Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 12. März 1937
Freitag, den 12.3.37.
Mein lb. Ernst!
Deinen lb. Brief mit den Frühlingsboten vom 2.-6. ds. erhielten wir heute früh & nimm unsern herzlichsten Dank dafür. D. h. Vater ist noch unterwegs, aber es ist ihm nichts lieber, als wenn ich ihn bei seiner Heimkehr mit einem Brief von Dir empfange. Dann ist alles andere nebensächlich, im Hut & Mantel wird dann erst gelesen. Die Antwortkarten werden doch nicht schlecht, wenn Du zuviel hast. Hebe sie Dir gut auf, ein andermal bist Du froh, wenn Du welche besitzt. Wer sich auch mal mit einer Karte freuen würde, wäre Onkel Alex, der sich jede Woche nach Dir erkundigt, ebenso Tante Bella Blankenstein mit ihren 85. Jahren. Dass man Manfreds Mutter ruft ist doch ein sehr trauriges Zeichen. Wir hoffen mit Euch, dass er sich noch erholen wird, er war doch ein so kräftiger Bursche. Dein Gedächtnis ist einfach fabelhaft. Dass Du bald ein Jahr weg bist, weiss ich leider zu genau, aber wann Deine Kiste weggegangen ist, habe ich schon längst wieder vergessen. Ich weiss nur, dass Wochen voller Aufregungen vorausgegangen sind & ich anfangs glaubte, über alles nicht hinwegkommen zu können. Aber die Zeit hat gezeigt, dass der Mensch viel kann & da Du zufrieden bist, sind wir es auch. Der lb. Gtt, möge Dich weiterhin beschirmen & beschützen & mit Dir sein, mein lb. Junge. Bekommen wir von Euren Arbeiten zu dem 1. jähr. Fest auch was zu lesen? Die Zeitung
hätte ich ja gerne, vielleicht bekommen wir sie von der Jugendhilfe. Wer war das Mädel, die im Radio gesprochen hat? Dass Frau Kaufmann an die Leberwurst gedacht hat, freut mich besonders; noch mehr, dass sie Dir mit geklauten Zutaten gut geschmeckt hat. Du hast Vater falsch verstanden. In den Kisten von Onkel Willi waren nicht Bücher, sondern tausende von Kupfer- & Stahlstichen. Es sind einige Interessenten da, aber es kann Jahre dauern, bis sie mal alle veräussert sind. Diese Woche habe ich viel darin sortiert & war ganz blöd von all dem Kram. Es steckt ein Vermögen darin, aber wir können es bestimmt nicht so verwerten & wären schon froh, für den Jungen ein paar hundert Mark zu retten. Ob Vater Dir viel Bücher mitbringt, ist fraglich. Wir schreiben Dir ja schonmal, dass Du Dich nicht zu sehr mit Gepäck belasten darfst, bis Du einmal weisst, wo Du bleiben wirst. Von uns aus kannst Du alle Bücher haben, die wir besitzen, aber habe erstmal einen festen Wohnort. Wenn erst Vater mal bei Dir war, hoffe ich ja auch mal zu kommen & bis dahin wissen wir bestimmt mehr. Die Unruhen erschrecken uns immer wieder; jetzt wieder Belagerungszustand in Jerusalem. Ob es denn nie ein Ende nimmt & wir nie Ruhe kriegen? Dass Ihr über natürliche Dinge des Lebens offen miteinander seid, kann man nur begrüssen. Ihr seid ja auch keine Kinder mehr & müsst dem Leben ins Auge sehen, wie es nun einmal ist. Manch einem wird es dadurch vor Dummheiten beraten & sittlich stärken.
II
Du schreibst von herrlichstem Frühlingswetter & hier ist es einen Tag mieser als den andern. Schnee, Regen, Sturm alles durcheinander, man traut sich kaum vor die Türe. Da Paul weg ist, muss ich mich nach einem andern Gärtner umsehen & kommt wahrscheinlich Herr Windmann, den Du von der Z.O.G. aus kennst. Aber vor Ende April anzufangen, hat hier keinen Zweck, die Sträucher fangen jetzt erst an, an den Spitzen grün zu werden. Auch in dieser Beziehung habt Ihr es besser; ich friere den ganzen Tag. Jetzt habe ich noch eine grosse Arbeit vor. Heute Abend ist hier Verdunkelungsübung & da muss ich noch alles abblenden. Herr Litzen will mir dabei helfen. Anbei noch das Negativ zurück, das Bild ist sehr deutlich & durch Deine Leitung können wir uns alles gut vorstellen. Hoffentlich bekommen wir bald mal wieder eins von Dir. Für heute tausend Küsse Deiner Dichl. Mutter.
Mein lieber Junge! Natürlich habe ich mich mit Deinem lieben Brief gefreut, als ich heimkam. Die Beantwortung hat ja die liebe Mutter soweit schon besorgt & kann ich dies alles nur noch unterstreichen. Ich freue mich auch immer wieder zu sehen, daß Ihr Euch viel mit geistigen Dingen beschäftigt; Du siehst also, daß ich recht gehabt habe, als ich Dir einsmal auf Deine Befürchtung, als Landwirt müßte man notgedrungen verbauern, gesagt habe, das läge dann an dem Betreffenden selber. Wenn jemand Interesse an geistigen Dingen hat, wird er immer Mittel & Wege finden, seinen Geist weiterzubilden, zu lesen, zu lernen & sich mit schönen Dingen zu beschäftigen.
Dein Artikel für die Feier interessiert mich natürlich auch sehr. Sollte es keine Möglichkeit geben, uns das Blatt zu schicken, vielleicht dann eine Abschrift?
Eure Sichoth, von denen Du schreibst, können sich für Euch gut auswirken, wenn Sie - wie Du schreibst - mit dem notwendigen Ernst behandelt werden. Du weißt ja, wir beide haben uns oft über diese Probleme unterhalten, sodaß Du doch nicht als Neuling dastehst & mitreden kannst. Wie ich darüber denke weißt Du & ich wiederhole Dir auch bei dieser Gelegenheit: „Halt' die Finger von ..... & warte, Du bist noch jung & hast bestimmt noch ein paar Jahre Zeit. Mach keine Dummheiten, die Dir später leid täten. Ich hoffe, daß ich mich auch darüber bald mit Dir persönlich unterhalten kann, so wie wir das früher getan haben. Ich freue mich heute schon sehr, wenn ich mich wieder mit Dir aussprechen kann & alles das, was Dich bewegt, mit Dir besprechen kann.
Manfred wünsche ich von Herzen alles Gute; wollen hoffen, daß es gut wird. Es soll Euch allen eine Lehre sein, vorsichtig im Genuß von Milch zu sein!
Von uns nichts Besondres. Wir sind wohlauf. - Ich habe eine Menge Arbeit mit den Stichen aus Frbg; ich erwarte gleich einen Interessenten, auch morgen zwei. - Gelegentlich schicke ich Dir ein paar mit als Zimmerschmuck. Bücher: von Tante Hilda kamen s. Z. einige wertvolle Sachen, die Dich bestimmt interessieren. Irgendwas bringe ich Dir davon schon mit. Meinetwegen könntest Du, wie auch Mutti schreibt, alles haben, aber wohin willst Du damit? Ich bin dafür, daß Du Dich in erster Zeit nicht mit unnötigem Ballast belastest; nach 2-3 Jahren kann man weitersehen. Trotzdem mußt Du mir schreiben, was Du besonders möchtest, damit ich Dir wenigstens das Nötigste bringen kann. Ende ds. Mts. will ich mal zu Waldbaum-Reisebüro, um das Nötige einzuleiten; man muß sich ja frühzeitig um alles kümmern. - Onkel Michel war heute hier & erzählte, Ernst ginge es in J. gut; er hätte Stellung gefunden. - Bei uns gehts geschäftlich auch gut; ich habe jetzt noch eine neue Fa, von der ich mir auch was verspreche; hoffentlich klappt es.
Besondres habe ich sonst nicht. Also für heute alles Gute & viel Küsse [..]
Dein Vater.