Richard Loewy an Sohn Ernst, Juni 1937 (?)

II

ärgsten Gegner wohl von Küken. Was ist das eigentlich von Charakter für ein Junge? Wenn ich von seinen Eltern, den bei den Kaufmanns, ausgehe, muss er doch sehr nett sein. Anständige, nette & gebildete Leute. Ja, mein Junge, man lernt im Leben so die Menschen kennen, manchmal lohnt es sich wirklich nicht, sie zu studieren, denn die Anständigen sind dünn gesäät. Auf jeden Fall, halt auch da die Augen offen, sieh, was hässlich ist & mache es anders. Aber deshalb habe ich keine Angst, was Du zu Hause gesehen hast, wird auch drüben an Dir haften geblieben sein, man verrät nicht so leicht seine Kinderstube. Ich muss in die Küche, sonst habe ich das Abendbrot für meine 2 Männer gleich nicht fertig. Einen dicken & innigen Kuss Deiner Mutter.

Samstag-Nachmittag. Mein lieber Junge! Die liebe Mutter und auch Opa ist weg, man hat mich alleine gelassen mit meiner Arbeit, die ich nun um 6 Uhr glücklich beendet habe, nun soll es meine erste Aufgabe sein auch meinerseits Deinen lieben Brief zu beantworten, soweit es nicht schon von der lieben Mutter geschen ist. Die Sache mit meinem Höschen scheint also ein Reinfall zu sein. Ich habe mir diese Hose in Helmbrechts bestellt und will mal gleich noch an Onkel Karl schreiben, dass er sie nicht in Arbeit geben soll, wenn es nicht schon geschehen ist. Im schlimmsten Fall bringe ich sie also mit hinüber und trage sie, wenn ich den Kühen die Schwänze auswasche!!! Ach so, auch davon willst Du ja nichts wissen, dass ich arbeiten helfe. Na, mein lieber Junge, ich wollte ich wäre schon da, alles weitere findet sich dann schon von allein. Hier ist alles wie immer. Oma ist in Holland, der Opa fühlt sich als Strohwitwer sehr glücklich, es ist wirklich wie Mutter schreibt, er stöhnt und jammert nicht, er schläft sogar des Nachts, er sagt nicht einmal dass ihm irgend etwas wehe täte, - - und sonst, stöhnt er Oma was vor und jammert den ganzen Tag. Es kommt wohl daher, weil er weiss, dass er von uns nicht so bemitleidet wird als von Grossmutter. Es ist aber so ganz gut für ihn. Heute schrieb Grossmutter sie wolle am Dienstag wiederkommen. Wir haben ihr postwendend geschrieben, sie möchte noch eine Weile bleiben. Ich habe geschrieben, sie bräuchte vor dem 25. Juni nicht wiederzukommen. Sie hat ja nächste Woche Geburtstag und da meint sie wohl sie müsste unbedingt bis dahin hier sein. Sie soll den Tag lieber in Eindhoven feiern und wenn sie dann hier ist machen wir eine kleine Nachfeier. Aber ich weiss nicht, ob sie auf unsere gutgemeinten Ratschläge hört und nicht doch am Dienstag angetanzt kommt.

Ich war, wie immer die ganze Woche auf Tour, die bekannte Route nach Lüdenscheid bis Laasphe. Das Geschäft geht ganz gut, nur habe ich in diesem Jahr keine Wollstoffe, was natürlich ein grosser Schaden für mich

ist. Damit dieser Schaden in etwa wieder wieder ausgeglichen wird, habe ich neuerdings noch zwei neue Vertretungen dabei genommen, die zwar noch nicht viel abwerfen, aber die sich auf die Dauer schon rentieren werden. Ich muss ja - wie dies in solchen Fällen immer geht, die Firmen erst einführen. Das erfordert viel Geduld und Arbeit, aber im Laufe der Zeit zeigt sich dann der Erfolg. Na, das kann ich Dir alles erzählen. - - - Nun zu Deiner Karte, die Du mit Speiers geschrieben hast und die auch im Laufe dieser Woche erst ankam, d. h. Herr Valentin Meyer, der Schwiegerverwandte oder sowas ähnliches - - genaue Bezeichnung gibts für derartige Verwandtschaftsgrade ja nicht - brachte diese Karte. Ich habe mich natürlich auch gefreut, dass Du diese doch recht netten Leute besucht hast und werde ich wohl nicht verfehlen auch dort einmal vorzusprechen. Und Dein Brief: die Hauptsache ist ja Dein Bericht über die Zustände in den Gruppen. Da kann man von hier nicht viel dazu sagen. Ich habe nur die Hoffnung und das Vertrauen, dass Du schon den rechten Weg einschlagen wirst und nichts tun wirst, was nicht gut ist. Dass Du den goldenen Mittelweg einschlägst und zwischen den Gruppen vermitteln willst, finde ich für richtig. Was Du von Caruso schreibst, hat uns bereits Frau Kaufmann berichtet, sodass ich wohl annehme, dass Küken auf der anderen Seite steht. Ueber Ilse bin ich gar nicht erstaunt, auch ich würde heute mich nicht mehr so für sie so ins Zeug legen wie ich es damals getan habe. Schon deshalb, weil wir diese Sache damals viel tragischer genommen haben als ihre eigene Mutter. Das erzähle ich Dir besser, als ich es Dir schreibe. Nach allem, was ich heute weiss, sehe ich nur, dass wir dem Vater Ilses, den wir immer sehr verurteilten, unrecht getan haben. Na, lassen wir das!

Dass Ilse mit ihrer Mutter zuerst nach K.A. und erst später auf Tour will, ist mir ganz gleichgültig, eine gemeinsame Tour wäre ohnedies für mich nicht in Frage gekommen, ebensowenig wie für mich vielleicht gemeinsame Fahrten nach Tel-Aviv oder Jerusalem in Frage kommen. Ich fahre mit Dir und wir gehen unsre eigenen Wege, sollen sie die ihren gehen. Auch schon deshalb weil ich ja doch eine Reihe von Leuten besuchen will, wozu ich keine Anhängsel brauche. Ich will auch in keiner Weise auf irgend jemand Rücksicht nehmen müssen, sondern - soweit es Dir möglich ist - vollständig unabhängig sein. Ich werde jedenfalls nach der Bahnfahrt mich in Marseille beim Besteigen des Schiffes mich von ihr trennen und sie gelegentlich einmal per Zufall in K.A. wiedersehen, und dann wieder beim Verlassen des Schiffes in Marseille. Unsere Freundschaft hat einen derartigen Knacks bekommen, dass er nicht wieder geheilt werden kann.

Wegen der Bücher und des Koffers wird es schon gehen. Der grosse Koffer wird ja auf der Hinreise nicht leer sein, denn ich nehme doch immerhin eine ganze Menge Dinge mit. Mit einer Hose und einem Rock ist es doch nicht getan, ich brauche ja auch noch Wäsche, Schuhe und andere Dinge!! Hier im Zollamt hat man mir gesagt, dass einer Ausfuhr von Büchern nichts im Wege stände, zumal es ja keine neuen Sachen, sondern gelesen Bücher sind. Sie dürfen nur nicht zu schwer sein, denn ich möchte nicht gerne Überfracht bezahlen.

Deine Wünsche betr. gerahmter Bilder glaube ich Dir auch erfüllen zu können. Es sind auch noch eine ganze Menge Stiche von Erez da, von den ich Dir wohl auch noch einen Teil mitbringen werde, denn hier sind sie ja doch vollständig wertlos und verschenken möchte ich sie auch nicht ohne weiteres, zumal ich noch nicht mal wüsste an wen.

Nun mein Lieber will ich schliessen. Ich brauche Dir ja nicht mehr allzuviel zu schreiben, ich hoffe, dass wir uns bald alles recht ausführlich erzählen können.

Mit vielen innigen Küssen bin
Dein Dich liebender
![..] Vater.