Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 11. Juni 1937

1 Schein!

Krefeld, Freitag den 11.6.37

Mein lb. Ernst!

eigentlich müsste heute früh ein Brief gekommen sein, aber leider blieb er aus. Er kann zwar gleich noch kommen, sonst müssen wir uns eben bis morgen gedulden. Hoffentlich hast Du an Grossmutters Geburtstag gedacht, der heute ist. Wir sind in Erwartung der Geburtstagsgäste, die wohl gleich zum Kaffee erscheinen werden & auf die ich mich „unendlich” freue. Grossmutter ist Dienstag Abend glänzend erholt aus Holland zurückgekommen. Sie hat an Jahren nicht so gut ausgesehen. Sonst gibt es hier nichts Neues. Es ist seit Tagen fürchterlich heiss, man kann kaum auf die Strasse gehen; richtige Augusthitze. Etwas verfrüht für hiesige Begriffe. Vater hat also schon einen guten Vorgeschmack. Übrigens bekamen wir gestern Nachricht, daß Vater L.P. 10,- bewilligt bekommt. Also etwa 125.- Mk, für die wir aber wahrscheinlich cir. 180.- bezahlen müssen. Es ruhen sehr viel Unkosten drau. Du hast doch schon Deinen Plan fertig, werdet Ihr mit dem Geld wohl auskommen? Vater ist ja auch bescheiden & stellt keine grossen Ansprüche. Schade wäre es, wenn es für Eure Pläne nicht langte. Na, Ihr beide werdet es schon spitz kriegen, um Euch mache ich mir keine Sorgen, wenn Ihr erstmal zusammen seid. S. G. w. wird das jetzt schnell gehen. Sobald Vater dann weg ist, fahre

ich nach München, dann wird mir die Zeit auch nicht lange. Wahrscheinlich fahre ich dann über Regensburg Kronach zurück, der Umweg kostet nur 4.- Mk mehr & dann habe ich sie alle mal wieder gesehen. Dieser Tage werden wir mit Sterns aus Grevenbroich zusammentreffen, die Vater vor der Reise sprechen möchten & für Walter etwas mitschicken wollen. Auch Herr Stern aus Frankfurt hat sich gemeldet. Kennen tun wir natürlich den guten Herrn nicht, aber über seine Höflichkeit musste ich lachen. Er fragt „höflichst” an & endet mit „Hochachtungsvoll”. Dass es so etwas noch gibt bei Menschen, die die gleichen Zores haben. Ich habe sofort geantwortet, aber mit den besten Grüssen, ich kann nicht so steif sein, auch nicht bei Leuten, die ich nicht kenne. Edith Stern macht mir auch nicht diesen Eindruck, die scheint doch auch frisch von der Leber weg zu sein. Mit Kaufmanns kommen wir vorher auch noch zusammen. Nun muss erst wieder Dein Brief kommen, damit ich neuen Stoff zum Schreiben habe. Hoffentlich geht es Dir recht gut, das ist unser aller Wunsch bei Tag & Nacht. Tausend Küsse
Deiner Mutter.

Post geht eben vorbei, für heute sind die Aussichten also vorbei, schade!

12.6. Mein lb. Pipslein, heute kam Dein lb. Brief, mit dem wir uns wie immer sehr gefreut haben. Besonders auch Grossmutter, an deren Geburtstag

II

Du also nicht vergessen hattest. Du hast ja jetzt einen feinen Posten bekommen, Müllmann & Strassenkehrer ist nicht jeder. Wie stehst Du denn zu den Pferden, seid Ihr gut Freund? Habt Ihr keine Erdbeeren, bei uns gibt es sie jetzt in rauhen Mengen, aber doch noch ziemlich teuer 45 Pf. pro Pfd. Euer elektr. Licht wird Euch eine Wohltat sein, ich denke noch oft an unsere Gaslampen, wenn Grossmutter abends „riechen” ging. Die 3 Bilder sende ich Dir im nächsten Brief zurück, ich trenne mich sehr ungern davon. Würde Fritz Dir nicht das Negativ geben von dem netten Bild mit Edith Stein? Deine Beurfsfrage wollen wir jetzt einmal ruhen lassen, bis Vater dort ist. Es hat ja alles von hier aus keinen Sinn, zumal Vater s. G. w. bald bei Dir sein wird. Deine div. diesbezüglichen Ausführungen sind wirklich nicht rosig, aber wir wollen nicht vorzeitig den Kopf hängen lassen, mit Gottes Hilfe wird auch das schon werden. Ich will dem Pips nicht alles vorweg nehmen & schliessen. Onkel Richard schreib übrigens, Du hättest ihm einen lieben & gescheiten Brief geschrieben. Du schreibst, Du hättest von „ihm” eine Karte aus dem Rodachtal bekommen. Wer ist denn der „ihm”? Namen verschweigst Du uns. Alles Gute mein lb. Junge & viel, viel Küsse
Deiner Mutter.

Mein lieber Junge! Von mir wirst Du wohl heute nicht viel erwarten, denn erstens bin ich sehr abgespannt und zweitens, warum soll ich Dir noch so viel schreiben, wo ich all diese Dinge mit Dir bald persönlich besprechen kann. Ausserdem sitze ich hier an der Maschine und kann nichts mehr sehen, denn es ist stockdunkel. Ich habe bis jetzt gearbeitet, heute früh hatte ich eine Kundin hier, d. h. heute früh stimmt nicht, denn sie war bis 4 Uhr hier und hat bei uns noch Kaffee getrunken, bis ich sie an die Bahn gefahren habe. Ich habe dadurch auch viel Zeit versäumt, die ich bis eben spät abends nachholen musste. - - Deine Angelegenheiten hat die liebe Mutter ja alle beantwortet, sodass ich Dir darauf kaum was zu sagen habe. Die besprochenen Dinge wollen wir nun alle mal zurückstellen, bis ich da bin. Hoffentlich klärt sich dann alles. Einfach ist ja das alles nicht. Auch die Anforderungssache ist später nicht leicht zu lösen. Aber das ist mir gar nicht so wichtig, das hat alles Zeit, wenn es einmal so weit ist wird sich auch da eine Lösung finden lassen.

Gesund sind wir, die kleine Zahnangelegenheit der lieben Mutter ist auch wieder behoben und mir geht es ausser sehr warm und viel schwitzig gut! Auch geschäftlich kann ich nicht klagen.

Nun Schluss für heute, sei mit dem Wenigen zufrieden und lass Dich vielmals Küssen von
Deinem Vater. ![..]!