Richard und Erna Loewy an Sohn Ernst, 20. August 1937
Mein lb. Ernst! Heute am Freitag, den 20.8. kam wie immer pünktlich Dein lb. Brief vom 13.ds. Und wie immer meinen allerherzlichsten Dank. Pipslein hat sich bei Dur ja blendend erholt & sieht fabelhaft aus. Dass ich ihm nicht gleich bei seiner Heimkehr den Todesfall erzählt habe, kannst Du Dir doch denken, deshalb war die Freude des Wiedersehens ungetrübt. Erst im Laufe des Tages bin ich damit herausgerückt, was mir nicht ganz leicht gewesen ist; da Vater aber sehr vernünftig ist, hat er es auch so aufgenommen. Das Merkwürdigste an der Sache ist folgendes. Ich wollte unter keinen Umständen nach Waidhaus fahren, einmal weil mir die Reise von München aus zu weit war & dann scheute ich die grossen Kosten. Beides schrieb ich Onkel Ludwig & bekam als Antwort, für die Kosten käme er auf & dann wäre es auch wohl das letzte Mal, dass wir uns sehen würden. Ich bin dann trotz vielen Scheltens der Münchener fort, die mich noch so gerne dort behalten hätten & bin dann noch zwei sehr frohe Tage mit Onkel Ludwig zusammengewesen & konnte ihm noch das letzte Geleite geben. Vater ist sehr froh, dass ich dort war & ihm seinen letzten Wunsch noch erfüllt habe. Er hat also selbst jeden Tag damit gerechnet, dass für ihn das Ende kommt; krank war er ja seit Jahren.
Deine Brille hat ja nach der Zeichnung zu urteilen, die allerneueste Form, hat sie einen hellen Hornrand? Ich bin sehr froh, dass Deine Augen nachgesehen sind. Die Aufnahmen, die Ihr gemacht habt, sind alle tadellos geworden & betrachte ich sie immer wieder. An & für sich ist Vater noch wenig zum Erzählen gekommen,
Sonntag war er noch zu müde, Montag verging mit allerlei Laufereien & Dienstag ist er schon auf Tour gefahren. Jeden Abend erzählt er ein bisschen & verspricht auf morgen mehr & dann ist wieder was anderes. Sonntag kommen Sterns & Kaufmanns zu uns, dann wird er wohl auspacken müssen. Vieles was er mir schon berichtet hat, hat mich sehr gefreut, vor allem, dass Du so lange die Lage im Lande noch so ungeklärt ist, bei der Gruppe bleibst. Was Du in vielen Jahren einmal willst, kannst Du selbst heute noch garnicht beurteilen, vielleicht bist Du einmal dankbar dafür, Landwirt geworden zu sein. Ich bin sehr froh darüber, so stehst Du unter Schutz & bist mit lieben Freunden zusammen, in der Stadt ständest Du mutterseelenalleine, auch ohne die Vorteile, wie Krankenkasse & viele andere gute Dinge. Ich bin froh, dass Du so vernünftig bist & Vaters & anderer Leute, die es gut mit Dir meinen, Vorschläge einsiehst. Was mich ärgert ist über Dein immer noch schlechtes Essen zu hören. Ich hatte geglaubt, Du hättest etwas dazu gelernt, aber das scheint nicht sehr weit her zu sein & was mich geradezu entsetzt hat ist, mein Sohn als Atheist. Du weisst, ich bin keine fromme Jüdin & habe auch nie Wert darauf gelegt, als solche zu scheinen. Ich gehe in die Synagoge, wenn ich gerade einmal Lust dazu habe & an den Feiertagen, halte Schabbath & die Feiertage, so gut es geht; aber was mir niemand nehmen könnte, ist mein Gottesglaube. Und wie kann es nur so weit bei Dir gekommen sein. Durch ungeeignete Lektüre bist Du auf falschem Weg gekommen & hoffe ich, dass es noch
2 Ant. Scheine!
II
Zeit genug ist, Dich wieder auf die richtige Fährte zu bringen.- In der Jugend macht mal jeder eine Dummheit, ich will hoffen, dass Du diese schon selbst eingesehen hast. Man braucht nicht den ganzen Tag beten & sich verbeugen, aber etwas so Hohes verleugnen, das verstehe ich nicht. Ich muss daran denken, wie Du früher mit Grossvater Schabbat Abend gemacht hast, ein Pult gebaut hast & vorbetetest & von alledem willst Du nichts mehr wissen. Ich glaube auch, dass Du Deine Verblenung selbst längst eingesehen hast & Dir gestehst, dass Du ein dummer Junge bist. Ohne Gottvertrauen ist ein halber Weg, also mach mir keinen Kummer. Was ich sonst von Dir gehört habe, freut mich alles sehr & mit den Sachen, die Vater mitgebracht hat, hatte ich riesige Freude. Das Buch von Dir ist wundervoll, eine Geduldsarbeit, ebenso die Brosche. Dazu brachte Vater mir aus Paris noch ein Armband mit, ich bin also reichlich bedacht worden. In München bekam ich einen Clip für ein Bildchen einzustecken & habe ich Vater & Dich jetzt zusammen darin, auch ein Schmuckstück, wo ich Euch beide immer mit mir trage. Ich kann also nicht verderben. Wenn ich noch was weiss, morgen mehr, jetzt will ich schliessen & bin mit vielen guten Wünschen & tausend Küssen
Deine Mutter.
Mein lieber Junge! Von mir kannst Du noch nicht viel verlangen. Ich habe einen Wust schriftlicher Arbeiten vorgefunden, daß ich nicht weiß, wo ich erst anpacken soll. Ich muß erst mal alles aufarbeiten, um dann in Ruhe an private Dinge gehen zu können. Du mußt ein klein wenig Geduld mit mir haben. Ich will Dir wohl mal im Laufe dieser Woche von der Reise aus einen Brief schreiben & Dir von meiner
schönen Heimfahrt erzählen; auch von der Ausstellung u.s.f. - Hier ist alles beim alten. Heute früh war ich in der Synagoge & bin natürlich auf[..] worden. Trotzdem habe ich Dir ein Mischeberach machen lassen & ich hoffe, daß des Vater Segen auch Dir Häuser bauen wird. Daß Du in dieser Hinsicht auch Deiner Mutter Sorgen machst, siehst Du nun wohl! Und ich wiederhole Dir: Dein Weg ist falsch! (Trotzdem ich Dir das heute als gereifter Mann sage, so muß ich Dir zugeben, daß ich in Deinem Alter auch ähnliche falsche Wege gegangen bin; - & gerade deshalb hoffe ich, daß auch Du den Weg zurück (oder besser: weiter!) finden wirst!)
Die Negative sende ich Dir noch, auch ein Bild vom Felix Reuffel. Du mußt mir nur Zeit lassen. Ich habe Tante Paula noch nicht einmal geschrieben!! Daß mich der Tod von Onkel Ludwig betrübt, kannst Du Dir denken; aber ihm selbst ist wohl dran.
Grüße drüben alle von mir. Dem Muchtar kannst auch mal Grüße bestellen; ich ließe ihm nochmal danken für die gute Bewirtung durch die Kwuzah. Tu das bitte ja, denn Alma hat dies persönlich getan & sich von ihm verabschiedet; ich möchte deshalb nicht weniger höflich sein!! Vergiß nicht!
Den Jungens & Mädels, Zwi, dem Bergbauern u.s.f. Pinchas viele Grüße!
Dir recht viel Küsse [..]
Dein Vater!