Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 1. Mai 1937
Krefeld, Samstag 1.5.37.
Mein lieber Junge!
Heute ist der 1. Mai, Tag der nat. Arbeit, also ein regelrechter Sonntag! Auch Ihr feiert den Tag wohl wieder & hoffe ich, daß Ihr Euch über die dort damit verbundenen Dinge nicht wieder zu ärgern braucht wie im letzten Jahre; man nimmt vielleicht jetzt etwas mehr Rücksicht auf Euch, wo Ihr doch schon so lang dort seid & man Eure Einstellung zu diesen Dingen nun wohl kennt! - Dein langer Reisebericht hat auch mir viel Freude gemacht & bin ich nun doppelt gespannt, das alles in kurzer Zeit selbst mit Dir zusammen sehen und erleben zu dürfen! Es ist ja nun doppelt schön, wo Du das Land kennst & dann als Führer dienen kannst. Du bist dann in den verschiedenen Kwuzoth ja schon bekannt und wird man uns wohl umso leichter überall willkommen heißen. Ich möchte natürlich manches genauer wissen, aber ich hebe mir das alles auf & kannst mir dann alles, was Du jetzt gesehen hast, ausführlich erzählen, manchmal an Ort & Stelle. Eure Begeisterung über das schöne Land kann ich verstehen & kann mir Euren Stolz, daß Ihr selbst mit Pioniere am Aufbau von Erez sein dürft, vorstellen. Es ist gewiß ein erhebendes Gefühl; der Posten, an dem Ihr steht, ist nicht leicht, und manchmal gewiß kaum dankbar, es sei denn, daß Ihr daran denkt, daß künftige Geschlechter Euch für Eure Arbeit, Eure Geduld, Zähigkeit & Standhaftigkeit einmal Dank wissen werden. - Daß Du meine Jugendfreundin gefunden hast, war gewiß nett; konnte sie sich denn auch sofort an mich erinnern? Sie ist ja heute auch keine junge Frau mehr; schon ca 44 Jahre alt! Was macht sie? Darüber schreibst Du nichts. Du warst auch in Kirjath Bialik. Schade, daß Du nicht daran gedacht hast, Dr. Berl mal aufzusuchen. Du hättest dort auch die Eltern der Frau Dr. Berl, Osters aus Gronau, getroffen; sie sind am 24/4 wieder von Haifa abgereist - Du hättest uns Grüße senden können. - Frau Kfm haben wir noch nicht gesprochen; sie hat noch nichts hören lassen, seit sie zurück ist. - Frau Mendel war [..] bei Euch. Ist Ruth nun bei Euch in der Gruppe? Ein nettes Mädel, ja?
Meine Reise: Also, wenn nichts dazwischen kommt, fahre ich also am 6/7. ab Marseille, & am 4./8. ab Haifa, mit der „Champollion”. Wenn es also bleibt, bin ich volle 3 Wochen bei Dir. Länger geht es leider nicht, da ich ja leider zu sehr an meine Arbeit denken muß. Frau Wertheim fährt mit mir; allerdings machen wir nur die Bahnfahrt gemeinsam; in Marseille trennen wir uns, denn ich fahre Touristenklasse, sie aber 2. Klasse! Dies kostet 94 Mk mehr; Herr Waldbaum hat ihr die Touristenklasse mieß gemacht, da seien die Kabinen schlecht, (dann nur Innenkabinen), auch schlechte Verpflegung usw. Vielleicht ist sie dann trotz der besseren Verpflegung dauernd seekrank! Meinetwegen, ich bin ihr nicht böse, so bin ich wenigstens frei & brauche keinerlei Rücksicht auf sie zu nehmen; es ist mir ebenso lieb. Ich werde die paar Tage auch in der Touristenklasse herumkriegen, aber sie möchte auch einen „Genuß” von der Seereise haben, während mir an diesem Genuß gar nichts liegt; mir kommt es nur darauf an, nach Erez zu kommen, um Dich zu sehen! - Wenn Du mal Frau Mendel (oder Ruth) sprichst, frage doch mal ausführlich nach ihrer Fahrt auf dem Schiff, sie sind ja auch Touristenklasse gefahren, ob es dort wirklich so elend ist, wie Hr. Waldbaum (der die Karten etc. besorgt) macht; ich kann es mir nicht denken! Und wenn: ich bin vom Felde her an andre Dinge gewohnt & machte mir auch nichts draus, wenn ich 8 Tage auf blanker Erde schlafen müßte! Aus der Verpflegung mache ich mir gar nichts, meinetwegen kann es die ganze Reise über Kartoffelsuppe, Schwarzbrot & Wasser geben! Für 94 Mk muß ich schwer arbeiten, aber Fr. W. hat es ja! Sie hat ja ziemlich viel von ihrer Mutter geerbt & dann spielt Geld keine Rolle mehr! - Also, gib bitte mal Bericht, sobald Du Mendels gesprochen hast. - Zu Pfingsten fahre ich wohl nach Bayern; ich habe allerlei mit [..] zu besprechen. Auch möchte ich die Verwandten gern mal wiedersehen; leider reicht aber die Zeit nicht, um auch mal nach Weiden zum Friedhof zu fahren. - Wenn ich nach Erez fahre, fährt die l. Mutter jedenfalls nach München; sie hat sich dort eingeladen & hat man diese Einladung bereits angenommen; wir sprachen eben davon, sie könnte
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sich sogar ein Rundreisebillet nehmen & über Kronach wieder zurückfahren. Mal sehen, was daraus wird. Es hängt aber auch alles noch vom Geldbeutel ab. Mutter ist nicht sehr erfreut, daß ich zu Pfingsten fahre, sie ist dann viel allein, jetzt fort, im Juli fort - & auch sonst nie zu Hause. - Deine Frau wird es da wohl einmal besser haben! Der Bauer ist immer daheim!
Wegen der Stiche von Leipzig will ich sehn, was sich tun läßt; da ist eine Anzahl vorhanden, aber von Merseburg glaube ich nicht; ich muß aber erstmal nachsehn!
Nochmals Deine Fahrt: ich hoffe, daß Du, ohne daß wir nach Einzelheiten besonders fragen, noch das Ein oder Andre ausführlich beschreiben wirst & erwarten wir spannend weitere Berichte.
Gestern war ich - überraschend - in Osnabrück bei Fritz, der sich sehr gefreut hat. Seine Tochter Helga ist übrigens hier bei den Großeltern.
Draußen scheint heute - ausnahmsweise - die Sonne. Die l. Mutter möchte spazieren gehen & drängt auf Schluß. Es ist 17.15! Seit heute früh sitze ich am Schreibtisch! - Ich bin auch am Schluß der Wissenschaft.
Neues gibts so nichts hier; gesund sind wir, das ist die Hauptsache. Nun, mein Pipslein, alles, alles Gute & viele Küsse! [..]
Dein Vater.
Lieber Pips, nochmals eine Menge Küsse. Was sagst Du dazu, dass ich mich nach München eingeladen habe? Ich muss mal eine andere Tapete sehen, denn so viel alleine bin ich noch nie gewesen. Vater ist dieses Jahr auch zu Pfingsten nicht hier; da kommt man nur auf dumme Gedanken. Hoffentlich klappt nur alles.
Innigst umarmt Dich
Deine Mutter.