Erna Loewy an Sohn Ernst, 27. Mai 1937
Anbei 1 Schein!
Donnerstag, den 27.5.37.
Mein lb. Ernst!
Seit Montag will ich Dir schon Deinen lb. Brief vom 11.-14. ds. beantworten, aber immer blieb es dabei. Ich hatte ein kleines Zahngeschwür, was mich arg gepeinigt hat & dann lässt man alles liegen & stehen. Aber nun soll es endlich werden. Vor allem mal herzlichen Dank, mein Guter, für Deinen Brief & das nette Bildchen, womit wir uns ganz besonders gefreut haben. Aber warum müssen wir die immer wiederschicken, wir können uns nur sehr schwer davon trennen. Da ich Dich mit der Brille sehe, fällt mir ein, warst Du eigentlich schon mal beim Augenarzt & hast Augen wie Brille nachsehen lassen? Dr. Ferbers sagte damals, in einem halben Jahr müsste das geschehen & nun bist Du schon ein ganzes Jahr drüben. Du darfst das ja nicht vernachlässigen. Lass beides unbedingt nachsehen, ich bitte Dich drum. Ob die Münchener Reise was wird, hängt letzten Endes vom Geldbeutel ab. Wenn Vater nicht restlos alles für seine Reise braucht, steht dem nichts mehr im Wege. Frau Kaufmann hatte wohl schon gesehen, dass Du kein besonderer Arbeiter bist, weil sie uns den Vorschlag machte, Dich Lehrer werden zu lassen. Und was sind Deine eigenen Pläne, nachdem Du das alles
eingesehen hast? Irgend einen Plan musst Du doch schon erwogen haben. Ohne Dir einen Vorwurf machen zu wollen, bin ich etwas enttäuscht, dass Du die Arbeit so ganz ablehnst. Ich hätte doch gedacht, dass Du Dich auch da hinein gelebt hast, wie in die Gruppe selber. Es freut mich ganz besonders, dass Du Dich mehr angeschlossen hast & Du Deinen Kameraden auch nicht gleichgültig bist. Du darfst Dich aber nicht in der Hauptsache darauf versteifen, uns anfordern zu wollen. Es ist sehr brav & lieb von Dir, baer das kommt in letzter Linie. In Deinen Jahren musst Du mal erst an Dich selbst denken & wenn Du mal etwas geworden bist, erst dann kommen wir an die Reihe. Das also darf nicht der Hauptgrund sein. Vater wird Dir über diese Dinge wohl von unterwegs geschrieben haben, auf jeden Fall lasse ich den Brief aber bis morgen liegen, zumal schon wieder einer von uns erwartet wird. Drum für heute viel Grüsse & Küsse Deiner Mutter.
Freitag, den 28.5.37. Liebes Pipslein, Dein Brief vom 18-22. ds. kam pünktlich heute früh & habe ich mich besonders damit gefreut. Du bist ein schöner Weltenbummler, wenn Du nur mal eben rutschenkannst, bist Du dabei. Na, ich gönne Dir das Vergnügen von ganzem Herzen. Was man haben kann, soll man sich immer nehmen & ein bisschen Freude kann man immer vertragen. Dass Du bei
II
Speiers warst, wird Vater freuen; Herrn Simons, ihrem Bruder habe ich es eben erzählt. Vater fährt selbstverständlich Touristenklasse, Frau Wertheim soll tun, was sie will, die hat bei uns keine Nummer mehr. Max Levy hättest Du einmal aufsuchen sollen, er hätte sich auch gefreut. Einen Badeanzug hat Pips sich schon gekauft & zwar einen ganz modernen. Der wird auf seinen alten Tag wieder eitel, pass nur gut auf den alten Herrn auf, wenn er drüben ist, dass ich keine Klagen höre.
Die Negative aus Merseburg habe ich bis heute noch nicht erhalten, vielleicht fragt der Junge zu Hause noch einmal an. Frau Kaufmann hat Dich also verkannt, ein Lehrerlein bist Du also nicht. Gerade sie hat gesagt, dass die Gruppe nun besser zusammenstände, von Küken & Karuso abgesehen & bin ich gespannt auf Deine Ausführungen. Was tut sich's dann schon wieder? Deine Wünsche betreffs Seife, Zahncreme hätte ich auch so erfüllt, das stand schon oben auf dem Einkaufszettel für Dich. Hier ist nichts los. Grossmutter ist seit 8 Tagen in Holland & sind wir neugierig, wie lange sie es drüben aushält. Heute sprach ich auch Frau Traub. Lore geht nun in Düsseldorf zur Schule, ihre besten Freunde sind Helmut Freund & Baruch. Ich glaube, heute würdet ihr beide garnicht mehr zusammen passen. Ich muss dem Opa Abendbrot machen, drum Schluss. Tausend Küsse
Deiner Mutter.