Richard Loewy an Sohn Ernst, 26. Mai 1937

Hotel Henke

Geseke, den 26./5.37.

Mein lieber Junge!

Deinen lieben Brief, der diesmal etwas verspätet erst am Montag früh, gerade vor meiner Abreise, ankam, hat wohl die liebe Mutter beantwortet; aber da ich nicht mehr anschreiben konnte, sollst Du auch von mir von der Reise aus noch einen Brief haben, da auch ich etwas dazu zu sagen habe. Du hast Dich in Deinem Brief etwas ausführlicher über Deine Ansichten über die Kwuzath im allgemeinen ausgelassen. Ich selbst kann ja nur theoretisch darüber urteilen; es kann ja auch sein, daß wir fernstehenden Menschen uns über viele Dinge in einer Kwuzah ein durchaus falsches Bild machen; es kann sein, daß wir so manches in rosigem Lichte sehen, was alles andre als rosig ist. Aber das ist ja nicht entscheidend; sondern Deine persönliche Einstellung zu diesen Dingen. Ich kann Dir auch keinerlei Vorschriften machen, sondern Dir nur raten. Und ich hoffe, daß ich Dir bei einem Besuch, den ich nun für dringend notwendig erachte, auch tun kann. - Du schreibst, Du fühlst Dich nicht als Arbeiter, Dir fehle auch die innere Begeisterung zur Arbeit. Wenn Du Deine jetzige Arbeit nach 1 Jahr noch nicht lieben gelernt hast, dann glaube ich wirklich auch, daß diese Liebe zu Deiner jetzigen Arbeit nie kommen wird. Aber was dann? Du schreibst, maßgebend

für eine Umstellung für Dich sei auch die Elternanforderung! Wie, mein lieber Junge, möchtest Du die denn schneller erreichen als durch ein Verbleiben in einer Kwuzah? Mir ist dies schleierhaft; denn an ein Verdienen kannst Du doch noch lange nicht denken, da Du außer Land- [..] Gärtnerarbeit doch nichts gelernt hast; & ohne Kenntnisse kann man bekanntlich ja kein Geld verdienen. Du mußt doch auf jeden Fall erst mal irgendeinen praktischen Beruf erlernen! Oder wie stellst Du Dir das denn vor?! Du schreibst, Du wolltest keinesfalls in der [..] bleiben, was hast Du Dir denn gedacht? Hast Du schon mal mit Fritz oder Pinchas darüber gesprochen & was raten diese? - Mutter hat es Dir vielleicht auch geschrieben: Frau Kaufmann hat uns bereits vor ca 14 Tagen gesagt, als sie bei uns waren, ich möchte, wenn ich drüben bin, mal zusehen, ob ich Dich nicht aus der Landwirtschaft herausbrächte & Dich Lehrer werden lassen könnte (zumal solche dort sehr gesucht seien!). Du seiest der geborene Lehrer! Es gäbe, wie Frau Kfm sagte, bestimmt drüben Mittel & Wege, daß Du gratis die Ausbildung erhalten könntest. Hast Du über solche Möglichkeiten schon gehört, & wie stellst Du Dich überhaupt dazu? Sprich mal mit Pinchas & Fritz darüber, evt. auch bei Gelegenheit mit Dr. Hirsch oder Dr. Grünfelder. Vielleicht hörst Du schon mal herum, ich will dann, wenn ich komme, die nötigen Schritte gern unternehmen. Von hier aus kann man ja kaum was machen. Vor allem muß ich ja auch wissen, was Du selbst eigentlich willst! Wenn Du sagst, daß Du nicht in einer Kwuzah bleiben willst, so mußt Du Dir doch bestimmt doch auch schon irgendetwas gedacht haben, was Du später tun willst! Denn aus der Gruppe austreten, heißt sie aufgeben & zwar für immer!

II

26/5.37

Du weißt ja wohl, wenn Du einmal heraus bist, kommst Du nie wieder hinein! - Du hast mit Deinem Entschluß, den ich aus prinzipiellen Gründen nicht mißbilligen will & kann, mir große Sorgen um Deine Zukunft gemacht. Ich stelle mir die Lage für Dich, wenn Du die Gruppe auf eigene Faust verlassen willst, sehr schwer vor, was willst Du tun ohne Kenntnisse, ohne Erfahrung, ohne Geld, ohne festen familiären Rückhalt - nur die wenigen Freunde, die dazu meistens viel eigene Sorgen haben?!

Andrerseits kann ich natürlich auch nicht das Verlangen stellen, zu bleiben, wenn Du keine Lust & Liebe zu Deinem jetzigen Beruf hast. „Kaufmann” kannst Du dort nicht werden, zumal Du dafür absolut keinerlei Talent hast!! Was denn???

Ich sehe, es wird wirklich Zeit, daß ich hinkomme um mit Dir alles an Ort & Stelle zu besprechen, auch mit Pinchas & der Leitung der Jugendalijah; denn auch dort muß man doch irgendwelche Pläne für die Leute haben, die nach den 2 Jahren nicht in dem „Kern” bleiben wollen oder können. Es ist vielleicht außer Dir noch der eine oder andre in gleicher Lage. - Schreibe mir bitte nochmal darüber; daß wir uns deshalb Sorgen machen, kannst Du Dir denken.

Daß Du nun mit einer Reihe Deiner Kameraden bessere

Fühlung hast als früher, das hören wir gerne. Hierin scheinst Du früher doch wohl etwas voreilig geurteilt zu haben; wir hatten dies ja schon immer geschrieben, Dich nicht abzusondern, sondern alles mit den andern mitzumachen, wie es auch immer komme. Wenn eben Grüppchen gebildet werden, bleibt einem eben nichts andres über, als sich einem Grüppchen, mit dem man sympathisiert, anzuschließen. Es ist nicht so leicht, 30 Leute unter einen Hut zu bringen. - Du siehst, Fritz ist daran gescheitert; man kann auch nicht verlangen, daß alle gleich denken & daß sich einzelne immer näher stehen & vieles gemeinsam haben, ist doch klar! - Daß Deine Chawera Edith Dich verläßt, tut mir sehr leid. - Wenn ihre Eltern schreiben, will ich ihnen gern gefällig sein. -

Nun was andres: es ist durchaus möglich, daß ich nicht mit der Champollion komme, sondern ab Triest fahre. In ca 8 Tagen kann ich Dir Bestimmteres darüber schreiben! - Persönlich hoffe ich Dich wohlauf. Von mir kann ich Dir dasselbe berichten. Es ist jetzt 11 Uhr abends, ich bin erst um 9 h gekommen & fahre morgen früh gleich nach Gütersloh; hier ist Feiertag, Fronleichnam, aber in Gütersloh ist alles evangelisch & man kann arbeiten. Das Geschäft war diese Woche ganz gut. Hoffentlich bleibts so.

Aun & für sich bin ich froh, wenn der Juli da ist; ich habe etwas Ausspannung ganz nötig.

Nun, mein lieber Junge, noch mal alles, alles Gute! Immer den Kopf hoch halten, es wird schon alles werden!! [..]!

Grüße alle & Du selbst laß Dich umarmen & Küssen
von Deinem Vater.