
Mutter.

Samstag Nachm. 6.15. Mein lieber Bub!

Eben komme ich von der Hubertusstr., wo ich Tante Bora begrüßt habe; denn heute früh als sie kam, war ich in der Stadt; ich war bei Dr. Baiter, der die Sache für die Unfallversicherung fertigmachen mußte, d. h. die Versicherung hat von ihm, der mich behandelt hatte, ein Endgutachten verlangt & da mußte er mich heute nochmal untersuchen. Die Geschichte am Bein ist somit wieder in Ordnung, und muß ich vorläufig (für einige Monate) noch einen Gummistrumpf und Einlagen im Schuh tragen, damit der Fuß besseren Halt hat. Aber sonst klappt es wieder. - Mit Deinem lieben Brief, der diesmal etwas kürzer ausgefallen ist (wegen des beigelegten Briefes für Polaks), habe auch ich mich recht gefreut. Die Menge macht es ja nicht, sondern die Nachricht, daß Du gesund & zufrieden bist. Alles andre kommt in 2. Linie. Deinen Bericht über Pinchas Seminarstudien etc. habe ich mit Interesse gelesen; was Euer Führer kann, kommt ja auch Euch zu gute. Hoffentlich stellst Du Dich mit ihm genauso gut wie mit Fritz.

Wegen der Koffer will ich mal sehen, wie ich das mache; irgend ein Weg wird sich finden lassen. Auch die Weste bekommst Du & schreib Dir - wenn Dir jeweils etwas einfällt, was Du noch brauchst, alles auf & gib uns Deine Wünsche bekannt; man hat ja dann vielleicht ein ganzes Jahr lang keine Gelegenheit, bis die liebe Mutter - so Gtt will - im nächsten Jahr mal kommt oder Herr Kaufmann, der dann ja auch (etwa, wenn Eure 2 Jahre um sind) zu Euch kommen will. Du brauchst nicht bescheiden sein, denn was Du brauchst, sollst Du haben; wir haben ja ohnehin nur selten Gelegenheit, Dir was Liebes zu erweisen.

3)

Lore sehe ich überhaupt nicht mehr; seit Roschhaschanah war sie nicht mehr bei uns & es wird vielleicht Pessach, bis ich sie mal wieder zu Gesicht bekomme. Ich kann ihr also wegen des Bildes nichts sagen. Ich bin ja wieder die ganze Woche auf Tour & am Samstag & Sonntag habe ich soviel zu tun, daß ich zu Privatdingen nicht komme. - Nun habe ich auch noch die ganze Sendung Stiche & Bilder hier, die mir auch noch Arbeit machen. Es sind sicher hunderttausend (!!) Stück! Einige Bilder, Kupferstiche, von Erez habe ich heute entdeckt, die ich Dir zukommen lassen will. Von Zeit zu Zeit kann ich Dir mal davon schicken; die Sachen sind ganz nett & kannst Du Dein Zimmer damit schmücken! - Es ist schade, daß die Sachen nicht richtig ausgewertet werden können, es könnte viel Geld herauskommen für den kleinen verwaisten Jungen; nun habe ich ein Abkommen mit einem Antiquar getroffen, der sie, so gut wie möglich auswerten will. Ich hoffe, daß dem Buben wenigtens ein paar hundert Mark gerettet werden können. Es sind Stiche aus fast allen Ländern der Erde dabei. Wie Tante Hilda schrieb, sollen auch noch 28 Kisten mit Büchern vorhanden sein. Was damit werden soll, weiß ich auch noch nicht! Ich kann aber unmöglich alles hierher nehmen, ich habe ja keinen Platz! - Ich hoffe, daß es Manfred wieder gut geht; die 2 Krankheitsfälle werden Euch wohl eine Lehre sein, daß Ihr nun besser aufpaßt mit dem Genuß von Wasser & ungekochter Milch! Vor allem auch mit Trinken in der Hitze! Du kennst das ja auch noch von Haus Berta her. Übrigens, ich bin dort gestern vorbeigefahren; von der Straße bis zum Hause werden alle Bäume gefällt, sodaß man das Haus von der Landstraße aus sehen kann; öde & verlassen ist das Haus. - Schniebinchen ist aber wieder in Betrieb; ich sprach kürzlich eine Dame aus Darmstadt, deren 16jährige Tochter dorthin kommt aufs Vorbereitungslager für die Jugendalijah. Dieser Dame gab ich Deine Adresse; sie will sich bei gegebener Zeit mal bei Dir erkundigen wegen der Ausrüstung für ihre Tochter; Du schriebswt ja damals, die Liste sei nicht richtig, manches sei zu viel & manches zu wenig. Wenn diese Dame bei Dir anfragen sollte, gib ihr bitte (eventuell mit Hilfe Eurer Mädels) Auskunft. Sie ist die Nichte von Frau Zündorfer i/Ohligs, einer lieben Kundin von mir; das Geschäft kennst Du ja wohl auch. - Wie ich das mit Büchern für Dich mache, wenn ich komme, weiß ich noch nicht. Einesteils möchte ich ja gerne, daß Du recht viele Deiner Bücher dort hättest, andrerseits aber ist es nicht richtig, wenn Du zu viele Sachen dort hast; Du belastest Dein Gepäck unnötigerweise & das halte ich nicht für richtig, solange Du noch keine feste Position hast. Wenn Du eventuell öfters umziehen mußt, ist zuviel Gepäck

sehr lästig. Wenn Du später Dich mal irgendwo angesiedelt hast oder sonst irgendwo festen Fuß gefaßt hast, ist das ja was andres & spielt es dann keine Rolle, ob Dein beweglicher Besitz etwas größer oder kleiner ist. Wenn Du wenigstens Freunde hättest, die ein eigenes Haus haben, wo Du im Notfalle Deine überschüssigen Sachen unterstellen könntest. Das muß alles reichlich überlegt werden. Oder meinst Du, Du könntest eventuell alles in Kirjat Anavim zurücklassen zur Aufbewahrung, bis Du alles brauchen kannst? Habt Ihr solche Dinge noch nie besprochen? Sprecht Ihr überhaupt schon mal (mit Dr. Pinchas & eventuell auch mit den Leuten der Kwuzah) darüber, was 1938 mit Euch werden soll? - Hier ist nun endlich die Gründung des Makkabbi zustande gekommen. Morgen, am 28/II, ist das „Anturnen” (Bleichpfad); Leitung hat der Gladbacher Makkabbi; es sollen Herren, Damen & Kinder turnen; ich möchte ja auch gerne mitmachen & täte es nur auf meine alten Tage recht gut (besonders in Anbetracht meiner 200 Pfd!), aber ich bin ja am Herrenturnabend (Dienstag) nie hier.

Tante Bora bleibt ein paar Tage hier; schön, daß sie über Sonntag hier ist, habe ich doch auch was davon. Morgen ist sie bei uns. - Nun, das ist alles für heute! - Nun wünsche ich Dir weiter alles, alles Gute, mein lieber Junge; halte den Kopf hoch & [..]!

Mit recht vielen Küssen bin ich Dein Dich liebender Vater.

Mein lieber Junge.

Recht herzliche Grüsse & Küsse
Tante Bora

Herzlichen Dank für Deinen l. Brief.

Lieber Ernst. Auch von uns herzliche Grüße. Sei geküßt von Deiner Großmutter, Großvater.